Till Hohmann: "Die besten Kreativen sind nicht die mit den verrücktesten Brillen"
Till Hohmann ist seit 2010 Kreativchef von JWT Deutschland. Für W&V Online wird er in einem Video-Blog Eindrücke aus Cannes schildern. Im Interview mit W&V-Redakteurin Frauke Schobelt verrät er seine Konzepte für Ideenfindung und seine persönlichen Cannes-Lieblinge.
Till Hohmann ist seit Frühjahr 2010 Kreativchef von JWT Deutschland. Der international erfahrene und hoch dekorierte Kreative soll der Agentur zu einer "kreativen Renaissance" verhelfen. Seine Konzepte dafür? Kreativität ist für ihn "Denksport kombiniert mit Handwerkskunst", erklärt Hohmann im Interview mit W&V Online. Inspiration sucht er in der nächsten Woche auch in Cannes, in einem Video-Blog in Kooperation mit W&V schildert er von dort seine Impressionen und Eindrücke. Persönliche Löwen-Favoriten hat Till Hohmann viele, uns verrät er seine Lieblinge in der Kategorie Design.
Wo und wie haben Sie ihre besten Ideen?
Till Hohmann: In aller Regel beim Zuhören. Schon wenn Kunden ihre Probleme und Herausforderungen schildern. Oder wenn Forschungsergebnisse wiedergegeben werden. Wenn Teams ihre Grundkonzepte erklären. Oder auch wenn ich Gespräche von „ganz normalen Menschen“ verfolge, überhöre. Es ist in der Regel tatsächlich ein sehr spontaner Prozess. Es ist ein Gefühl für eine neue Vernetzung von Einzelteilen, die den Redenden meist nicht bewusst ist. Ich denke, es hat mit Erfahrung und Übung zu tun.
Wie fördern und lenken Sie die Kreativität Ihrer Mitarbeiter?
Hohmann: Ich betrachte unsere Arbeit als Denksport kombiniert mit Handwerkskunst. Es gibt verschiedenen Phasen der Ideenfindung. Dies muss jeder für sich allein erfahren und kultivieren. Und vor allem üben. Zudem gibt es Methoden, Grundmechaniken, Kunstgriffe. Diese kann jeder lernen. Was die Handwerkskunst anbelangt: hier hilft Talent schon. Und permanentes Interesse an neuen Entwicklungen, Techniken.
Und Ihre Aufgabe dabei?
Hohmann: Kreativität zu lenken heißt, dass man Ansätze, Ideen, Konzepte nicht mit einem Ja oder Nein beantwortet oder abtut, sondern sich intensiv dem Wieso, Weshalb und Warum widmet. Und Mitarbeitern aufzeigt, welche Lücken bestehen, aber auch wie man sie schließen könnte. Viele Ideen von Kreativen sind kreativ – das klingt banal, doch es beschreibt auch ein Problem: Sie sind oft nicht 100 Prozent adäquat durchdacht hinsichtlich der Businessprobleme oder der Marketingaufgaben. Das Verständnis dafür zu schulen und aus einer kreativen Idee ein Fachkonzept zu machen, ist meines Erachtens die wichtigste Förderung.
Gibt es „Denkräume“ bei JWT oder andere Hilfsmittel?
Hohmann: Da die Ideenfindung ein höchst individueller Prozess ist, ist jede Art von räumlicher Definition in meinen Augen schwierig. Solche Verortungen von Kreativität dienen eher der Eigenwerbung und vermitteln eine pseudo-schräge Betriebskultur. Wenn es hilft - meinetwegen. Doch in der Regel sind die besten Kreativen auch nicht die mit den verrücktesten Brillen, Frisuren oder Klamotten.
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Der kreative Leitwolf alleine in seiner Kammer oder Brainstorming im Team? Was ist effektiver?
Hohmann: Die Kombination von beidem. Nichts ist schlimmer, uneffektiver und ineffizienter, als unvorbereitete und große Brainstormings. Sie bringen nichts – dies ist übrigens erwiesen. Jeder muss vorher schon gedacht haben, geforscht, kreiert – als Fundament für eine sinnvolle kollaborative Verfeinerung.
Wie fühlt sich das an, die gute Idee, dieser besondere Moment? Wann weiß man es?
Hohmann: Es fühlt sich gut an. Und wenn dieses gute Gefühl sogar wächst, die eigene Begeisterung zunimmt während man den Gedanken prüft, von jeder Ecke durchdenkt, jede kritische Frage positiv beantworten kann, dann weiß ich, dass es richtig gut ist. Richtig und gut. Es ist wie das Lösen einer komplexen Matheaufgabe oder eines Kreuzworträtsels. Es ist immer auch eine Art Denksportaufgabe. Die Phase der Überprüfung und vor allem die Ausarbeitung, der Feinschliff – dies ist in meinen Augen dann immer ein kollaborativer Akt. Eine Idee kann wachsen – wenn man es will und fördert. Die gleiche Idee kann aber auch verkümmern.
Was hilft bei Blockaden?
Hohmann: Mir hilft rumlaufen, schnell Auto zu fahren, etwas anderes machen. Das hat viel mit der Psychologie der Ideenfindung zu tun – man muss das Problem verstehen, durchdenken und erste Lösungen entwickeln. Hier kommt dann meist die Blockade. Und es hilft nichts, dann verkrampft weiterzumachen. Das Wunderbare an unserem Gehirn ist, dass es im Hintergrund Blockaden abbaut. Der Heureka-Moment ist meist nichts anderes als der Abschluss dieser inneren, unbewussten Hirnarbeit. Leider wird dies heute immer weniger von Kunden wie Agenturen respektiert. Zu knappe Timings stehen im Widerspruch zu der grundsätzlichen Funktion unseres Gehirns. Doch da dies wenig Gehör findet, muss man dann eben blitzschnell die gelernten und geübten Methoden und Mechaniken abrufen können. Das Tolle ist ja: Man findet immer eine Idee.
Welche kreative Idee hätten Sie gerne gehabt?
Hohmann: Ganz groß gedacht: die Erfindung der Schriftsprache. Banaler gedacht und bezogen auf die flüchtige Arbeit unserer Branche: Chalkbot von Nike, Auditorium von Heineken, viele der Droga5 Arbeiten, die Verwandlung von McDonald’s mit der Einführung von McCafe, räumliche Inszenierungen wie etwa der LED Ball im Deutschen Pavillon in Schanghai. Ehrlich gesagt: es gibt sehr viele Arbeiten, die mich faszinieren. Und solange das so ist, kann ich getrost weitermachen.
Welchen Lieblingsrat geben Sie jungen Nachwuchskreativen?
Hohmann: Lesen. Alles, was einem in die Hände fällt. Gerne auch mal schwere Kost, wie etwa ein Marketingbuch oder soziologische Studien. Dann natürlich: Casestudies ansehen und verstehen – nicht um sie zu kopieren, sondern um Mechaniken zu lernen. Und: üben, üben, üben. Facebook-Updates schreiben zählt übrigens nicht dazu.
Was erwarten Sie von Ihrem Besuch in Cannes?
Hohmann: Inspiration. Viel Arbeit. Hoffentlich gute Beiträge für unsere Serie „Cought in Cannes“, die ich für JWT Germany in Kooperation mit W&V mache. Und am Ende einen Kater.