Thjnk ist kein Hort gespielter Harmoniesucht, in der Führungsetage geht es mitunter hart zur Sache. Die vier verstehen sich nicht als Frühstücksdirektoren, die Arbeit steht im Vordergrund. Es ist in der Branche ein offenes Geheimnis, dass es im Vorstand hin und wieder heftig ruckelt, es geht dabei unter anderem um die Frage, wer das repräsentativste Gesicht der Agentur nach außen sein sollte. Bei Thjnk treffen vier starke Persönlichkeiten mit starkem Selbstbewusstsein aufeinander, was Reibung vorhersehbar macht. Von der Energie allerdings, die daraus entsteht, profitiert das Geschäft der gesamten Gruppe.

Heumann und Jochum verfügen über langjährige Agenturerfahrung, haben jahrelang als Vorstände beim Hamburger Platzhirsch Jung von Matt gearbeitet. Trautmann ist einer der beiden Gründer von Kempertrautmann, aus der Thjnk vor fünf Jahren hervorging. Er war früher Marketingchef von Audi und entstammt der Werberkaderschmiede Springer & Jacoby. Pallas, übrigens der zurückgenommenste der Runde im anschließenden Gespräch, war ebenfalls lange Zeit bei Jung von Matt tätig und gesellte sich erst vor rund einem Jahr zu Thjnk. Was den Viererzirkel eint, sind Eitelkeit und Motivation. Das Ziel stand fest: eine der besten Agenturen Deutschlands werden. Mit durchaus unterschiedlicher Herangehensweise, wie auch die vier einräumen. Trautmann dachte, man könne mal eben ein neues Firmenschild an die Tür pinnen, und sich weiter im Glanz und Gloria von Kempertrautmann sonnen. Heumann und Jochum wollten alles anders machen und vieles verändern. So viel zur Reibungsfläche. Allerdings waren alle drei vom Ehrgeiz beseelt, und der hat sich bezahlt gemacht: Binnen kurzer Zeit wurde aus Thjnk ein klingender Name mit eigenem Charakter in der deutschen Werbeindustrie. Die Gruppe unterhält mittlerweile zehn Büros in sechs Städten und führt namhafte Kunden auf der Auftraggeberliste, darunter Audi, McDonald’s und Ikea. Trautmann, Heumann, Pallas und Jochum verfügen über ein breites Netzwerk, das bis weit außerhalb der Werbebranche reicht. Sie wissen es zu nutzen, verstehen es, sich zu inszenieren und konnten somit innerhalb kurzer Zeit eine der bedeutendsten Agenturmarken in Deutschland etablieren.

Agentur mit Ecken und Kanten

Die Thjnk-Gründer blieben dabei immer der Grundidee einer Werbeagentur treu, zeigten sich mit Neugründungen wie der Agentur Bobby & Carl für Thyssenkrupp, Leo’s Thjnk Tank für McDonald’s (mit Leo Burnett), dem auf Social-Media-Marketing spezialisierten Upljft und der jüngst gegründeten Sportmarketingeinheit Upsolut Sports, mit der Thjnk kooperiert, aber auch stets Innovativem gegenüber aufgeschlossen. Thjnk spielt in kreativer Hinsicht konstant in der oberen Liga mit und setzt nach innen wie außen inhaltliche wie branchenpolitische Akzente. Bei den Kunden ist Thjnk ebenso beliebt wie bei den Mitarbeitern. Thjnk ist vielleicht nicht die „most sexy“ Wahl, hat den diesjährigen Titel der W&V "Agentur des Jahres" aber verdient. Die Agentur besitzt Ecken und Kanten, und arbeitet noch an einigen Punkten. Trotzdem hat sie eine bemerkenswerte Entwicklung hingelegt und sich einen guten Ruf erarbeitet. Thjnk hat die Mitarbeiterzahl binnen fünf Jahren knapp verdoppelt. Übers Neugeschäft lässt sich nicht klagen: In den vergangenen zwei Jahren hat die Agentur 24 neue Namen auf der Kundenliste gesammelt, mit einem besonders erfolgreichen Jahr 2016. Summa summarum ist die Gründung von Thjnk im Nachhinein betrachtet zum großen Coup geworden.

