Wie funktioniert das Modell genau?

Dirk Assent: Es gibt nicht das eine Modell, das sich auf alle übertragen lässt. Aber es gibt eine Unternehmensstruktur, die amorph und damit in der Lage ist, die unterschiedlichen Bedürfnisse im Sinne unserer Kunden, der Agentur, aber auch im Sinne der Mitarbeiter und ihrer Familie so anzupassen, dass ein gesundes Gleichgewicht erhalten bleibt. Das ist eine Herausforderung, aber wenn alle an einem Strang ziehen, dann funktioniert das auch. Deshalb gibt es im Grunde genauso viele Modelle, wie es Mitarbeiter gibt.

Käs: In der Praxis bedeutet dies, dass wir uns individuell das Aufgabengebiet und das Team des Mitarbeiters angucken. Wir haben für uns festgestellt, dass es keinen Sinn macht, uns zu sehr auf die Arbeitsstunden des Mitarbeiters zu versteifen und dann diese auf beispielsweise 30 Arbeitsstunden pro Woche zu reduzieren, sodass wir die verbleibenden 10 Arbeitsstunden auffangen müssen. Es hilft in diesem Zusammenhang auch nicht, zu sagen, dass ein Minimum an beispielsweise 30 Stunden pro Woche gearbeitet werden sollte. Die Zusammenhänge zwischen dem Mitarbeiter und seiner Lebenssituation, der Agentur, dem Kunden und dem Team sind das, was zählt: Was braucht die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter und die Familie, was der Kunde und das Team. Also analysieren wir, welche Aufgaben zum Beispiel in 30 Stunden geschafft werden. In der Kundenberatung beispielsweise muss das Team von 9 Uhr bis 18 Uhr erreichbar sein und besonders bei großen Kunden werden mehrere Kundenberater benötigt, die die Betreuung des Kunden sicherstellen. Hier haben wir festgestellt, dass mindestens eine Vollzeitkraft im Kundenberatungsteam Sinn macht, die die Fäden zusammenhält. Teilzeitkräfte können im Team im Tandem gut zusammenarbeiten und zwar mit 20 Stunden pro Woche oder mit 30, 25 oder 35 Wochenstunden. Wir suchen also nach Wegen, die Arbeitsleistung im Team aufzufangen. Das ist eine Entscheidung, die wir immer in Absprache mit dem Team treffen. Und wenn eine Kollegin oder ein Kollege Stunden anpassen möchte, kann es in der Tat vorkommen, dass Teilzeitmodelle unterjährig mehrmals angepasst werden.

Was hat die Agentur bewogen, sich vollkommen flexibel auf die Mütter/werdenden Mütter einzustellen? Welche Vorteile sehen Sie?

Assent: Als zukunftsorientiertes Unternehmen haben wir aus meiner Sicht eine entsprechende soziale Verantwortung: Ich möchte ja allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Möglichkeit geben, ein relevanter Teil des Unternehmens zu sein. Und es kann nicht sein, dass Kinder dazu führen, dass man diese Chance als Mutter oder Vater nicht mehr hat. Und das echte Leben ist nun mal nicht immer planbar. Deshalb braucht es diese Flexibilität und wir können diese Flexibilität gewährleisten. Was die Vorteile angeht: Alle Menschen, die Kinder bekommen, kriegen einen neuen Blick aufs Leben und diesen Blick bringen sie mit in die Agentur. Und dieser Blick formt und optimiert immer wieder aufs Neue die Kultur, die wir hier leben. Ich finde, jedes zukunftsorientierte Unternehmen sollte so mit dem Thema umgehen.

Wie agieren Sie in Hoch-Zeiten, zum Beispiel bei Pitches oder Termingeschäften?

Assent: Wir planen rechtzeitig und deshalb gibt es in der Regel auch keine ungeplanten oder überraschenden Hoch-Zeiten. Aufgrund dieser guten Planung haben wir auch relativ wenig bis gar keine Überstunden und finden das auch gut so.

Wie ist das bei wichtigen Meetings – muss man zur richtigen Zeit da vor Ort sein?

Käs: Ja. Und das wollen die Mitarbeiter auch. Die Teams sprechen sich in der Regel so untereinander ab, dass zu relevanten Zeiten das Team komplett ist. In Ausnahmefällen, zum Beispiel wenn die Tagesmutter krank geworden ist, kann man sich natürlich auch mit dem Telefon oder Skype dazu schalten.

