Creative Data:
Razorfish knackt Kreativ-Code der Cannes Lions
Razorfish-Kreativchef Daniel Bonner und Will Sansom, Geschäftsführer des Datenanalysten Contagious Insider, haben die Daten aller Cannes-Gewinner der vergangenen 15 Jahre ausgewertet. Warum das Media-Budget bei der Löwenausbeute keine Rolle spielt, langjährige Agenturbeziehungen dagegen förderlich sind und weshalb Egos in Zukunft einpacken können, das verraten die beiden im W&V-Interview.
Der weltweite Razorfish-Kreativchef Daniel Bonner und Will Sansom, Geschäftsführer des Datenanalysten Contagious Insider, haben die Daten aller Cannes-Gewinner der vergangenen 15 Jahre ausgewertet. Warum das Media-Budget bei der Löwenausbeute keine Rolle spielt, langjährige Agenturbeziehungen dagegen förderlich sind und weshalb Egos in Zukunft einpacken können, das verraten die beiden im exklusiven W&V-Interview.
Sie wollten mit Ihrer Datenanalyse einer Erfolgsfomel für Cannes-Gewinne auf die Spur kommen. Wie sind Sie dabei vorgegangen?
Volle Datensätze gab es nur für die 400 000 Einreichungen aus den letzten 15 Jahren, also haben wir uns darauf konzentriert. Wir haben geografische Angaben ausgewertet, Informationen über Kunden, Agenturgröße, Teamzusammensetzung, Budgets etc. Wir haben 294 Millionen Worte Begleit-Text zu den Einreichungen von 40 000 Agenturen aus 123 Ländern analysiert, Informationen zu Geschlecht und Funktion von 260 000 beteiligten Kreativen. Wir haben alle verfügbaren Daten rund um die 15 000 prämierten Arbeiten und die vielen, die nicht gewinnen, einfließen lassen. Insgesamt haben wir über eine Milliarde Einzeldaten verarbeitet. Das hat ein paar Monate gedauert.
Hatten Sie eine Hypothese , die Sie belegen oder widerlegen wollten?
Es gibt es eine Reihe von Mythen, die sich rund um Cannes-Gewinne ranken. Ein Mythos besagt, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen der Budgetgröße für eine Arbeit oder der Zahl von Einreichungen und den Gewinnen. Ein anderer Mythos besagt, dass Arbeiten für eine bekannte Marke größere Gewinnchancen haben. Das Schöne an Daten ist, dass sie unbestechlich sind. Und so hat unsere Analyse Zusammenhänge zutage gefördert, mit denen wir gar nicht gerechnet hatten.
Mit welchen Mythen muss die Kreativbranche aufräumen?
Die Annahme, dass Größe des Kunden, der Agentur oder die Größe der Budgets oder auch der Reichtum des Herkunftslandes eine Rolle spielen, lässt sich nicht halten. Wir haben keinerlei Zusammenhang zwischen Geld, Größe und ausgezeichneter Kreativität finden können. Das ist eine schöne Nachricht: jede Agentur und jeder Kunde, egal ob klein oder groß, mit viel oder mit wenig Budget hat die gleiche Chance Kreativpreise zu gewinnen.
Was zählt, ist aber offenbar die Länge einer Beziehung zwischen Kunde und Agentur.
Die Daten zeigen, dass Agentur-Kunde-Beziehungen, die länger als zehn Jahre andauern, eine doppelt so hohe Chance haben wie der Durchschnitt, in Cannes ausgezeichnet zu werden. Das heißt: Kunden bleibt bei eurer Agentur und investiert in Beziehung, das erhöht die Chance auf kreative Höchstleistungen. Je komplexer die Kommunikationswelt geworden ist, desto wichtiger ist das Vertrauen in einen Agenturpartner, den man kennt und auf dessen kreativen Output man sich verlassen kann.
Welches Ergebnis hat Sie am meisten überrascht?
Wir waren nicht überrascht, dass weibliche Top-Kreative bei den prämierten Arbeiten unterrepräsentiert sind - mit nur 11 Prozent der Einreichungen. Es hat uns aber schon geschockt, dass sich an diesem Verhältnis in 15 Jahren rein gar nichts verändert hat, es ist wie zementiert, es gibt sogar einen leichten Rückgang. Alle sprechen darüber, dass es hier einen Wandel gibt, aber die Daten belegen das nicht.
Das ist bitter. Haben Sie noch mehr solcher Nachrichten auf Lager?
Was wir spannend fanden ist die Korrelation von prämierten Arbeiten, die die Teamleistung unterschiedlicher Disziplinen hervorheben, sowie solchen, die aus der Zusammenarbeit verschiedener Agenturen entstanden. Einreichungen, an denen drei oder mehr Agenturen beteiligt sind, zeigen eine 42 Prozent höhere Gewinnrate als der Durchschnitt. Das ist viel. Und es ist irgendwie befriedigend.
Befriedigend, weil es auf das Ende von Kreativ-Rockstars und Agentur-Egos hindeutet?
Kooperativere, vernetze Arbeitskulturen, die die besten aus jeder Disziplin zusammenbringen, liefern bessere kreative Ergebnisse als Konstruktionen, in denen einer den Lead beansprucht und alle Aufgaben selbst erledigen will - vielleicht aus Angst, Budgets und Einfluss abzugeben oder aus dem Wunsch heraus, alleine den Cannes-Ruhm einzustreichen. Die Daten liefern einen weiteren Hinweis: Bei vielen der prämierten Arbeiten treten Junioren als Urheber auf, und nicht das Top-Management. Das heißt natürlich nicht, dass Top-Kreative nicht beteiligt waren. Aber es bedeutet, dass eine Kultur, in der Junior-Teams sich entfalten können und dafür auch die Anerkennung bekommen, kreative Höchstleistungen eher fördert. Das sollte eine Branche aufhorchen lassen, in der sich immer noch viele Egos tummeln.
Welches Fazit ziehen Sie aus den Erkenntnissen ihrer Datenanalyse für die Agenturwelt?
Zügelt die Egos, lasst die Juniortalente aufblühen. Und: Es gibt keine faulen Ausreden mehr der Sorte ,,das Budget war unzureichend“ oder „ich arbeite auf der falschen Marke, mit dieser Marke kann man nicht innovativ sein“. Das ist alles Unsinn. Kleine Marken, Agenturen und Kreative können alles, wenn sie wollen. Geld ist natürlich hilfreich, um bestimmte Produktionen umzusetzen oder einfach, um Zeit in die Entwicklung einer Idee zu investieren. Aber es gibt keinen Blankoscheck auf Kreativgewinne für diejenigen mit den aufgeblasensten Teams und den dicksten Budgets. Das ist doch eine befreiende Erkenntnis.
Interview: Judith Pfannenmüller