Marken übernehmen journalistische Verantwortung?

Doch dann kommt folgende Aussage:

"Darüber hinaus entwickeln sich immer mehr Marken zu Publishern, die einen Teil der wegbrechenden Redaktionen ersetzen. Warum auch nicht? Die Aufgabe verlagert sich lediglich."

Bei Publicis glaubt man also, dass sich ein Teil der journalistischen Aufgabe von den Medien zu den Marken hin verlagert. Das ist eine ziemlich gewagte, zugleich einigermaßen schockierende Erkenntnis. Zugegeben, Marken haben schon immer Content verbreitet - seit ziemlich genau 130 Jahren. Wer nun aber glaubt, Herr Kahnt habe sich lediglich missverständlich ausgedrückt, muss nur sein Fazit lesen, um endgültig vom Glauben abzufallen:

"Wenn alle Marktteilnehmer die richtigen Schritte unternehmen, hat dies positive Auswirkungen für den Journalismus. Marken können dann zu Publishern werden und einen Teil der Verantwortung für den Berufsstand der Journalisten übernehmen. Ihnen somit eine neue Heimat werden. Verlage hingegen müssen neue Produkte und Werbeformate entwickeln. Dies sichert die Erlösquellen und damit direkt die Sicherstellung des Qualitätsjournalismus in den Bereichen, die eben nicht von Marken übernommen werden können. Somit ist Content Marketing keine Gefahr für journalistische Qualität, sondern unterstützt sie nachhaltig."

Oha! Marken sollen demnach nachhaltig journalistische Verantwortung übernehmen. (Gott bewahre.) Aber keine Sorge, ihr Medien, sie werden euch Bereiche überlassen, die sie nicht übernehmen. (Darüber entscheiden jedoch die Marken, nicht ihr.) Eure Zukunft liegt ohnehin eher in der Entwicklung neuer Werbeformate. (Seit jeher euer Hauptsteckenpferd.) Und Content Marketing übernimmt dann den Rest.

Gegen Schmerzen hilft…

Sebastian Halm von ibusiness.de bezeichnet die "Insights" des Herrn Kahnt auf Twitter als "Dumm. Fahrlässig". Ja, liebe Leser, es tut richtig weh. So weh, dass etwas Nachhilfeunterricht angesagt erscheint für diejenigen, die auf der Fachhochschule "Was mit Medien" geschwänzt haben.

Also: Zuallererst einmal gibt es Unternehmen, die Marken herstellen. Um sie bekannt und begehrlich zu machen, nutzen sie die ungeheure Reichweite, Strahlkraft und Unabhängigkeit der Medien (die sie selbst eben nicht besitzen), um ihre Zielgruppen anzusprechen. Zweitens: Diese Medien produzieren Journalismus - informativen und unterhaltsamen - um damit die Menschen zu erreichen. Sie verdienen an Vertriebs- und/oder Werbeerlösen. Last und ganz sicher least, daher drittens, gibt es Mediaagenturen, die die Unternehmen darin beraten (sollen), welche Medien sich zur Ansprache der Zielgruppen eignen.

Habe ich das richtig wiedergegeben? Ich glaube, ja.

Wenn nun Unternehmen stattdessen gemeinsam mit Mediaagenturen (hä?) die redaktionellen Inhalte produzieren und auf den Plattformen einstmals unabhängiger Medien "native" ausliefern (= Aufgabenverlagerung) - im Sinne von "Diese Mediaagenturen sind die dämlichsten, Sie glauben im Leben nicht, wer auf Platz 1 liegt" - dann passieren drei Dinge:

1. Die Grenzen zwischen Journalismus und Werbung verschwimmen vollständig.

2. Die Medien werden unglaubwürdig.

3. Die Medien, die wir für die Markenkommunikation benötigen, sterben.

Mensch, Medialeute, denkt eure unausgegorenen Gedanken doch zu Ende, bevor ihr damit an die Öffentlichkeit geht. Dann haben wir keinesfalls die langersehnte "Unterstützung des Journalismus". Nein, dann fehlen uns die Medienplattformen, die Marken zwingend brauchen, um ihre Botschaften öffentlich wirksam zu präsentieren.

Mediaplaner ohne Plan

Kein Wunder, dass auch der geschätzte Alt-Meister Paul Vogler inzwischen verzweifelt. In einem Beitrag für "Horizont" geht er mit der aktuellen Generation der Agenturchefs hart ins Gericht. Es fehlten ihnen Visionen für Ziele und für ihre Positionierung: "Auf der Strecke bleibt alles, was jedes gute Lehrbuch über Führungsprinzipien schreibt." Die Führungsmannschaften hätten "keinen Plan". (Ein besonders böser Vorwurf, wenn man damit ausgerechnet Media-"Planer" beschimpft.)

Wie recht Paul Vogler hat, zeigt sich an den erneuten Äußerungen der Publicis Media-Führungskräfte. Man muss hoffen, dass nicht jeder Manager der Gruppe nun jeden Monat mit irgendeinem neuen Firlefanz zu Wort kommt.

Wie schön wäre es, wenn wieder jeder das macht, wofür er einmal qualifiziert war - und wieder sein könnte. Also Unternehmen Marken, Medien Medien und Mediaagenturen Media. Ach ja, stimmt, das geht nicht. Den Mediaagenturchefs fehlt es an qualifiziert ausgebildeten Mediaplanern (Vogler). Und einer der Manager behauptet sogar "Empathie sei keine Führungsqualifikation". Ok, das erklärt einiges. Auch, warum sie das Vertrauen ihrer Kunden verloren haben. Dann bleibt ihnen natürlich keine Wahl, als Content und Kreation zu machen. Fragt sich nur: Wer macht dann Media?

Unterm Strich muss man zusammenfassen: Diese Agenturvertreter disqualifizieren sich als Partner auf Augenhöhe für die Zukunft der Kommunikation. Wir sollten ihnen schleunigst ihre Eimerchen wegnehmen. Am besten und als erstes den, auf dem Content Marketing steht.


Autor: Thomas Koch

Eine Ikone der Branche. Der Agenturgründer und frühere Starcom-Manager kennt in der Media-Branche alles und jeden. Thomas Koch ist Mr. Media.