Respekt! Die Folge dieser konsequenten Haltung sind einige Stolperfallen: So entscheidet zwar bei zeitgleichen Beiträgen der Chefautor, welchen er veröffentlicht - paralleles Schreiben aber kann er nicht verhindern. Die Autoren texten in dem ihnen eigenen Tempo und Stil zum letzten Anschlusskapitel, und so kommt es, dass gleich zu Beginn der Geschichte der Kommissar Leise nicht einmal, sondern viermal mit dem Detektiv Igor telefoniert. "Wir haben erst überlegt, rigoros zu beschränken", sagt Surmann, "eben wegen der möglichen Parallelität und der Handlungssprünge." Das allerdings hätte zur Folge gehabt, dass mit jedem einzelnen Mitautor verhandelt werden muss, außerdem wäre die Verlosung in Mitleidenschaft gezogen worden.

Socialmedia-adäquat beißt also die Gothaer in den sauren Apfel und nimmt in Kauf, dass die Krimihandlung an einigen Stellen ins Trudeln kommen wird. "Wir lassen  der Kreativität freien Lauf und schreiben dafür, wenn es zu langwierig, widersprüchlich und kompliziert wird, eine kurze Zusammenfassung, damit die Leute dann darauf aufsetzen können." Nur zwei Beiträge seien bisher nicht veröffentlicht worden - zu eklig und zu brutal, das geht dann bei aller Online-Freiheit nicht. 

Weitere Tücke: Die Teilnehmer sind teilweise Mehrfachtäter, ihre Opfer sind die Handlung und die deutsche Rechtschreibung. Aktuell gab es 24 Kapitel von 15 Leuten, die dann auch mal interpunktions- und sinnfreie Blüten enthielten wie "Natürlich freute sich Igor für Tim aber er mußte auch festellen das es immer merkwürdiger wurde" oder "Das war nun wirklich der Höhepunkt! das dieser Dieb keinerlei rücksicht auf seine Freizeit nahm war das eine das andre war diese Sauerei ja man hatte zeigen wollen zu was man fähig gewesen wäre und Gottseidank nicht getan hatte."

Hätte er das mal nicht getan, genau. Aber auch das ist eben Freiheit im Internet. Wie kriminell die Beiträge dann aus literarischer Sicht auch sein mögen und wie sehr sich doch der eine oder andere Mitautor daran ergötzt, den anderen die Handlungsstränge zu zerstören. Die Verantwortlichen bei der Gothaer aber lassen sich nicht unterkriegen und sind sehr zufrieden mit dem Verlauf der Aktion. Surmann: "Wir lernen natürlich auch ständig dazu, das ist ja eine völlig neue Art des Gewinnspiels, da wird die intellektuelle Kreativität der Leute schon ziemlich gefordert." Mit einem Massenansturm und enormem Wachstum der Fanzahlen habe man ohnehin nicht gerechnet. "Wir wollten mal etwas anderes machen und so Aufmerksamkeit erregen, das ist bisher absolut gelungen", freut sich der Sprecher. Man setze lieber auf die wirklich interessierten Fans. So wie 2011. Da verbuchte die Gothaer laut Pressesprecherin Martina Faßbender mit dem Aufruf, berühmte Kunstwerke kreativ zu nachzuempfinden, eine "sehr gute Resonanz bei den Usern". 


Autor: Susanne Herrmann

schreibt als freie Autorin für W&V. Die Lieblingsthemen von @DieRedakteurin reichen von abenteuerlustigen Gründern über Medien und Super Bowl bis Streaming. Marketinggeschichten und außergewöhnliche Werbekampagnen dürfen aber nicht zu kurz kommen.