Agenturchefs über Arbeitskultur à la Jung von Matt:
Wolf Ingomar Faecks: "Wir brauchen keine Arschlöcher"
Kein anderes Thema hat die W&V-Leser in der zurückliegenden Woche so bewegt wie die Arbeitskultur bei Jung von Matt. Was Thomas Strerath als Teil der Agentur-DNA beschrieben hat, erinnert Kreativitätsforscher Stephan Sonnenburg an einen "Kreativ-Knast". Jetzt meldet sich Deutschlands oberster Agenturchef zu Wort.
Was bisher passiert ist:
- In einem nachträglich entschärften Interview mit der Unternehmensberatung Detecon erläuterte JvM-Chef Thomas Strerath die Arbeitskultur von Jung von Matt. Dazu gehören u.a. bewusst unpersönliche Arbeitsplätze, strenge Pünktlichkeitsregeln, wenig Teamarbeit und die Inkaufnahme von sozial unverträglichen Mitarbeiter, sofern sie für kreative Exzellenz sorgen
- Auf Facebook und in Kommentaren unter dem W&V-Artikel stießen Streraths Äußerungen auf heftige Kritik.
- Zwei von W&V befragte Kreativitätsforscher stellten die Thesen teilweise in Frage, befürworteten aber auch einige Aspekte.
Kein anderes Thema hat die W&V-Leser in der zurückliegenden Woche so bewegt wie die Arbeitskultur bei Jung von Matt. Was Thomas Strerath als Teil der Agentur-DNA beschrieben hat, erinnert Kreativitätsforscher Stephan Sonnenburg an einen "Kreativ-Knast". Jetzt meldet sich Sapient-Nitro-Chef und GWA-Präsident Wolf Ingomar Faecks zu Wort. Der oberste Repräsentant der deutschen Agenturbranche gilt als guter Freund von JvM-Chef Sterath; er hatte ihn während der Effie-Affäre Ende vergangenen Jahres bis zuletzt gestützt. Mit den jüngsten Thesen des Jung-von-Matt-Chefs setzt sich Faecks aber durchaus differenziert auseinander. W&V veröffentlicht seine Stellungnahme im Wortlaut:
"Rupft man Fragmente aus einem Interview wie hier, klingt Jung von Matt wie ein gefühlskaltes, preußisches Internat. Liest man jedoch das gesamte Interview sorgfältig, ergeben die getroffenen Ausagen ein durchaus schlüssiges Bild – wenn auch meiner Meinung nach mit einigen Fehlern.
In den meisten Punkten bin ich absolut derselben Meinung wie Thomas: Exzellenz erfordert unermüdliche Übung, braucht Konzentration, Disziplin und klar formulierte Erwartungen. All dies sind aber Tugenden, die wir zu verlieren drohen, wenn wir sie nicht regelmäßig pflegen. Doch wer Champions League spielen will, muss Bedingungen schaffen, die das ermöglichen – und diese auch leben!
"Das Bessere ist der Feind des Guten" oder "Wir bleiben unzufrieden!" sind Antrieb zu Exzellenz und Innovation. Dieser Anspruch muss aber wirklich in einem Umfeld gegenseitigen Respekts erlebt werden können und vom Willen getragen sein, das Potenzial von Menschen zu erkennen und zu entwickeln – und sie nicht zu verheizen. Es braucht Freiräume zum Ausbrechen und auch Platz zum Scheitern, aber immer wieder auch eine wahre Gemeinschaft, die aufbaut und versöhnt.
Teams im Sinne von "die Schwarmintelligenz wird’s schon richten!" sind wirkungslos. Teams mit dem Ziel, verschiedene Perspektiven zu einer Lösung zu kombinieren, um etwas zu liefern, das keiner alleine geschafft hätte, sind hingegen Teil unserer ureigenen DNA. Allerdings sind wir bei SapientNitro auch nicht im "Ideas only" business. Destruktion und Konstruktion müssen in Balance existieren. Anerkennung für Erreichtes ist dabei ein lebenswichtiger, täglicher Schwung, auch für den nächsten Sprung einer jungen Karriere!
Und last but not least: Wir brauchen viele Ecken und Kanten – aber sicher keine Arschlöcher, die sind ja bekanntlich auch rund."
Deutsche Top-Werber sind bei aktuellen Debatten selten um einen Kommentar verlegen. Doch beim Thema Arbeitskultur blieb es auffällig ruhig. Die häufigste Begründung: Man wolle Strerath kein weiteres Forum bieten, heißt es in mehreren Hamburger Chefetagen.
Zu den wenigen Agenturchefs, die sich öffentlich äußern wollen, gehört Felix Schröder, Deutschland-Chef der börsennotierten WPP-Tochter Syzygy. Ein festes Regelwerk zur Arbeitskultur kennt man dort nicht. Neuen Mitarbeitern erzählt Schröder persönlich, "wie wir unsere Arbeit gestalten, was uns wichtig ist und für welche Werte die Agentur steht." Der von Jung von Matt und anderen Agenturen propagierte Clean Desk Policy kann Schröder wenig abgewinnen:
"Der eine Mitarbeiter braucht einen leeren Schreibtisch, um gute Leistung zu bringen, der andere ein etwas anderes Umfeld. Solange sich keiner Diddelmäuse an die Wand hängt und sein Geschirr selber wegräumt, sind wir da schon recht offen. Am Ende geht es darum, ein Umfeld zu schaffen, indem Mitarbeiter sich maximal entfalten können."
Laut Schröder kann bei Syzygy jeder Mitarbeiter pro Monat bis zu vier Homeoffice-Tage in Anspruch nehmen, ein Sabbatical einlegen oder auf Wunsch von einem anderen Agentur-Standort aus arbeiten. Syzygy ist in Bad Homburg, Frankfurt und München präsent.
Auch bei Gessulat und Gessulat in München geht es lockerer zu. "Die aufgeräumten Schreibtische sind ein Relikt der 80er aus den guten Zeiten von Springer & Jacoby", findet Mitgründer Karsten Gessulat. "Das sehen wir heute nicht mehr so eng. Unsere Leute haben genug zu tun, da müssen sie sich nicht noch mit einer vorgegebenen Schreibtisch-Ordnung rumquälen".
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