"Social Media wird die politische Kultur in Deutschland verändern"
Im Superwahljahr 2011 spielt erstmals auch Social Media eine Rolle. W&V-Redakteur Conrad Breyer hat mit Agenturchef und Blogger Curt Simon Harlinghausen über den neuen Wahlkampf im Netz gesprochen.
Im Superwahljahr 2011 spielt erstmals auch Social Media eine Rolle. W&V-Redakteur Conrad Breyer hat mit Agenturchef und Blogger Curt Simon Harlinghausen über den neuen Wahlkampf im Netz gesprochen.
Herr Harlinghausen, wenn es um Wahlen geht, blickt alles nach Amerika. Barack Obama hat im Internet seinen Präsidentschaftswahlkampf gewonnen. Welche Rolle spielt Social Media im deutschen Politikbetrieb?
Harlinghausen: Die Erwartungshaltung ist hierzulande in der Tat sehr hoch, weil Obama so einen großen Erfolg hatte. Bei der Bundestagswahl 2009 hatte Social Media aber noch nicht den Stellenwert, den es heute hat. Trotzdem sind wir nicht so weit, dass Wahlen im Netz entschieden werden.
Im Fokus steht der Straßenwahlkampf.
Das ist auch eine Frage der Kultur. In Deutschland will sich auf Facebook niemand outen, welche Partei er wählt. Social Media hat deshalb nicht den Einfluss wie in den USA.
Gilt das für alle Zeit?
Man soll nie nie sagen. Aber noch nutzen viele Politiker die sozialen Netzwerke ganz falsch.
Das heißt?
Ich würde auf ein Thema setzen, das bewegt, und den Bezug der Partei zu diesem Thema immer stärker einbringen. Das wäre eine gute Grundlage für einen Dialog. Dazu müssen Sie aber dezidiert eine Meinung vertreten, gegebenenfalls polarisieren; dann interessieren sich die Leute für Sie. Aber das passiert nicht ausreichend.
Stuttgart 21, die Anti-Atomkraft-Demonstrationen haben doch bewiesen, dass die Politiker diese Kunst beherrschen.
Aber nur offline. Sie müssen den Dialog ins Netz tragen. Dort verbringen die Menschen viel Zeit, Sie erreichen noch mehr Leute. Sie müssen eigene Inhalte und Formate für YouTube, Facebook, Blogs und Foren schaffen, On- und Offline-Tools verlinken. Aber den deutschen Politikern fehlt die Fantasie und der Mut, sich mit diesem unbekannten Medium auseinanderzusetzen. Und ihnen fehlt eine Haltung, eine bestimmte Meinung zu vertreten. Bei uns wird zumeist generisch argumentiert. Das tut niemandem weh.
Die Parteien sagen, den Straßenwahlkampf, das persönliche Gespräch, könne das Web eben nicht ersetzen.
Das ist falsch. Direkte Gespräche können Sie auch über Social Media führen. Auf der Straße können Sie ja nicht mit jedem sprechen. Aber wie gesagt: Dafür müssen Sie sich klar positionieren, Verantwortung übernehmen, sich Diskussionen stellen.
Und wer kuscht?
Der schwächt seine Position. Sie werden sehen: Social Media wird die politische Kultur in Deutschland verändern.