Es würde sich bestimmt was finden und es gibt Agenturen, die diese Punkte ernst nehmen und wirklich mehr bieten. Es sind noch zu wenige und es wird zu wenig darüber gesprochen.

Kritischer Blick auf den eigenen Berufsstand

Fragen Sie mal einen Agenturchef nach seiner Wahrnehmung der eigenen Branche. Nicht selten werden sie hören, man selbst sei „ganz anders als die anderen“ – also nicht so arrogant und dafür viel bodenständiger und eben ganz normal. Der Blick auf den eigenen Berufsstand ist distanziert kritisch. Aus der Berufsbezeichnung Werber wird im umgangssprachlichen Gebrauch der Werbefuzzi, die Werbeagenturen selbst wollen gar nicht mehr so heißen, die Berufsbilder von früher klingen altbacken (Wer will schon „Werbeberater“ sein?) und die Berufsbezeichnungen in den Agenturen sind so beliebig und vielfältig geworden, dass ein potenzieller Bewerber ohne Erfahrung kaum durchblicken kann.

Die Agenturen beklagen mangelnde Wertschätzung durch die Kunden. Ein Argument, das ich durchaus nachvollziehen kann. Sie könnten aber selbst etwas dafür tun, indem sie die eigene Branche besser aussehen lassen. Wer Agenturleuten zuhört, die über Konkurrenten reden, dem kann zuweilen angst und bange werden. Klar tut es weh einen Pitch zu verlieren, von Hochachtung oder Wertschätzung dem Gewinner gegenüber ist aber so gut wie nie etwas zu spüren. Wenn ein Mitarbeiter kündigt, tut er gut daran nicht zu verraten, in welche Agentur er wechselt, denn er muss befürchten, dass sein neuer Arbeitgeber schlecht gemacht wird. So werden auch immer in den „anderen“ Agenturen die Leute geknechtet. Und es sind immer die Konkurrenten, die falsch gespielt haben, sich nicht an die Pitchregeln halten  oder den Deal „hinten rum“ verhandelt haben.

Das sind subjektive Eindrücke – zugegeben. Doch sie sind zahlreich. Eine Branche, die von sich selbst keine hohe Meinung hat, kann auch keine Attraktivität vermitteln. Wer andere schlecht macht, fügt letztlich dem Gesamtbild Schaden zu.

Wochenendarbeit ist heutzutage nicht mehr salonfähig

Überstunden oder Wochenendarbeit sind heute nicht mehr salonfähig. Früher waren Nachtschichten speziell vor wichtigen Präsentationen so etwas wie die höhere Weihe innerhalb der Agentur. Heute wirkt das abschreckend. Die Diskussion um das, was wir Work-Life-Balance nennen, hat in Bezug auf Werbeagenturen reale und fatale Auswirkungen. Agenturen entwickeln Ideen und steuern Werbekampagnen. Der Erfolg der Arbeit hängt vom Können und dem Einsatz der Mitarbeiter ab. Nicht Maschinen müssen dafür länger oder schneller arbeiten, sondern Menschen. Eine weitere Kampagnenidee, ein zusätzlicher Entwurf, eine erneute Korrektur, das Erreichen des Messetermins -  alles lösbar, wenn die Mitarbeiter bereit sind, zusätzlich Zeit dafür zu investieren. Also Überstunden, möglichst ohne Zuatz-Salär.

Immerhin ist jetzt ein Trend zu erkennen, die Überstunden-Thematik fair zu lösen. In manchen Agenturen sogar mit dem Ziel, überhaupt nicht mehr über die Regelarbeitszeit hinaus zu arbeiten. Man kann sehr gute Ideen auch an einem Acht-Stunden-Tag enwickeln und Kunden in dieser Zeit gut beraten und betreuen. Es erfordert aber mehr Disziplin, mehr Struktur und saubere Prozesse.

In einer Zeit, in der junge Mitarbeiter nach der drei- oder vier-Tage-Woche fragen, geraten Werbeagenturen in die Defensive. Längst hat die Werbung ihr Faszinations-Potenzial eingebüßt. Wenn die Branche als solche nicht mehr so attraktiv ist und der gesellschaftliche Trend außerdem in eine andere Richtung zeigt, dann müssen die Agenturen nach Alternativen suchen, um das Dilemma zu lösen. Eine könnte die bessere Beteiligung am Unternehmenserfolg sein; eine anderer die strukturiertere Organisation, um durch reibungslose Prozesse Überstunden zu ersetzen. Die Zusammenarbeit in jungen Teams und die Freiheit, neue Werbeideen zu entwickeln gehören auch dazu.

Ich glaube immer noch daran, dass die Arbeit in einer Werbeagentur etwas Spezielles ist. Eine Arbeit, die intensiv wirkt. Eine Arbeit, die Adrenalin produziert und die fasziniert. Auch wenn die Faszination einen Zwillingsbruder mit Namen Enttäuschung hat. Dieser Gegensatz ist etwas Besonderes.

Kreation als Schlüsselfaktor - Awardkultur nicht verteufeln

Wenn es etwas gibt, das Werbeagenturen als Arbeitgeber anziehend macht, dann der Faktor Kreation. Ein Unternehmen, in dem Werbeideen erdacht und umgesetzt werden, müsste eigentlich tolle Arbeitsplätze bieten können. Müsste Inspiration und Energie freisetzen! Die Agenturen suchen Texter, CDs, ADs, Designer. Doch gerade die Kreativen sind Mangelware.

