Thomas Koch:
Media-Debatte: Schluss mit dem Kindergarten!
Die Debatte über die Rolle von Mediaagenturen spaltet die Branche. Zeit für einen Schlichtungsversuch von Thomas Koch alias Mr. Media.
Die Debatte über die Rolle von Mediaagenturen spaltet die Branche. Zeit für einen Schlichtungsversuch von Thomas Koch alias Mr. Media*
Mitten in meinen Urlaub (eine bodenlose Unverschämtheit) brach eine Debatte um die Rolle der Mediaagenturen los, die sich schnell zum "Battle" zwischen Kreation und Media auswuchs. Ich wurde von vielen Seiten gebeten, dazu Stellung zu nehmen. Ich werde Antworten geben, die nicht jedem gefallen - und manche Antworten, die vielleicht überraschen.
Es begann alles mit einem Gastbeitrag von Thomas Strerath (Ex-CEO Ogilvy & Mather, künftig Vorstand Jung von Matt) in "New Business", in dem er das Modell der Mediaagenturen als "bar jeglicher Vernunft und jenseits der Moral" beschrieb. In "Horizont" kartete er Mitte Februar mit einer Fundamentalkritik nach. Da ist die Rede von einer mediaberaterischen "Blase, die kaschieren soll, womit sie (die Mediaagenturen) eigentlich das Geld verdienen: mit dem Einkauf und den Rabatten, die dort erzielt werden." In seinen Augen sind Rabatte der einzige Mehrwert, den eine Mediaagentur bietet. Er prangert das Fehlen strategischer Beratungs-Kompetenz an - ebenso wie die mangelnde Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit Kreativagenturen.
Eine Woche später antwortete Manfred Kluge (Omnicom Media Group) gewohnt unaufgeregt und sachlich mit einem offenen Brief - ebenso wie diverse Kollegen (weniger sachlich) online, darunter Paul Vogler (ex-Mindshare, also ehemaliger Kollege von Strerath in der WPP-Gruppe). Kluge jedenfalls sieht die Zuständigkeit der Werbeagenturen erodieren. Selbst Amir Kassaei (CCO von DDB Worldwide) schaltete sich in die Debatte ein.
Vorab ein Punkt, der sehr irritiert: Thomas Strerath bezieht die meisten seiner Media-Erfahrungen vermutlich aus der (Nicht-) Zusammenarbeit mit den Mediaagenturen der WPP-Gruppe, also der Group M. Der Marktführer ist jedoch die einzige Mediaagenturgruppe, die sich in dieser Diskussion nicht zu Wort meldet. Das spricht nicht unbedingt für Meinungsführerschaft…
Arbeiten wir die angesprochenen Punkte im Einzelnen ab. Es ist offensichtlich an der Zeit, diese Thematik aus einer neutralen, eher unabhängigen Sicht klarzustellen. Hilfreich ist mir dabei, dass ich die beteiligten Protagonisten persönlich kenne und schätze.
1 Transparenz
Strerath hat recht. Den Kunden der Mediaagenturen ist keineswegs transparent, was mit ihren Mediageldern geschieht - geschweige denn, was die Mediaagenturen mit den Rabatten machen. Kluge liegt falsch, wenn er glaubt, mit Verträgen und Auditing wäre die Sache erledigt. Auditing schafft keine Transparenz. Wer glaubt, die Kunden wären mit dem bestehenden Mediaagentur-Modell zufrieden, hat lange nicht mehr offen mit den Verantwortlichen bei großen Werbungtreibenden gesprochen. Sie sind fast ausnahmslos stinksauer. Sie sprechen bei Agenturwechseln "vom Regen in die Traufe". Noch sehen sie keine Alternative, als sich weiter von ihren Mediaagenturen über den Tisch ziehen zu lassen.
2 Schiefe Mediapläne
Strerath behauptet, die Pläne der Mediaagenturen seien rabattgetrieben. Kluge räumt ein, dass es "schiefe Mediapläne" geben mag, schiebt die Schuld daran jedoch den Kunden selbst in die Schuhe. Sorry, Manfred, die schiefen Pläne, die mir zahlreiche Kunden zur Überprüfung vorlegten, waren allesamt zugunsten der Agenturen frisiert. Und zwar so geschickt, dass Kunden ohne eigenes Mediamanagement es nicht erkennen konnten. Das ist offener Betrug am Kunden zugunsten der eigenen Rendite. Ich gebe allerdings (gern) zu, dass mir noch kein solcher Fall aus deiner Agentur untergekommen ist.
3 Wer hat eigentlich den Lead?
Ausgerechnet Paul Vogler sagt: "Es ist eben heute eher so, dass erst der Container (Media) bestimmt wird und dann der Content (Kreation)." Er spricht damit ein Grundübel unseres Gewerbes an. Früher hatte die Kreation den Lead, heute Media. Beides war und ist grundfalsch - und wird es auch in Zukunft bleiben. Sterath äußert dazu: "Im Augenblick ist es schwer, den Dialog zu führen" und fordert ein neues Modell der Zusammenarbeit. Für ihn gehören Kreation und strategische Planung unabdingbar zusammen. Dass Kluge 2012 ebenso dachte und mit BBDO eine derartige Allianz schmieden wollte, erwähnt dieser leider nicht. Auch nicht, warum davon keine Rede mehr ist.
