Thomas Koch:
Freedom! Ein offener Brief an die wichtigsten Agenturchefs dieser Erde
Dies ist ein Bericht von der Front: Von jungen, unabhängigen Medien in "Emerging Countries", die ihre Diktatoren zum Teufel jagten und sich erstmals um Demokratie bemühen. Viele von ihnen stehen jetzt einem Gegner gegenüber, den sie nie auf der Rechnung hatten: Globale Media-Networks, die wie Heuschrecken in ihre Länder einfallen. Thomas Koch alias Mr. Media bloggt diesmal aus Nairobi.
Dies ist ein Bericht von der Front: Von jungen, unabhängigen Medien in "Emerging Countries", die ihre Diktatoren zum Teufel jagten und sich erstmals um Demokratie bemühen. Viele von ihnen stehen jetzt einem Gegner gegenüber, den sie nie auf der Rechnung hatten: Globale Media-Networks, die wie Heuschrecken in ihre Länder einfallen. Thomas Koch alias Mr. Media bloggt diesmal aus Nairobi.
"Erst befreien wir uns mühsam von der Regierung, die uns vorschreiben will, was wir schreiben. Dann befreien wir uns aus der Umklammerung der Wirtschaftsunternehmen, die nur dann Werbung in unseren Medien schalten, wenn wir positiv über sie berichten. Als nächstes versuchen wir uns den Mediaagenturen entgegenzustellen, die nicht bereit sind, sich mit unseren Medien und Positionierung zu beschäftigen. Und nun stehen wir ratlos vor 'intermedialen Organisationen', die uns die Konditionen vorschreiben wollen."
Dies ist ein Bericht von der Front: Von jungen, unabhängigen Medien in "Emerging Countries", die ihre Diktatoren zum Teufel jagten und sich erstmals um Demokratie bemühen. Vieles an der Situation der Medien, insbesondere in ihrem Verhältnis zu den Agenturen, ähnelt unseren dennoch derart, dass einem der Atem stockt. Und es stellt sich die Frage, wer hier eigentlich warum welche Agenda verfolgt.
Unser Seminar "Towards A Financially Sustainable Media Landscape" findet dieses Mal in Nairobi statt. Es geht um die Positionierung und Vermarktung der jungen, unabhängigen Medien und ihre Finanzierung über Werbung. Geladen haben MICT und Plural vier Medienmacher aus dem Sudan und fünf aus dem vor gut drei Jahren unabhängig gewordenen Südsudan. Für gewöhnlich gehen wir in die Länder hinein, doch das verbietet derzeit die dortige Sicherheitslage. Da sich insbesondere Journalisten nicht frei zwischen beiden Ländern bewegen können, flogen wir sie alle ins benachbarte Kenia ein.
Es sind alle Medien vertreten: Zeitungen, Zeitschriften, TV- und Radio-Sender mitsamt ihren Online-Auftritten. Unserer Einladung folgten Geschäftsführer, Marketingverantwortliche, aber auch Herausgeber und renommierte - weit über die Grenzen ihrer Länder hinaus bekannte - sudanesische Journalisten wie Alfred Taban, der in seinem Leben mehr Gefängnisse von innen sah als bei uns die gemeingefährlichsten Verbrecher. Sie kämpfen für die Freiheit - freedom of speech - für die Freiheit der Presse. Auf entsprechendem Niveau finden die Gespräche statt.
Mit solchen Menschen Zeit zu verbringen, macht einen kleinlaut, demütig und zugleich glücklich. Ihnen zu helfen, sich besser gegen die nach wie vor übermächtigen Regierungsmedien zu positionieren, zu behaupten und zu vermarkten, ist eine Herausforderung, aber auch Genugtuung. Ich empfinde es als Gunst des Schicksals, meine Erfahrung hier wahrlich sinnstiftend einbringen zu dürfen.
Um die Situation, in der sie stecken, sind diese Medienmacher und Meinungsbildner nicht zu beneiden. Mit Hilfe der Weltöffentlichkeit, der Unterstützung durch westliche Regierungen und NGOs wie Amnesty International (AI) und Reporters Without Borders (RWB) gelingt es ihnen nach und nach, sich aus den Fängen der Regierungssysteme zu befreien. Unternehmen, die versuchen, sie mit ihren Mediageldern unter Druck zu setzen, erklären sie mit wachsendem Erfolg, warum selbst sie - ebenso wie ihre kritischer werdenden Zielgruppen - ein Interesse an unabhängigem Journalismus haben müssen.