Frieden mit der Vergangenheit

Abzusehen war das in der Anfangszeit der Agentur nicht. Jung-von-Matt-Gründer Jean-Remy von Matt etwa war alles andere als begeistert vom Ausstieg seiner langjährigen Zöglinge Heumann und Jochum. Das Konstrukt Thjnk war anfangs fragil, es prallten Firmenkulturen (Kempertrautmann und Jung von Matt) ebenso aufeinander, wie die Persönlichkeiten. Mitarbeiter wie Kunden waren verunsichert. Die Protagonisten mussten ihre Rollen erst finden: Heumann, Trautmann und Jochum im Vorstand, Co-Kempertrautmann-Gründer André Kemper als Thjnk-Aufsichtsrat. Sie waren lernwillig und aufgeschlossen, damit blieben viele Mitarbeiter der Agentur treu, ebenso wie die KT-Kunden Audi und Ikea. „Wir waren natürlich noch lange nicht alle auf einander eingespielt“, sagt Thjnk-Vorstandssprecherin Karen Heumann heute über die Gründungszeit. Das mag angesichts der Querelen, die es gab, als André Kemper später ausstieg, untertrieben formuliert sein. Bis die Agentur ihren Rhythmus fand, dauerte es gute drei Jahre, der Prozess ist auch noch nicht abgeschlossen. Im Falle von Thjnk war es eine komplizierte Trennung. Der Streit mit Kemper drehte sich vornehmlich um Finanzielles und band Energie und Ressourcen, die Verhandlungen führten letztlich Heumann und Kemper. Das Ganze wurde speziell von Hamburger Mitbewerbern so hämisch beäugt wie immer wieder bissig kommentiert. 

Wie lernt man aus Fehlern und Krisen? 

Letztlich verkaufte André Kemper seine Anteile an Jochum, Heumann und Trautmann, gründete später die Mercedes-Agentur Antoni in Berlin. Es mag ähnlich gelagert sein wie bei einer Trennung: Entweder geht man im Guten auseinander, redet viel und hat auch finanziell kaum bis wenig Streitpunkte. Oder es gibt Streit. Im allerbesten Fall nähert man sich auch dann nach einiger Zeit menschlich wieder einander an. Zwischen Thjnk, Jung von Matt und Kemper immerhin scheinen sich die Wogen geglättet zu haben. „Einen Move zu schaffen, wie Thjnk ihn hingekriegt hat, das ist in unserer Branche schon sehr besonders“, sagt André Kemper heute. Dass es keine Abschiedsfeier für ihn gegeben hat, ist nicht mehr so wichtig. „Der Plan ist aufgegangen, der Imagewandel ist geglückt, meinen Respekt haben sie.“ Ganz ähnlich spricht Jean-Remy von Matt über Thjnk, der damals mit seinem Ärger offensiv umging. Heute sagt er: „Das ist eine Top-Agentur, die haben sich extrem gut gemacht. Ich nehme die heute als seriöse, schlagkräftige und kreativ starke Konstellation auf Augenhöhe war.“ Wer von Matt und Kemper kennt, weiß, dass beide durchaus nachtragend sein können. Ein so offenes Lob für Thjnk hat Gewicht.

Bei Thjnk sind polarisierende Typen in der Führung am Werk. Nicht nur die ehemaligen ehemaligen Partner, auch die meisten übrigen Wettbewerber äußern sich positiv über die Entwicklung der Gruppe. Thjnk arbeitet für eine Vielzahl von großen Kunden, beschäftigt dafür aber eine verhältnismäßig kleine Mannschaft. Das spricht für eine gut durchdachte Organisation und Leistungsstärke.

