„Eine Welt im Entwurf" dürfe man nicht zeigen, sagt etwa Guido Heffels, Chef-Kreativer der Agentur Heimat. Das sei „eine Frage der Ehre". Der Fall Stolpersteine, sagt Heffels, „zeigt nur, dass der Hunger nach Gold mittlerweile einen Punkt erreicht habe, der für die Branche nicht mehr gesund ist". „Wir bekommen ein echtes Nachwuchsproblem", sagt Heffels, wenn vorgelebt werde, dass man mit so etwas durchkommt.

Ralf Heuel, Chef-Kreativer von Grabarz & Partner in Hamburg, geht sogar so weit zu sagen, das Projekt von Jung von Matt sei das „armseligste, was ich je gesehen habe" und beschädige den Ruf einer Branche, die ohnehin nicht gerade mit Vorschlusslorbeeren überhäuft wird. Heuel zieht Vergleiche. Er selbst hat für VW eine integrierte Kampagne für Up erarbeitet, bei dem der Kleinwagen eigentlich von Tausenden Luftballonen in die Luft gehoben werden sollte. Das klappte nicht, weil das Wetter schlecht war. Im Casefilm zeigte die Agentur darum auch faktengetreu das Scheitern der Aktion. Dass man Dinge vorgaukle, die so nicht sind, sei eine neue Eskalationsstufe, die es bislang in der Form nicht gegeben habe, sagt Heuel. Ähnliche Kritik kommt von vielen anderen; auch in sozialen Netzwerken.

Verständnis für Jung von Matt hat angesichts des Stolperstein-Fauxpas kaum einer in der Branche. Matthias Storath, Kreativ-Geschäftsführer von Ogilvy & Mather in Frankfurt gehört zu den wenigen, die sich hinter Jung von Matt stellen. "Case-Filme", sagt er, seien nun mal die Präsentationsform „unserer Zeit“. Dass dabei oft etwas nachgeholfen wird und der Case natürlich den Idealfall nachzeichne, hält er für legitim. Auch wenn die Realität oft anders aussieht. Schließlich sei dies den Juroren bekannt. "Kritisch" wird es Storath zufolge nur dann, wenn die Agenturleistung nicht deutlich werde. „Doch bei dem Jung-von-Matt Case Stolpersteine war das eindeutig gegeben."

Ob der Fall indes Konsequenzen für das Abschneiden von Jung von Matt in Cannes hat, bleibt abzuwarten. Der Veranstalter prüft die Angelegenheit jetzt. Fred Koblinger, Chef der Agentur PKP BBDO in Wien und einziges deutschsprachiges Mitglied der Integrated-Jury in Cannes, erzählt, man habe sich an der Croisette durchaus intensiv mit dem Stolpersteine-Projekt von Jung von Matt befasst. Natürlich müsse man „als Juror aufpassen, ob die Einreichung besser ist als die Aktion". Die Juroren seien emotional berührt gewesen, die Kampagne gut. 

Nach wie vor stellt sich allerdings die Frage, worin die krea­tive Leistung von Jung von Matt besteht. Koblinger zweifelt nicht an dem Urteil seiner Jury und nimmt’s pragmatisch: „Ich würde als Jung von Matt hergehen und sagen, ich nehme das Projekt zurück. Wenn die Neidkultur so groß ist, wäre mir das zu blöd."

Letzlich bleibt es wahrscheinlich aber eher eine Frage der Kreativ-Ehre. Und den Maßstab dafür legt jede Agentur noch immer selbst fest. (ds/ph)

Mehr über das "Stolperstein"-Projekt, wie die Clio-Jury auf die Fake-Vorwürfe reagiert, die "Stones telling stories" ebenfalls prämierte und wie auch andere Agenturen das Vorgehen von Jung von Matt scharf kritisieren: In der aktuellen W&V (Heft 27/2012; S. 30).