Thomas Koch:
Schluss mit dem Innovationstheater!
Jede Menge Disruptionsgeschwurbel, viele Worte über Dinge, von denen man keine Ahnung hat, und wenig Vertrauen in Marken und Medien: Unser Blogger Thomas Koch hat unsere Republik genau so vorgefunden, wie er sie vor seinem Urlaub verlassen hat. Ein Rant. Und ein konstruktiver Vorschlag.
Sie kennen das: Sie kehren aus Ihrem zweiwöchigen Urlaub heim, betrachten die aktuelle Nachrichtenlage und werden das komische Gefühl nicht los, dass in der Zwischenzeit nichts wirklich passiert ist. Das beste und zugleich traurigste Beispiel hierfür sind die Nachrichten, Beiträge und Diskussionen rund um das Thema #koelnhbf. Seit vier Wochen schreiben sich unsere Medien tagtäglich die Finger wund, obwohl es keine neuen Nachrichten, geschweige denn Erkenntnisse oder handfeste, meldungswürdige Entwicklungen gibt.
Dafür beschäftigt faz.net (hoffentlich) hochbezahlte und meinungsbildende Journalisten, damit uns unter der Überschrift "Nicht ohne Drama" mitzuteilen, dass ein gewisser Gunter G. aus dem RTL-Dschungelcamp ausscheidet. (Zwischenfrage: Welchen Zweck haben Medien noch? Dienen sie nur noch der puren Unterhaltung?) Alleine mit diesen beiden Absätzen ließe sich der Untergang unserer sogenannten Qualitätsmedien vorbildlich einläuten. Dazu passt nur der Sinnspruch:
Silence ist better than bullshit
Und dann wäre da noch die WDR-Journalistin, die in einem Interview behauptete, die Sender seien angewiesen, "pro Regierung" zu berichten. "Auf Anweisung der Regierung", so @extra3, "zog sie die Äußerung nun zurück." Den Medien, schreibt dazu Meedia ins Pflichtenheft, mangelt es an einer gehörigen Portion Selbstbewusstsein. Man könnte auch sagen: an Sinn.
Dabei ist die Nachrichtenlage durchaus ernst.
Der Internet-Fraud wächst zu einem faustdicken Problem heran und wird die werbungtreibende Wirtschaft in diesem Jahr weltweit sieben Milliarden Dollar kosten. Roboter werden bald einen Großteil unserer Arbeitsplätze (dank Programmatic vor allem in Mediaagenturen!) vernichten.
Der Crash der Einhörner
Die Börsen, denen die Fachleute ein glänzendes Jahr vorhersagten, crashen bedenklich. So viel zum Wert von Prognosen. Dem bevorstehenden Crash 2.0 der jüngsten New Economy-Blase hat man bereits den sinnigen Namen "Einhorn-Crash" verpasst. Dabei werden Sevenone Media wahrscheinlich eine Menge Werbekunden abschmieren.
Die Wirtschaftselite befürchtet in Davos gar den Kollaps von ganz Europa - und damit gleich des ganzen Welthandels.
Die Deutsche Bank macht abenteuerlich hohe Milliardenverluste und ist inzwischen - ebenso wie unser ehemaliger Vorzeigekonzern VW - in Vorwürfe um Manipulationssoftware verstrickt.
Schluss mit der Innovation
Die deutschen Marketer des Jahres 2016 glauben nicht mehr an Hypes und Innovationen. Die Verbraucher glauben ihrerseits nicht an einen funktionierenden Datenschutz.
Und selbst Burdas DLD-Konferenz zu Beginn des Jahres wird entlarvt als Aufguss der Vorjahre und leidliche Bestätigung des Lemming-Verhaltens der Digitalbranche.
Wenn dann noch der Online-Marketing-Rockstar Philipp Westermeyer auf dem Deutschen Medienkongress gefeiert wird für seine Aussage "die Online-Marketing-Zielgruppe wird brutal groß werden", dann möchte man den Unkundigen zurufen, dass 2015 bereits 79,5 Prozent der Deutschen online waren. Ja, 56 Millionen Menschen sind eine brutal große Zielgruppe. Man, man, man…
Digitale Hyper-Scheiße
Man ist geneigt zusammenfassen, dass die Digitalisierung, die für den Großteil der wenig positiven Entwicklungen verantwortlich zeichnet, eine ganze Menge Hyper-Scheiße produziert. Offenbar nicht alles, was digital ist, glänzt. Weder wie Gold, noch so hell, wie es die Millennials unter den digitalen Protagonisten in ihren kühnsten Träumen erhofften.
Aber das bringt mich auf eine Idee. Wir brauchen dringend eine Diskussion. Eine Diskussion über die wirklichen, echten Vorteile der Digitalisierung - auch und gerade für Medien und Werbung. Die, die wir gerne annehmen und Sinn ergeben. Aber auch über die offensichtlichen Nachteile. Nach dem Motto: Ist das digital, oder kann das weg?
Gleichzeitig brauchen wir eine Diskussion über alles das, was wir von der analogen Welt besser und tunlichst erhalten sollten - auch und gerade für Medien und Werbung. Die Argumente für und wider digital vs. analog gegenüberzustellen, klingt reizvoll.
Am besten führen wir die Diskussion, bevor die Digitalisierung und ihre Algorithmen in blinder Wut alles Wertvolle vernichten, das wir womöglich erhalten wollten und sollten. Eine schöne Idee für einen Kongress, oder?