Kommentar:
Benedikt Holtappels: "Ohne Risiko stagniert Kommunikation"
Kommunikation ist eine risikofreie Zone, Mainstream wird durchgewunken, Werbung immer selbstähnlicher. Dabei erfordert Wachstum unbedingt Risikobereitschaft, wie Marken erfolgreich beweisen. Ein Kommentar von Benedikt Holtappels, GGH Lowe.
Kommunikation ist eine risikofreie Zone, Mainstream wird durchgewunken, Werbung immer selbstähnlicher. Dabei fordert Wachstum unbedingt Risikobereitschaft, wie Marken erfolgreich beweisen. Ein Kommentar von Benedikt Holtappels*, CEO von GGH Lowe, Hamburg/Frankfurt.
Risiko eingehen bringt Erfolg
Gerade wurde Tesla vom "Forbes Magazin" zum weltweit innovativsten Unternehmen gekürt. Was Tesla? Die versuchen doch seit Jahren vergeblich die Mehrheit der Autofahrer von Elektro-Autos zu überzeugen. Sie schreiben seit Gründung 2003 roten Zahlen, verbrennen Cashflow und kämpfen gerade mit dem Rückgang bei den Zulassungszahlen. Für "Forbes" alles kein Grund, Tesla zu ignorieren. Dies sei nun mal der Preis für Innovation und Erfolg. Eine weitsichtige Einschätzung des US-Magazins. Für mich gehört Tesla zu jenen Unternehmen, die bereit sind Risiken einzugehen. Auch weil sie längst ihren Markenkern erweitert haben und sich in Richtung Anbieter nachhaltiger Energieprodukte entwickeln. Und damit machen sie neue Märkte auf, so dass sie langfristig Wachstum generieren können.
Deutschland gilt nicht gerade als risikofreudiges Land. Noch sind unsere Produkte am Weltmarkt Spitze, aber reicht das? Wo sind die bahnbrechenden Innovationen etwa durch die Digitalisierung? Wo die Risiko-Manager, die etwas wagen und dadurch neue Geschäftsfelder aufmachen? Es gibt sie. Und das Beste daran ist, sie schaffen das durch Markentransformation. Zum Beispiel Vorwerk, ein Unternehmen, das Staubsauger verkaufte und dann auf die verrückte Idee kam, ganze Gerichte mit einem Mixer zu kochen. Inzwischen wünschten sich viele Firmen, sie hätten den Verkaufsrenner Thermomix erfunden. Oder Wursthersteller Rügenwalder Mühle, über dessen Veggie-Produkte die Konkurrenz erst lästerte und nun versucht, schnell nachzubauen. Denn das selbstgesteckte Umsatzziel für die vegetarischen Wurstprodukte wird Deutschlands größter Wursthersteller laut einem Bericht in der Welt wohl schon im ersten Produktionsjahr erreichen. Tolle, mutmachende Beispiele, auch wenn sie noch an einer Hand abzählbar sind.
Auch in der Kommunikation herrscht überwiegend risikofreie Zone. Heute wird vor allem Mainstream durchgewunken. Lösungen, die keinem wehtun, den Geschäftsführer nicht aufregen, aber auch dafür sorgen, dass Werbung immer selbstähnlicher wird. Überlegen Sie mal: Welche Kampagne hat sie in letzter Zeit bewegt? Welche ist Ihnen überhaupt im Gedächtnis geblieben? Ich habe mich neulich gefragt, ob so ein Klassiker-Spot wie "Die Ohrfeige" für Mercedes-Benz heute noch möglich wäre. Schließlich wird da jemand geohrfeigt und Deutschland ist heute eher Meister in Political Correctness als in aufmerksamkeitsstarker Kommunikation. Vielmehr lullen wir uns in planerische Sicherheit, in das Feedback von Mafo-Gruppen und das Kopfnicken der höheren Hierarchieebene. Hauptsache, wir sind effizient. Doch mit Effizienz kreiert man kein Momentum für Wachstum. Ohne Risiko stagniert die Kommunikation und mit ihr ein gutes Stück die Wirtschaft.
Agenturen können durchaus dazu beitragen, das Klima zugunsten von Risiko und Innovation zu prägen. Wir müssen uns alle mal wieder an die Nase fassen und fragen, ob wir - getrieben von kurzfristigem Projektmanagement und Effizienzdruck– genug dafür tun, Kunden außergewöhnliche Kommunikationsideen zu präsentieren? Vielleicht sind wir inzwischen zu sehr im Vorauseilendem-Gehorsam-Modus und zeigen Kunden vor allem das, von dem wir annehmen, dass sie es sehen wollen. Und eben nicht das, was risikoreich ist, aber Konsumenten heute anspricht. Dabei können Veränderungen auch im Kleinen anfangen. Indem man zum Beispiel ganz ehrlich seine Meinung sagt, auch wenn das zu härteren, unangenehmen Diskussionen mit den Kunden führt. Oder indem wir selbst in Forschung & Entwicklung investieren. Das kann in Form von gutem Planning sein, aber auch Produktentwicklung umfassen, wie das die Kollegen von Kolle Rebbe etwa mit „Stop-the-Water“ vormachen.
Mein bestes Inspirationsbeispiel für den Mut zum Risiko, der am Ende belohnt wird, befindet sich übrigens in meiner Nachbarschaft. Obwohl es gefühlt 1000 Gin-Sorten gab und die großen Hersteller den Markt dominierten, hat Stephan Garbe 2014 angefangen, Gin Sul in Handarbeit und mit portugiesischer Note in einem Hinterhof in Altona zu produzieren. Inzwischen findet man die Marke in allen großen Bars und Restaurants. Ok, Stephan hat dafür der Werbung ade gesagt. Sagen wir doch stattdessen jener Werbung wieder Hallo, die den Mut hat, laut, unkonventionell, um die Ecke gedacht und aufmerksamkeitsstark zu sein. Das Risiko sollten Agenturen und Werbetreibende doch wirklich gemeinsam tragen können.
* W&V-Kolumnist Benedikt Holtappels ist Mitgründer von Grimm Gallun Holtappels in Hamburg und gehört nach dem Verkauf an Lowe + Partners zur Geschäftsführung der umfirmierten Agentur GGH Lowe.