Wie schätzen Sie das Potential von Amorelie in der Offline-Welt ein?

Ich glaube generell sehr an die Bedeutung von Filialen, wenn sie in Richtung Showroom oder Erlebniskonzept gehen, ähnlich wie bei Weber-Grill oder Apple. Die Kunden bestellen weiterhin mehr online, wünschen sich aber das Erlebnis des Anfassens und die Beratung. Das wäre auch für uns ein möglicher Schritt. Bis jetzt setzen wir auf den Online-Shop, machen gelegentlich Pop-up-Stores auf und haben in ganz Deutschland Beraterinnen, die zu den Kundinnen privat nach Hause kommen. Wir sind also schon etwas Multi-Channel.

Trotzdem bekommen Kunden ein cleanes weißes Paket mit neutralem Absender, ganz so offen sind sie wohl noch nicht.

Ich würde gerne mal die Alternative anbieten: entweder clean oder gebrandet. Ich bin mir sicher, dass viele dann einfach das schönere Paket wählen würden und das Branding toll fänden. Derzeit lassen wir es jedoch erst mal beim schönen weiß. Viele Kunden bestellen sich unsere Pakete ins Büro und ich kann es durchaus verstehen, dass das nicht alle Kollegen mitbekommen müssen. Aus einem ähnlichen Grund sind wir etwas eingeschränkt in unseren Marketingmöglichkeiten.

Inwiefern?

Du kannst niemanden per Retargeting mit Vibratoren "verfolgen". Außerdem gibt es den Jugendschutz und Unternehmen, die sich unsere Werbung für ihren Kunden nicht vorstellen können. Daher ist TV-Werbung für uns wahnsinnig wichtig. Ohne TV-Werbung wären wir niemals dorthin gelangt, wo wir jetzt sind. Mit ProsiebenSat.1 haben wir uns einen Wettbewerbsvorteil dadurch verschafft, dass wir diesen Kanal nutzen können. Auch bei der Internationalisierung Richtung Frankreich arbeiten wir mit dem Fernsehen zusammen, mit TF1 - weil wir ein Massenmedium brauchen, um die Massen zu erreichen, um eine Nachfrage überhaupt zu generieren.

Außerdem sitzen Sie selbst in Talkshows und gehören wahrscheinlich zu den deutschen Gründerinnen mit der größten Medienpräsenz, die auf allen möglichen Listen der wichtigsten Menschen unter 30 auftauchen, zuletzt der von Forbes. Haben Sie sich diese Rolle als Vorzeigefrau im Start-up-Business bewusst erkämpft, oder wurde sie eher übergestülpt?

Eigentlich ist es ein Zeichen dafür, dass es immer noch viel zu wenig Gründerinnen in Deutschland gibt, sonst würde man nicht so oft die bekannten Gesichter sehen. Am Anfang wollte ich mich nicht in diese Ecke drängen lassen. Ich wollte mich nicht über mein Frausein definieren, sondern über die Inhalte. Aber dann merkte ich, dass ich in einer sehr privilegierten Lage bin. Als Geschäftsführerin kann ich selbst entscheiden, beispielsweise, wie mein Unternehmen mit Kindern und Kinderwunsch umgeht. Viele Frauen haben das nicht. Daher habe ich diese anfängliche Distanz zu dem Thema Frauen in Führungspositionen usw. abgelegt und versuche jetzt, so viel wie möglich zu verbessern. Einfach um es anderen leichter zu machen.

Allerdings haben Sie als Gründerin und inzwischen junge Mutter keinen Mutterschutz. Sie setzen das Thema inzwischen auch in der Öffentlichkeit. Glauben Sie, da wird sich etwas bewegen?

Ich habe jetzt sogar doch den Mutterschutz bekommen, aber das hängt an vielen Kriterien. Ich hoffe es sehr! Dank meiner Medienpräsenz habe ich die Chance, auf dieses Thema aufmerksam zu machen und möchte sie nutzen. Als Geschäftsführerin, Gründerin und Anteilseignerin gilt man als "selbstständig" und somit trägt die Krankenversicherung den Mutterschutz nicht. Ich habe nun das Glück, dass es geklappt hat und ich ein gut laufendes Unternehmen habe, welches mir viele gestalterische Freiheiten in Hinblick auf Betreuungsmöglichkeiten gibt. Ich bin z.B. mit einer Au-pair und meinem Sohn in einem Kinder-/Meetingzimmer im Büro. Aber ich weiß auch, dass ich damit sehr privilegiert bin. Und es kann meiner Meinung nach einfach nicht sein, dass der Großteil der Mütter (in diesem Fall der selbstständigen) keine Unterstützung in Form von Mutterschutz erhält und das in Zeiten von Kindermangel. Indem wir - Frauen und Männer -, die sich eine bessere Vereinbarkeit von Kindern und Beruf wünschen, vom Staat und den Unternehmen Verbesserungen einfordern, erhöhen sich die Chancen, dass sich die Bedingungen und Möglichkeiten ändern.

Warum gibt es gerade in der Startup-Branche so wenige Frauen?

Wir sind den Männern in der Szene locker fünf Jahre hinterher, aber es tut sich was. Wenn man sich ansieht, was für Unternehmen jetzt gegründet werden, dann sieht man, dass sich immer mehr Frauen selbstständig machen: Outfittery, Kisura, Kitchenstorys. Aus den vergangenen drei Jahren kann man mindestens 20 aufzählen. Das wäre vor fünf Jahren noch nicht möglich gewesen. Trotzdem ist es so, dass in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit die männlichen Gründer noch sehr stark sind. Das hat viel mit Rocket Internet zu tun. Seit dem Launch 2007 wird die deutsche Start-up-Branche überhaupt erst wahrgenommen und das waren zu Beginn Oli, Alex und Marc Samwer, die ihr ganzes Jungs- Umfeld mitgezogen haben. Ein ganzes Männernetzwerk aus der WHU-Uni ist da mitgekommen. Inzwischen ist die Szene aber gar nicht so unweiblich. Wir werden wahrscheinlich wesentlich schneller in ein gleichberechtigtes Miteinander kommen und wahrscheinlich wesentlich schneller auf eine bessere Quote kommen als die traditionelle Industrie und der Mittelstand. Wo, wenn nicht bei uns, soll diese Veränderung stattfinden? Wenn unsere Szene keine Vorreiterstellung einnehmen kann, dann läuft irgendetwas komplett falsch.


Franziska Mozart
Autor: Franziska Mozart

Sie arbeitet als freie Journalistin für die W&V. Sie hat hier angefangen im Digital-Ressort, als es so etwas noch gab, weil Digital eigenständig gedacht wurde. Heute, wo irgendwie jedes Thema eine digitale Komponente hat, interessiert sie sich für neue Technologien und wie diese in ein Gesamtkonzept passen.