Wie hoch ist bei Ihnen die Frauen-Quote?

Assent: Die liegt bei 63 Prozent. Wahrscheinlich ist das Branchenüblich. Aber wie gesagt, wir unterscheiden weder bei diesem noch bei anderen Themen zwischen Frauen und Männern.

Sie sind extra für dieses Modell eine Kooperation mit einer Kita eingegangen – wie sieht Ihre Zusammenarbeit aus?

Assent: In diesem Jahr entsteht zum ersten Mal der Bedarf aufgrund des ‚Bernstein-Baby-Booms‘, sodass eine Kooperation mit einer Kita sinnvoll wird. Die Idee ist, dass wir der Kita, den Eltern und uns eine Planungssicherheit geben und so eine Win-win-Situation für alle entsteht. Absprachen und spontanes Abholen werden einfacher, weil die Kita direkt vor der Tür ist.  

Klappt das Modell auch bei Management-Positionen?

Käs: Wir ziehen das Modell auf allen Ebenen durch, denn es ist Teil unserer Kultur. Ich zum Beispiel arbeite flexibel in einem Vollzeitmodell und bin Mutter. Meine Arbeitszeit setzt sich aus Stunden in der Agentur und im Homeoffice zusammen, teilweise arbeite ich abends und mal am Wochenende. Mit meiner Tätigkeit kann ich meine Arbeit so frei gestalten. Das ist mein individuelles Modell. Katrin Ehlers aus dem Management ist gerade Mutter geworden und wird irgendwann auch wieder einsteigen, und zwar so, wie es für sie gut ist. Nach dem Motto "Alles kann, nichts muss"gehen wir auf Bedürfnisse ein. Ihre Aufgaben wurden vorher auf mehrere Köpfe der Agentur übertragen, sodass ihr Einstieg ganz elastisch beginnen kann. Insgesamt sind wir vier Personen in der Geschäftsleitung, zwei Frauen und zwei Männer, und zusammen kommen wir auf sieben Kinder. Damit liegen wir schon leicht über dem deutschen Durchschnitt von 1,5 Kindern pro Familie.

Wie sieht Ihre Regelung für Mütter mit Kleinkindern und Schulkindern aus? Kann man da ebenso flexibel reagieren, wenn man zum Beispiel erst verspätet einen Hortplatz bekommt oder ähnliches?

Assent: Wir machen keinen Unterschied zwischen kleinen Kindern und großen Kindern, sondern wir machen Unterschiede zwischen den Lebenssituationen. Es geht immer darum, dass es individuell funktioniert.

Ist Ihr Modell auch von Vorteil auf dem angespannten Recruiting-Markt?

Käs: Leider bin ich noch nicht im Vorstellungsgespräch danach gefragt worden. Mein Eindruck ist, dass das Thema negativ belastet ist. Es ist ja ein gelebtes System von Agenturen, dass Eltern die ungewollteren Mitarbeiter sind gegenüber denen ohne Kinder. Und diese klassische Haltung vergisst beim Stunden und Umsatz übereinanderlegen und addieren leider die wichtigste Ressource im Kommunikationsgeschäft, den Menschen.

Oft wird es kolportiert: Mütter seien die besseren Arbeitnehmer, weil sie in Teilzeit sehr viel effektiver und fokussierter arbeiten als viele Vollzeit-Kollegen. Können Sie das bestätigen?

Käs: Ja, wenn man weniger Zeit zur Verfügung hat, versucht man für diese Zeit die bestmögliche Herangehensweise zu finden. Wenn man einen guten Job machen möchte und weniger Zeit hat, arbeitet man anders als mit mehr verfügbarer Zeit. Aber das ist ein Phänomen, das sich auch in anderen Lebenslagen zeigt. Dafür muss man nicht Eltern sein.


Autor: Anja Janotta

seit 1998 bei der W&V - ist die wohl dienstälteste Onlinerin des Hauses. Am liebsten führt sie Interviews – quer durch die ganze Branche. Neben Kreativ- und Karrierethemen schreibt sie ab und zu was völlig anderes - Kinderbücher. Eines davon dreht sich um ein paar nerdige Möchtegern-Influencer.