Thomas Strerath wiederum sah als Vorstand für sich eine neue Chance. Chef von Deutschlands bester Kreativagentur, nicht nur erfolgreich, sondern gefeiert, mit viel Gestaltungsfreiheit, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Es hätte das Ausrufezeichen einer beispiellosen Karriere sein können. Strerath kommt aus kleinen Verhältnissen, hat sich hochgearbeitet.

Erfolge müssen her bei aller Streitbarkeit

Doch - es sollte nicht sein. Jung von Matt beschäftigt eine ganze Menge spezieller Typen, die Agentur ist sehr dezentral organisiert. Man pflegt den Austausch, die Reibung, auch Strerath war in der Glashüttenstraße als "brillanter Denker und Formulierer" geschätzt, wie ein Kollege sagt. Aber: Es muss sich halt auszahlen! Ideen und Präsentationen müssen umgesetzt werden; Machen lautet die Devise! Und die Zahlen sind nicht so gut (Gross Income 2016: -9,58 Prozent; 2015: -4,78 Prozent); in Deutschland war Jung von Matt 2016 so groß wie zuletzt 2011. Auch ausreichend Neugeschäft haben Strerath und Pohl nicht gebracht: Saturn kam, ja, auch Hyundai/Kia konnten sie ausbauen, Mercedes-Benz indes nicht halten, die Bahn und Opel nicht gewinnen. Jüngst haben sie den Pitch um Veltins verloren. Jean-Rémy von Matt war offenbar schwer enttäuscht darüber, dass Strerath da nicht selbst präsentiert hat, heißt es, sondern im Urlaub war.

Strerath aber verfolgte selbstbewusst weiter seine Agenda. Nach außen: Interviews, Gastbeiträge und Statements zu Content Marketing, Amazon, davor: Effiegate und eine Diskussion um Arschlochkultur in Agenturen. Nach innen: Umbau der Struktur, um Jung von Matt auf sich zuzuschneiden. Zu komplex war ihm das Konstrukt Jung von Matt, zu langsam. Bei Ogilvy war er anderes gewöhnt, aber das war auch keine inhabergeführte Agentur. Und weil er es sich über die Jahre mit seiner Art viele Feinde gemacht hat, wollte auch niemand so recht mitgehen mit seinen Ideen. Jung von Matt kann man nicht von oben herab regieren.

Strerath blieb ein Fremdkörper

Klar, Jung von Matt ist kein Kuschelverein. Das ist keine Agentur von Leuten, die aufeinander zugehen. Leistung zählt, Einsatz, klare Ansagen, der Wettbewerb ist hart. Strerath passt da eigentlich gut rein, das geht es ehrlich zu, aber zur Kultur von Jung von Matt gehört auch: Man, frau muss sich erstmal beweisen, bevor die anderen einen akzeptieren und sollte die Leute mitnehmen. Jemand sagt: "Holger Jung zeigte immer klare Kante, aber er kannte jede Putzfrau." Strerath blieb ein Fremdkörper. Vielleicht hat Jean-Rémy von Matt da auch selbst einen Fehler gemacht, Strerath gleich in den Vorstand zu setzen; er hat sich blenden lassen.

Und dann sicher schnell bereut, als sich der Neue mit seiner kritischen Haltung zum Content-Marketing irgendwie auch gegen die eigene Zunft, die eigene Agentur wandte. Andere entwickeln sich dynamischer. Nichts hasst Jean-Rémy von Matt mehr als Misserfolge und Leute, die laut sind, aber nicht liefern. Andererseits hatte Strerath augenscheinlich vor, die Agentur schlagkräftiger zu machen. Vielleicht hätte er sich dann erst so richtig austoben können? Wer weiß. Auch Pohl hat sich angeblich für einen Umbau eingesetzt. Für den Moment jedenfalls sind beide Seiten aneinander gescheitert und Jean-Rémy wird sich vermutlich dazu durchringen, noch ein Weilchen zu bleiben. Für die Agenturmarke Jung von Matt ist das alles andere als gut.


Conrad Breyer, W&V
Autor: Conrad Breyer

Er kam über Umwege zur W&V. Als Allrounder sollte er nach seinem Volontoriat bei Media & Marketing einst beim Kontakter als Reporter einfach nur aushelfen, blieb dann aber und machte seinen Weg im Verlag. Conrad interessiert sich für alles, was Werber- und Marketer:innen unter den Nägeln brennt. Seine Schwerpunktthemen sind UX, Kreation, Agenturstrategie. Privat engagiert er sich für LGBTQI*-Rechte, insbesondere in der Ukraine.