YouTube-Aufreger "Kony 2012": Jetzt spricht der Agenturchef
70 Millionen Klicks in fünf Tagen: Noch nie hat sich eine Kampagne derart schnell im Netz verbreitet wie "Kony 2012". W&V-Redakteurin Daniela Strasser hat mit dem Mann hinter der umstrittenen Internet-Initiative gesprochen: Javan van Gronigen, dem Chef der US-Agentur 5ifty & 5ifty.
Die vergangenen drei Wochen kann man sich bei der Agentur 5ifty & 5ifty etwa so vorstellen: Permanentes Telefonklingeln, die E-Mail-Server sind überlastet. Wahlweise wollen Journalisten, amerikanische Kongressabgeordnete oder Mitarbeiter von Wohltätigkeitsorganisationen Javan van Gronigen sprechen. Der 32-Jährige ist Chef jener sieben Mann großen Online-Agentur in San Diego, die hinter der Kampagne "Kony 2012" steht.
Noch nie hat sich eine Kampagne im Internet so rasant verbreitet, wie der 30 Minuten lange Film, in dem Jason Russell, Regisseur und Mit-Begründer der Hilfsorganisation Invisible Children, seinem Sohn von Joseph Kony erzählt. Es geht um den seit Jahren vom Internationalen Strafgerichtshof gesuchten Anführer der ugandischen Rebellentruppe Lord´s Resistance Army (LRA). Mehr als 85 Millionen Mal wurde der Film angeklickt. Russell ruft darin die User auf, Druck auf US-Politiker zur Entsendung von Truppen nach Afrika auszuüben und Kony zu stoppen, der unter anderem Kindersoldaten beschäftigen soll. Am 20. April soll weltweit ein Stoppt-Kony-Aktionstag stattfinden. Van Gronigen und seine Agentur haben die Webseite gestaltet, die Onlinestrategie entworfen und betreuen das Internetprojekt.
Während die weltweite Euphorie erst groß war, mussten Russell, seine Organisation Invisible Children und auch Van Gronigen zuletzt immer mehr Kritik einstecken. Unter anderem wurde ihnen vorgeworfen, einen zu simplen, einseitigen und vor allem veralteten Blick auf die Lage in Uganda zu werfen. Kony-Macher Jason Russell erlitt Anfang dieser Woche einen Zusammenbruch, liegt seitdem in einer Klinik. Was das für die Kony-Initiative bedeutet, ist noch unklar.
Wie er das Projekt Kony erlebt hat und wie es weitegehen soll, dazu äußert sich Agenturleiter Van Gronigen im Interview.
Wie haben Sie die vergangenen drei Wochen erlebt, Herr van Gronigen?
Es war wie eine riesige Achterbahnfahrt. Wir arbeiten mit der Agentur schon lange für Invisible Children, ich war früher selber als Web- und Artdirektor bei der Organisation. Wir haben in dem Fall der Kony-Kampagne schon mit viel Traffic gerechnet. Aber: Dass das Ganze so explodieren würde im Netz, hatten wir nicht erwartet.
Das Video hat in weniger als drei Wochen 85 Millionen Klicks erreicht. Initiator Jason Russell hat einen Zusammenbruch erlitten, liegt wohl länger in der Klinik. Was bedeutet dies für das Projekt Kony?
Natürlich hat es Auswirkungen, aber ich kann nicht zu sehr ins Detail gehen. Noch hat Invisible Children nicht gesagt, wie es weitergeht. Ich kann nur sagen, dass Jason ein großartiger Typ ist, der seine ganze Energie in diese Organisation steckt. Er ist sehr exzentrisch, sehr leidenschaftlich. Ich denke, er hat sich einfach keine Pause gegönnt. Und er ist mit seiner Familie extrem schnell ins Rampenlicht geraten.
Die Stoppt-Kony-Kampagne wird weltweit sehr kritisch diskutiert. Ist es gut, dass der Name Ihrer Agentur in dem Zusammenhang auftaucht?
Da bin ich auch gespannt. Unser Name stand auf der Kampagnen-Site, anschließend hatten wir jeden Tag tausende Mails in unserem Postfach, Anrufe von Leuten, die ihre Meinung loswerden wollten und die Kampagne entweder hassen oder lieben. Bisher würde ich nichts anders machen - auch wenn es zwischenzeitlich sehr viel Kritik hagelte. Natürlich kann es sein, dass uns die Leute mit der Organisation assoziieren und sagen, dass es etwas Schlechtes sei, auch wenn ich das bisher nicht feststellen kann. Wenn die Leute weiter nur Negatives in der Kampagne sehen sollten - nun gut, dann sei es so. Am Ende des Tages ist das Ziel, die Taten von Kony publik zu machen und die weltweite Aufmerksamkeit auf das Problem der Kindersoldaten zu lenken. Jeder kann das unabhänigig von Jason und Invisible Children betrachten. Aber er hat einen tollen Job gemacht und die Story nach draußen gebracht. Ich glaube von Herzen an das Projekt.
Wie beurteilen Sie das Level der globalen Diskussion?
Nach der großen Negativwelle nähern wir uns langsam einem Diskussionslevel, das angemessen ist, finde ich. Ich mag Fragen wie: War der Film zu simpel? Oder: Ist militärisches Eingreifen die einzig richtige Lösungsmöglichkeit? Das sind großartige Fragen, die es auf einer globalen Ebene zu beantworten gilt.
Und das weitere Vorgehen sieht wie aus?
Seit der Film online angelaufen ist, haben wir noch nie einen Schritt zurück unternommen und noch mal die Strategie aufgeschlüsselt. Das lief alles auf Tagesbasis, alle mussten schnell entscheiden und schnell handeln. Jetzt stellen wir uns noch mal der Frage nach der Strategie. Wir kümmern uns erstmal weiter um die Seite. Dann sehen wir weiter.
Was machen Sie am 20. April, dem weltweiten Aktionstag der Stoppt-Kony-Bewegung?
Gute Frage. Die Organisation hat Pläne, sie aber noch nicht mit uns geteilt. Ich werde es davon abhängig machen.
Mehr dazu lesen Sie auch in der aktuellen Ausgabe der W&V (Heft 12/2012).