Die Rollen im Vorstand haben sich verändert

Am stärksten präsent in der Wirkung sind außerhalb der Agentur Michael Trautmann und Karen Heumann. Heumann ist mit Künstlern und Kulturschaffenden befreundet, versteht sich aufs Networken. Das Manager-Magazin rankte sie dieses Jahr unter den „Top 75 Spitzenfrauen der deutschen Wirtschaft“, AdAge machte sie bereits im Vorjahr zu einer der „20 Women to Watch“ in Europa. Sie ist mit dem Scholz & Friends-Kreativen Wolf Heumann verheiratet und zeigt sich auch online vielseitig interessiert. Michael Trautmann gehört neben Mirko Kaminski von Achtung und Raphael Brinkert von Jung von Matt zu den postfreudigsten deutschen Werbern in den sozialen Medien, so manchen Marktteilnehmer nervt das. Er reist häufig ins Silicon Valley und kümmert sich heute um die neuen Geschäftsfelder und Joint-Ventures der Agentur. Neuerdings meditiert er und hat einen eigenen Podcast, hört eher auf das, was Mittdreißiger glauben als Mittfünfziger. Kennt man sein berufliches Naturell, handelt es sich um eine stimmige Entwicklung. Sollte nichts dazwischen kommen, dürfte sich Trautmanns beruflicher Wandel und Rückzug aus dem Thjnk-Kernmanagement spätestens zum Herbst in einer neuen Funktion als aktives Aufsichtsratmitglied niederschlagen. Vorerst ist er „Vorstand Ventures“, seine operativen Aufgaben teilt der übrige Führungskreis unter sich. „Ich sehe meine Stärke in der Entwicklung und dem Aufbau neuer Themen. Wir haben bei Thjnk bessere Manager als mich“, sagt Trautmann. Er kümmert sich jetzt also unter anderem um Bobby & Carl für Thyssenkrupp und seit Kurzem auch um die Sportmarketing-Agentur Upsolut, deren Gesellschafter Trautmann ist, Thjnk fungiert als Kooperationspartner. Den Mitarbeitern hat die Agentur die neue Rolle Trautmanns schon im Januar dieses Jahres mitgeteilt.

Sobald Trautmann dann final in den Aufsichtsrat wechselt, bestünde die Thjnk-Führung damit auch auf dem Papier aus drei Ex-Jung-von-Matt-Chefs. Die Trennung in der Führungsetage könnte perspektivisch die Ruhe in die Agentur bringen, nach der sie sich sehnt und allen vier die Arbeit erleichtern. „Jeder von uns soll hier glücklich werden, das haben wir uns geschworen“, sagt Jochum. Dass sich die Vorstellungen individuell verändern können merken sie gerade. Thjnk hat mittlerweile Standorte in New York und Zürich eröffnet. Meistens unter der Federführung verdienter Mitarbeiter, denen die Agentur auch schon mal ein eigenes Reich baut, wie etwa im Fall des Thjnk-Teams Torben Otten und Georg Baur in New York. Der Umsatz wächst konstant, wenn dieses Jahr mit rund drei Prozent Plus auch leicht unterhalb des Branchenschnitts, was angesichts des hohen Investitionsvolumens der Agentur kaum überrascht. Binnen fünf Jahren hat Thjnk den Umsatz von 21,5 auf heute 37,1 Mio. annähernd verdoppelt.

Die Meinung der Kunden

Kunden loben Thjnk. Der amtierende Audi-Marketingleiter Giovanni Perosino zählt zu den wichtigsten Kunden der Agentur und bescheinigt Thjnk "Schnelligkeit, Transformationskraft im digitalen Wandel, ein gutes unternehmerisches Denken und die Fähigkeit, als Kampagnenagentur zu überzeugen, wie auch zugleich Impulsgeber für das Contentmarketing und das Editorial-Team von Audi zu sein“. So definiert Perosino die Rolle einer modernen Agentur. „Für uns ist es ein großer Gewinn, mit einer vergleichsweise kleinen, agilen Agentur zusammenzuarbeiten, die unsere Kultur und Haltung zu hundert Prozent teilt“, sagt Perosino und meint damit auch die Entscheidung inhabergeführte vs. Networkagentur.