Nach meiner Erfahrung können fast alle ungewöhnlich erfolgreichen Kampagnen zurückgeführt werden auf eine ebenso ungewöhnlich enge Zusammenarbeit zwischen Kreation und Media. Deshalb: Wenn Kreation und Media nicht kongenial kooperieren, ist die Kampagne bereits in den Sand gesetzt. Wenn sich Kreativ- und Mediaagenturen (wie in diesem Disput erkennbar) als Kontrahenten, statt als Kollaborateure verstehen, liegt es einzig in den Händen der Kunden, sie - im Interesse des eigenen Kampagnenerfolges - regelrecht zur Zusammenarbeit zu zwingen. Und wenn nicht, beide augenblicklich vor die Tür zu setzen.
4 Die digitale Zukunft mit Google & Co.
Die US-Giganten Google, Facebook, Amazon & Co. sind dabei, die Regeln des Werbegeschäfts neu zu definieren. Das ist wahr. Kluge nennt sie eine "gerne angeführte Gefahr". Strerath stellt jedoch die Big-Data-Kompetenz der Mediaagenturen in Frage. Nach seiner Meinung zeugten die (zugebenermaßen noch extrem Fehler-behafteten) Targeting- und Retargeting-Modelle nicht von sonderlichem Können seitens Media. Wahr ist jedoch auch, dass sich die Algorithmen verbessern werden. (Zumindest bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Verbraucher sich dagegen wehren - und alle Mühe wieder zunichtemachen.)
Richtig ist, dass Jürgen Scharrer ("Horizont") in seinem Kommentar die Kampfhähne zur Ordnung gerufen hat. Und erklärt, dass Google & Co. eben nicht wie Vermarkter agieren. Sie sind niemals imstande strategische Mediapläne zu entwickeln. Sie werden nie an die Stelle eines neutralen Beraters rücken. Die neutrale Beratung über die Fähigkeiten von Google und Facebook liegt auch in Zukunft in den Händen der Agenturen. Am meisten Sinn (s.o.) macht es, wenn sich Kreativ- und Mediaagenturen dazu eine individuelle und gemeinsame Meinung bilden.
Man darf dieses Thema ohnehin nicht überstrapazieren. Natürlich digitalisieren sich die Medien. Noch verbleiben derzeit aber mehr als 90 Prozent der Werbespendings bei den guten, alten, herkömmlichen Medien. Wenn sich dieser Anteil im Laufe der Zeit auf 80 Prozent senkt, dürfen sich Google & Co. freuen. Das wird jedoch erst dann Wirklichkeit, wenn wir die digitalen Medien endlich gewinnbringend für unsere Kommunikation einzusetzen verstehen. Und das kann noch dauern.
Daher bitte ich bei diesem Thema um etwas mehr Gelassenheit auf Agenturseite. Auch Real Time Advertising und Real Time Bidding können nicht die letzten Antworten unserer Branche auf den Missmut der Verbraucher über nervende Werbung sein, der sie um jeden Preis auszuweichen versuchen.
5 Zu guter Letzt: Die Einkaufsgenossenschaft
Strerath sieht in naher Zukunft eine Media-Einkaufsgenossenschaft seitens der Werbungtreibenden oder gar der Kreativagenturen entstehen. Darauf geht Kluge verständlicherweise nicht ein. Die Einkaufsgenossenschaft wird kommen.Irgendwann. Spätestens dann, wenn den Werbekunden der Kragen endgültig platzt. Nichts bleibt, wie es ist. Das sollten die Shareholder der Mediaagenturen wissen.
Mein Fazit
Der Endstand lautet nach meiner Berechnung 5:3 zugunsten von Thomas Strerath. Aber darum geht es nicht. Es geht darum, dass sich Kreativ- und Mediaagenturen einander - ohne Neid, Häme und Vorwürfe - annähern, um ihren gemeinsamen Kunden den größtmöglichen Erfolg zu verschaffen.
Oder worum ging es eigentlich?
Für die, die es immer noch nicht verstanden haben: Wir sind Dienstleister. Wir arbeiten im Dienste unserer Auftraggeber. Kraft unseres Könnens und unserer Kompetenz verhelfen wir ihnen zum Erfolg. Und nur dafür werden wir honoriert. Alle anderen Geschäftsmodelle gehören endgültig in die Tonne.
* Thomas Koch, Agenturgründer, Ex-Starcom-Manager, "Wirtschaftswoche"-Kolumnist, Buchautor und Herausgeber von "Clap" und Media-Persönlichkeit des Jahres, bloggt seit 2013 für W&V. Er ist "Mr. Media". Der vorliegende Text erschien zuerst in der Print-Ausgabe von W&V.