Schmidt: Politische Börsen haben kurze Beine. Ich erwarte kurzfristig einen ähnlichen Verlauf wie nach dem Brexit-Referendum: ein erster Schock und rasche Normalisierung. Mittelfristig entscheidend wird sein, welche gravierenden Veränderungen sich aus einem toxischen Schmelztiegel von möglicherweise protektionistischer und interventionistischer US-Wirtschaftspolitik, einem harten Brexit, der ungelösten Verschuldungskrise und dem permanenten Sauerstoffzelt einer extremen Niedrigszinspolitik ergeben.

Welche Risiken sehen Sie für Ihre Agenturgruppe und die Werbebranche?

Schmidt: Wenn die Weltwirtschaft weint, werden wir nicht lachen.

Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation als Politikwissenschaftler?

Schmidt: Wir erleben jetzt vielleicht endgültig das Ende der Nachkriegsgeschichte und ihrer klaren Koordinatensysteme. Dieses Ende wurde durch den Fall der Berliner Mauer und den Zerfall des Warschauer Pakts eingeleitet. Heute sehen wir die westlichen politischen, militärischen und wirtschaftlichen Bündnisse in ihrem Zusammenhalt herausgefordert. Das Konzept des Westens steht aber auch im Inneren auf dem Prüfstand. Dabei geht es im Kern um gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Liberalität. Scheinbare Selbstverständlichkeiten sind in diesem Jahr 2016 zur disponiblen Verhandlungsmasse auf dem Markt populistischer Positionen geworden. Der Bedarf an Selbstvergewisserung der westlichen Welt in Bezug auf ihre Fundamente, Werte und Spielregeln war nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs noch niemals so hoch.

Interview: Markus Weber


Autor: Markus Weber

Markus Weber ist seit 20 Jahren Mitglied der W&V-Redaktion. Als Nachrichtenchef ist er für die aktuellen Themen auf wuv.de zuständig. Darüber hinaus ist er innerhalb der Redaktion der Themenverantwortliche für "CRM & Data". Aufgewachsen ist Markus auf einem Bauernhof im Württembergischen Allgäu. Mit fünf Geschwistern.