Heiko Klauer, Marketingchef von Ikea Deutschland, schätzt die Integrität und den Willen zur Weiterentwicklung der Agentur. „Thjnk hat ein ausnehmend gutes Verständnis für die emotionale Tonalität unserer Marke entwickelt“, sagt er. Ähnlich argumentiert Uwe Hellmann, Leiter Brand Management der Commerzbank. Auch er ist der Ansicht, dass sich Thjnk besser, schneller und umfänglicher als andere Agenturen auf die Bedürfnisse und das Verständnis des Kunden einstellen kann. Für Thjnk ist auch das Fluch und Segen zugleich. Die Agentur ist bei ihren Kunden äußerst beliebt, alle schätzen die Integrität und Leistungsbereitschaft. Alle haben aber auch einen einheitlichen Kritikpunkt: Das kreative Extra-Engagement fehle. Gemeint sind nicht extra für Kreativawards geschneiderte Ideen, sondern mutige und extravagante Einfälle im Tagesgeschäft. Damit scheint Thjnk zu geizen, vielleicht liegt der Fokus der Agentur aber einfach auch ganz woanders. Ein solides, hoch qualitatives und bodenständiges Geschäft in diesem Umfang für namhafte Kunden in der Kürze der Zeit aufzubauen, kommt in der Werbebranche einer riesen Leistung gleich, das muss den Gründern erstmal jemand nachmachen. Trotz des in Marketingkreisen wichtigen „Ich-brauche-jetzt-aber-auch-maldringend- ein-angesagtes-Startup“- Hypes gibt es in Deutschland nach wie vor viele Unternehmen, die ihre Kommunikation zunächst vor allem auf eine verlässliche Basis stellen wollen. Diese Lücke nutzt Thjnk geschickt für sich. Klar könnten die Thjnk-Gründer am Sexyness-Faktor ihrer Agentur noch arbeiten. 

Die Meinung der Mitarbeiter

Ähnlicher Tenor bei den Mitarbeitern, die den Außenauftritt des Vorstands mit Argusaugen beobachten. Die Chefs geben den Mitarbeitern und ihren Führungskräften viel Freiheit, berichten viele Mitarbeiter, und ermuntern sie zu eigenverantwortlichen Entscheidungen. Thjnk unterhält mehrere Mitarbeiterförderprogramme und hat 30 Leistungsträger an der Agentur beteiligt, die gemeinsam rund 15 Prozent der Anteile halten. „Den Erfolg von Thjnk machen für mich vor allem die letzten beiden Buchstaben unseres Namens, die für ‚und Kollegen‘ stehen“, sagt beispielsweise Patrick Hammer, der bei Thjnk als junger Geschäftsführer die Supermarktkette Rewe betreut. Die ersten drei Buchstaben im Namen stehen für die Initialen der Gründer Trautmann, Heumann, Jochum. K stand ursprünglich für Kemper. 

Hört man sich bei den anwesenden Junioren beim diesjährigen Festival des deutschen Art Director’s Club um, wird Thjnk als attraktive Arbeitgebermarke gehandelt. „Eitelkeit hat was Gutes, man will, alles besonders gut wird. Wirklich alles“, sagt Thjnk-Vorstandsfrau Karen Heumann zum Abschluss des Gesprächs. Die Agentur nutzt Eitelkeit in positiver Hinsicht und geschickt für sich. Und mit Erfolg, es sind Profis am Werk.


Autor: Daniela Strasser

Redakteurin bei W&V. Interessiert sich für alles, was mit Marken, Agenturen, Kreation und deren Entwicklung zu tun hat. Außerdem schreibt sie für die Süddeutsche Zeitung. Neuerdings sorgt sie auch für Audioformate: In ihrem W&V-Podcast "Markenmenschen" spricht sie mit Marketingchefs und Media-Verantwortlichen über deren Karrieren.