Media-Schrecken
Doch an den Mediaagenturen beißen sie sich die Zähne aus. Die globalen Media-Networks fallen wie Heuschrecken in diese Länder ein und überziehen die noch schwachen, jungen Medien mit ihren auf Konditionen und Agenturrendite zielenden Systemen. Die Mediaagenturen nehmen ihnen die Luft zu atmen, die sie in dieser fragilen Situation dringend brauchen.
Doch damit nicht genug. Nun wird ein weiterer Spieler im Markt etabliert: Sogenannte "intermediale Organisationen", deren einzige Aufgabe darin besteht, zusätzliche Rabatte einzutreiben. Wer nicht mitspielt, wird aus der Liste der Preferred Partner gestrichen. Das kommt einem doch irgendwie bekannt vor: Das Gleiche spielt sich nicht nur in Ländern wie Sudan und Aserbaidschan ab, sondern ebenso bei uns in Deutschland. (Mr. Media berichtete) .
Die Frage stellt sich, wer hier von wem lernt. Bei mir verstärkt sich der Eindruck, dass die Mediaagenturen in den Ländern der Dritten Welt Exempel statuieren, um sie bei Erfolg als "best practice" nach Europa zu exportieren. In Ägypten heißt einer der "bad guys" ausgerechnet Mindshare, der die Medien von den Kontakten zu den Mediaplanern abkoppelt und ausschließlich Konditionsgespräche mit seinen Einkäufern zulässt. Im irakischen Kriegsgebiet eröffnete Starcom jüngst ein Büro. Das Ziel der Agenturen ist dabei einzig, die höchstmöglichen Rabatte aus den finanziell noch äußerst instabilen Medien herauszupressen - zu ihrem eigenen Vorteil.
Ein Spiel mit dem Feuer
Die Mediaagenturen spielen mit dem Feuer. In dem sie die Existenz der noch zarten Blüten eines unabhängigen Journalismus gefährden, stellen sie unmittelbar auch die Demokratisierung dieser Länder in Frage. Wenn in ihnen auch nur ein Funken Menschenachtung, Empathie und Intelligenz wohnt, dann dürfte ihnen die Tragweite ihres Handelns bewusst sein. Würde man die Agentur-CEOs fragen, ob sie willentlich die Demokratisierung dieser Länder behindern wollen, würden sie das entrüstet von sich weisen. Doch sie tun genau das. Sie nehmen den Medien die Freiheit zu (über)leben.
Die Kraft des Feuers, mit dem sie spielen, ist ihnen offenbar nicht bewusst. Würde Organisationen wie UN, Unesco, AI oder RWB bekannt, wer und wie die unabhängigen Medien der Region Middle East & North Africa (Mena) und des Arabischen Frühlings bedroht, würden die Agenturen unter einen enormen öffentlichen Druck geraten. Ihre Großkunden, die Compliance weit oben auf die Agenda setzen, müssten sich von ihnen abwenden, um nicht selbst einen fatalen Image-Schaden davonzutragen. Ich wüsste zu gern, wie Jerry Buhlmann (DAN), Maurice Lévy (Publicis), Sir Martin Sorrell (WPP) und John Wren (Omnicom) persönlich dazu stehen.
Was ich wohl weiß, ist welche Lösung ich den bedrohten Medien empfehle: Sich von den Einkäufern der Mediaagenturen nicht abkanzeln lassen, das Gespräch mit den lokalen Agenturchefs suchen und - wenn auch sie Ignoranz an den Tag legen - sich direkt an die Kunden zu wenden. Wie im oben erwähnten deutschen Fall ist den Kunden völlig unklar, was die Mediaagenturen mit ihren Werbegeldern treiben und lenken - wie übrigens in unserem Fall der Telko-Kunde - in der Regel sofort ein.
Zum Abschluss ein positiver Nebeneffekt unseres Seminars: In Nairobi trafen sich einflussreiche Medienmacher aus beiden, geteilten sudanesischen Ländern - einige von ihnen zum ersten Mal. Sie waren sich darin einig, dass die Teilung des Landes ein katastrophaler Fehler war, dass davon nur wenige, machtbesessene und geldgierige Kreise profitieren und dass das Volk allein Leidtragender ist. Sie haben die Pausen und Abende dazu genutzt, um intensiv miteinander zu diskutieren. Sie werden künftig an einem Strang ziehen und mithilfe der Kraft ihrer Medien alles daransetzen, eine Wiedervereinigung herbeizuführen - selbst wenn es zwei oder mehr Generationen dauert.
Und an die Agenturen gerichtet: Medien haben nicht nur die Aufgabe, Werbung zu transportieren. Sie besitzen die Aufgabe und die Macht, Besserung herbeizuführen. Um es mit den Worten von "Braveheart" William Wallace auszudrücken: "Freedom!"