Bei der Kreation ließ man uns freie Hand, Briefings waren die Ausnahme. Und so entstanden tolle, unverkrampfte Kampagnen, die nicht vom Produkt, sondern von den starken emotionalen Nachholvisionen der Verbraucher ausgingen, sich endlich wieder was leisten zu können: Abheben mit Peter Stuyvesant ("Der Duft der großen weiten Welt"), eine Abenteuerreise mit Panteen, den Geschwindigkeitsrausch mit Esso, Eskapismus mit dem Puschkin-Mann und seinem Bären, Kaffeegenuss mit dem Tchibo-Einkäufer und läuft und läuft und läuft mit VW und öfter mal Pause machen mit Coca Cola und so weiter.

Die Kampagnen erzählten von einer besseren Welt, von Luxus, von Genuss, von den Schönen und Reichen. Gezeigt haben wir das anhand von Menschen als Leitbilder, die Produkte unserer Kunden saßen in der zweiten Reihe. Die Kampagnenrezepte waren einfach und leicht verständlich: eine Story mit viel Zeitgeist, ein Schlüsselbild und ein Claim. Hatte man eine Anzeige gesehen, erinnerte man sich daran bei der nächsten. Jede Kampagne hatte ihre Handschrift. TV-Werbung gab es nur 20 Minuten am Tag, dafür viel Print. Da die Zahl der Marken und Mediaspendings damals klein waren und es noch keine Inflation von Printtiteln gab, fiel man schon mit zwei Millionen DM Mediaetat gewaltig auf. Flops? Gab es wenige. Zehn Prozent im Jahr, schätze ich. Paradiesische Verhältnisse.

Werbung ist Kunst

Der erste Kreativ-Director, mit dem ich in den 60er Jahren zusammenarbeitete war Maler. Akademisch ausgebildet ein Riesentalent, mit tollem Charisma und großem Ego, mit dem ich keinen Wettbewerb verloren habe. Andere waren Illustratoren, Musiker, Filmregisseure, Architekten oder Ärzte, die aus der Langeweile eines Routineberufes ausgestiegen waren und einen abwechslungsreichen Job suchten, für den man nur eines brauchte: Fantasie. In den 60er und 70er Jahren kannte man diese Leute, nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus den USA und aus England und wusste welche Kampagnen sie gemacht hatten.

Die Agentur, die ich am meisten bewundert habe, war Gerstner, Gredinger, Kutter, genannt GGK, bestehend aus drei jungen Schweizern, einem Typographen, einem Architekten und einem Historiker. Die drei entsprachen so gar nicht dem Bild des heutigen Werbers. Gerstner stellte auf der documenta III und IV in Kassel aus, Kutter schrieb ein Buch zusammen mit Max Frisch und dem Historiker Burckhardt, publizierte über Schweizer Geschichte und Gredinger sagte jedem, der es hören wollte, er fände "Werbung einfach schauderhaft, so wie jeder normale Mensch".

Kommerzielle Werbung für Marken oder Produkte hat die drei nie wirklich interessiert. GGK hat Werbung in die Nähe von Kunst gerückt und einige wirklich spektakuläre Kampagnen gemacht. Das zog die besten jungen Kreativen an, die man später an herausragenden Positionen in den renommiertesten Agenturen wiederfand - aber auch etliche Kunden, die stolz darauf waren, bei GGK machen zu lassen, um in "Stern" und "Spiegel" ihre Werbemotive als Kunst ausstellen zu können. Mitreden durfte man bei GGK nicht. Und auf die Marktforscher, so sagte Michael Schirner, würde er seinen Hund hetzen.

Vom Übermut zum Überfluss

Wenn einem so viel Gutes wiederfährt, dann ist die Hybris nicht weit. Die Werbewunderkinder verdienten zu schnell zu viel, redeten zu laut darüber und 25-jährige Etatdirektoren ließen sich vom Fahrer zum Kunden kutschieren. Aus dieser Zeit haben wir unseren Ruf weg, mit wenig Aufwand viel Geld zu verdienen. Preisdiskussionen begannen, zuerst sehr behutsam, von den Kunden geführt, aber - ermutigt durch viele Newcomer-Agenturen - wurde am Fundament des Provisionssystems gerüttelt. Thomas Marcotty, Chef des Infodienstes "Context" ließ durch den BGH klären, ob das 15-Prozent-System rechtens sei. Es war. Aber es war auch thematisiert und lief uns allmählich aus dem Ruder. BGH hin oder her. Das war der erste Streich.

Der zweite folgte. Es ärgerte uns, dass Anfang der 70er Jahren die Werbung immer noch nicht Chefsache war. Wir solidarisierten uns mit der Presse, die das Zeitalter der Kommunikation ausrief und - steter Tropfen höhlt den Stein des Desinteresses - schließlich glaubte man uns. Der Stellenwert der Werbung stieg und mit ihm das Interesse des Managements. Aber leider nicht in der von uns gewünschten Richtung. Werbung wurde zur Marketingsache. Die Marktforscher wurden als Kontrolleure auf die Kreativzunft losgelassen.

Da wir hierzulande immer zu Übertreibungen neigen, haben wir es nicht bei der klassischen Frageforschung belassen, sondern Tachistoskope, hidden Cameras, Mosaiktests und ich weiß nicht was noch, eingesetzt und vieles was gut und kreativ war weggetestet. Werbung wurde rational und richtig, statt emotional und faszinierend, wie es noch wenige Jahre vorher in den Golden Sixties war und Logos und Produkte wurden größer und größer. Wo waren die tollen Kampagnenideen geblieben?

Der dritte Streich war der heftigste: Ich weiß nicht, wer es erfunden hat, aber irgendwann kam irgendwer auf die Idee, dass sich die Agenturen dieser Welt nicht mit ihren Umsätzen darstellen sollten, sondern mit denen ihrer Kunden. Billings nannten wir das. Nicht selten las man von neu gegründeten Agenturen, dass fünf Mann nach zwei Jahren schon zehn Millionen Mark Billings eingefahren hätten. Das weckte die Begehrlichkeit. So kam es, dass eine Gründerwelle ohne Ende in den 60er Jahren einsetzte, die sich in den 70er Jahren fortsetzte. Junge Leute gründeten schon unmittelbar nach der Uni ihre Werbeagentur. So viel Full-Service war zu viel, sogar für eine Wachstumsbranche. Der Markt segmentierte sich. Spezialagenturen entstanden für Pharma, für Sportartikel, für Investitionsgüter, für Direktmarketing, für PR, für Promotions, für Media.

Ende der 70er Jahre war aus der elitären Werbewunderkinder-Zunft eine ganz normal verdienende Branche geworden, die um jeden Etat pitchen musste und pro Agentur froh sein durfte, wenn sie davon jeden dritten bis vierten gewann.

Es gibt heute 100.000 beworbene Marken in Deutschland. 30.000 kommen jedes Jahr hinzu und von diesen 30.000 verschwinden 70 Prozent im nächsten Jahr wieder vom Markt. Anders als in den 60er Jahren weiß man heute vor lauter Marken und Werbung nicht mehr, welche Agentur welche Kampagne gemacht hat und schon gar nicht welcher Kreative – von ganz wenigen Ausnahmen mal abgesehen. Die Zeit der Stars ist endgültig vorbei.