Die Agenturen selbst machen zu wenig aus ihrem kreativen Potenzial. Wer als ehrgeiziger Nachwuchs-AD eine eigene Kampagne oder ein eigenes Magazin gestalten darf, muss erst mal am Senior-AD und am CD vorbei. Das sind Menschen, die seit 15, 20 Jahren dabei sind, die sich selbst hoch gearbeitet haben und für die es selbstverständlich ist, dass der Nachwuchs sich das erst mal verdienen muss. Das mag hier und da richtig und wichtig sein, in vielen Fällen bremst es aber die Motivation und dann bleiben die jungen Leute lieber als freie Mitarbeiter auf dem Markt oder gründen mit Altersgenossen eine eigene kleine Agentur, in der sie sich erfolgreich verwirklichen können.

Der Faktor Kreation ist für mich ein Schlüsselfaktor, den die Agenturen deutlich machen sollten. Die Chance, für verschiedene Marken und Branchen zu arbeiten. Die Chance, schon als junger Mensch, selbstständig für einen Kunden zu arbeiten. Die Chance, bei einem Kreativ-Wettbewerb zu gewinnen und den eigenen Namen auf der Trophäe zu lesen – das können nur Werbeagenturen bieten.

Kreation ist die Kernkompetenz von Werbeagenturen. Sie wird allerdings zu billig verkauft (häufig zum Nulltarif mitgeliefert), und sie gilt auch in der eigenen Branche als verdächtig. Die sogenannten „Kreativagenturen“ werden kritisch beäugt, weil sie den Nachwuchs mit glamourösen Etats und tollen Kreativevents locken. Man unterstellt ihnen, dass sie das nutzen, um die eigenen Leute auszunutzen. Aber immerhin bekommen diese Agenturen mehr Bewerbungen als andere. Der Faktor Kreation scheint also zu ziehen. Die Agenturen sollten das deutlich machen und mit ihren kreativen Herausforderungen werben. Dazu gehört auch das Bekenntnis zu Kreativ-Awards. Das „Runtermachen“ dieser Veranstaltungen in der eigenen Branche ist dem guten Ruf nicht dienlich.

Agenturen müssen in die Ausbildung investieren

In Zeiten guter Konjunktur und bester Auftragslage helfen keine Newcomer und Lehrlinge, da brauchen die Agenturen erfahrene Profis. Und zwar sofort! Da diese Menschen aber weder auf den Bäumen wachsen noch vor den Agenturpforten Schlange stehen, werden die Werber nicht darum herum kommen, selbst in die Ausbildung zu investieren. Viele tun das schon und haben gute Erfahrungen mit entsprechenden Programmen gemacht. Es gehört aber Geduld dazu und der Wille loszulassen und Verantwortung abzugeben. Dazu müssen die Agenturen auch eigene Ausbildungswege finden. Die Texterschmiede war so eine Erfindung. Sie ist – soweit ich das überblicke – aber eine Ausnahme geblieben. Wie überhaupt im Land der Dichter und Denker weit und breit kein Studiengang für den Werbetexter zu finden ist. Warum nicht? Wir glauben daran, dass Gestaltung (Mediendesign) studiert werden kann, dann könnten wir auch einen Studiengang für kreatives Schreiben einführen.

Abgeschlossenes Studium - 2000 Euro Einstiegsgehalt

Natürlich können wir die Kunden (die Auftraggeber der Agenturen) nicht außen vor lassen. Der Druck des Einkaufs, die immer kleineren Projekte, die immer zahlreicheren Pitches haben Spuren bei den Agenturen hinterlassen. Zu sehen auf den Gehaltsabrechnungen vor allem der Berufseinsteiger. Projektassistenten oder Junior-Texter fangen heute durchaus unter 2.000 Euro monatlich an. Mit Studienabschluss, versteht sich. Der Urlaubsanspruch beträgt 24 oder 26 Tage und Überstunden gehören einfach dazu.

Auftraggeber schneiden sich ins eigene Fleisch

Zwischen Auftraggebern und Agenturen besteht keine Augenhöhe mehr. Zumindest soweit es Gehalt, Aufstiegschancen und zusätzliche Leistungen betrifft. Immer wieder betonen die Agenturchefs, dass die Kunden sich langfristig ins eigene Fleisch schneiden, denn sie werden von den Agenturen keine Spitzenleistungen erhalten, wenn dort keine Spitzenleute entwickelt und bezahlt werden können. Die Tatsache, dass die Kunden sich immer mehr Agenturleistungen ins eigene Haus holen bestätigt diesen Umstand.

Die Antwort der Agenturen kann nur lauten: Erstens, die Kreation muss teurer werden, damit die Kreativen attraktiv entlohnt werden können. Zweitens, der Nachwuchs muss ausgebildet und entwickelt werden. Mit der Chance, eigenverantwortlich für Kunden zu arbeiten.

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Über den Gastautor:

Thomas Meichle war 25 Jahre lang geschäftsführender Gesellschafter der B-to-B-Agentur RTS Rieger Team, die mittlerweile zur TBWA-Gruppe gehört. Inzwischen ist Meichle Mit-Inhaber der Stuttgarter Agenturberatung Litschko Meichle.


Autor: W&V Gastautor:in

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