Gut, Danke! Wir feiern am Mittwoch mit der Gruppe, das, was wir gemacht haben. Natürlich haben wir nicht die 90 Prozent erreicht. Noch nicht mal 80 Prozent – was ehrlicherweise von vorn herein realistischer gewesen ist, obwohl die 90 Prozent ja erlebte Realität waren und kein Hirngespinst. (1972 und 1976 lag die Wahlbeteiligung jeweils bei 91 Prozent; Anmerkung der Redaktion)

Aber es sind mehr Menschen zur Wahl gegangen als zuletzt. Wir haben auch ein deutlich größeres Interesse an Politik erlebt und viele gute, aufschlussreiche Erfahrungen gemacht.

Vielleicht braucht es einfach einen längeren Anlauf. Und vielleicht muss vielen die schwierige Situation, in der wir stecken, noch klarer werden. Aber die Richtung stimmt. Sich in einer Demokratie für eine hohe Wahlbeteiligung einzusetzen, kann per se nicht falsch sein. Da machen wir weiter. Und wenn dadurch die politische Achtsamkeit und das politische Engagement wächst, dann wird das – mit ein bisschen mehr Anlauf – irgendwann auch zu was führen. Kein Zweifel.

Haben Sie die Ziele erreicht – oder hatte die Kampagne keinen Effekt auf Ihre Zielgruppe? Rund 1,2 Millionen ehemalige Nichtwähler haben die AfD vermutlich nicht gewählt, weil sie die Kampagne beeinflusst hat.

Ich rate allen, die jetzt gerade schnelle Schlüsse raushauen, sich die Zahlen der Wahlanalysen und Wählerwanderungen sehr genau anzuschauen und dem Reflex, dass die ehemaligen Nichtwähler vor allem AfD gewählt hätten, nicht zu schnell zu verfallen. Abgesehen davon, dass sich ein Effekt letztlich nicht wirklich beweisen lässt, kann ich sagen: Die Kampagne hat definitiv viele Menschen erreicht.

Es gab großen Zuspruch und wir wissen, dass die Diskussionen, die die Kampagne ausgelöst hat, Menschen, die vor vier Jahren nicht gewählt haben, zum Wählen bewogen hat. Wenn sich aber gleichzeitig ganz viele, die vor vier Jahren noch gewählt haben, jetzt von der Politik abwenden, ist das natürlich kontraproduktiv. Ein echter Effekt wäre nur entstanden, wenn es die Volksparteien geschafft hätten, ihre Wähler bei der Stange zu halten UND ehemalige Nichtwähler hinzugekommen wären.

Im Übrigen hatten wir ja auch „klare Kante“ als Ziel ausgegeben. Ziel war also auch, ein bisschen Licht in die Blackbox der Nichtwähler zu bringen und herauszufinden, wie das Land tatsächlich tickt – egal, wie die Wahl ausgeht. Und das haben wir ein Stück weit geschafft. Wir wissen zum Beispiel jetzt, das über 6 Millionen ehemalige Nichtwähler diesmal gewählt haben. Gleichzeitig haben sich allerdings auch fast 3 Millionen bisherige Wähler insbesondere der Volksparteien in die Nichtwählerschaft verabschiedet – aber nicht AfD gewählt!

Das ist ein Bild mit dem man arbeiten kann. Denn wenn es den Volksparteien gelingen sollte, ihre ehemaligen Wähler, die jetzt gar nicht mehr gewählt haben, zurückzugewinnen, dann sieht das Gesamtbild völlig anders aus! Das ist das Potential!

Hat sich der Aufwand gelohnt?

Zu 100 Prozent. Allein schon der höheren Achtsamkeit und des gestiegenen politische Bewusstseins in unserer Gruppe und bei den vielen tausend Menschen, die uns unterstützt haben, wegen. Und wenn das so weitergeht, wird sich das auch auswirken. Seit 1976, erst unter Kohl, dann unter Merkel, haben die regierenden Parteien - übrigens sehr mehrheitlich die CDU - für ein stetig nachlassendes Interesse an Politik gesorgt. Das wird jetzt wieder anders. Und dafür sind solche Initiativen, wie "Mit mir 90 Prozent" einfach wichtig. Wir werden weitermachen.

Neben Erler und Mitinitiator Benedikt Holtappels (GGH MullenLowe), engagierten sich viele weitere Top-Kreative für "Mit mir 90 Prozent". Dazu gehören Michael Trautmann aus dem Thjnk-Vorstand, Stern-Herausgeber Andreas Petzold und PR-und Marketingberater Christian Gummig (Gummig Kommunikation) sowie Tagesschau-Sprecherin Linda Zervakis. Auch Branchenverbände wie der GWA, die GPRA, der ADC und die OMG hatten Unterstützung zugesagt. Daneben unterstützen viele Medien beide Aktionen.

"Du hast die Wahl" zählte neben Anacker und vielen weiteren auch Stephan Rebbe (Kolle Rebbe), Ralf Zilligen (McCann), Christian Schmalzl (Ströer) und Markus Biermann (Crossmedia) zu den Unterstützern.


Autor: Leif Pellikan

ist Redakteur beim Kontakter und bei W&V. Er hat sich den Ruf des Lötkolbens erworben - wenn es technisch oder neudeutsch programmatisch wird, kennt er die Antworten. Wenn nicht, fragt er in Interviews bei Leuten wie Larry Page, Sergey Brin oder Yannick Bolloré nach.