Retargeting-Business:
Criteo leidet unter der DSGVO und will mit neuem Modell Amazon angreifen
Europas größtes Ad-Tech-Unternehmen meldet sinkende Umsätze. CEO JB Rudelle erklärt im W&V-Interview, warum jetzt der Frontalangriff auf Amazon notwendig ist
Criteo meldet sinkende Umsätze für das zweite Quartal. Gleichzeitig zeigen die Zahlen an, dass die neuen Business-Modelle des Retargeting-Spezialisten funktionieren.
Seit 2016 vermarktet das größte Ad-Tech-Unternehmen auch Werbeplätze in Shops. Warum dieses neue Modell nicht nur für das französische Unternehmen enorm wichtig ist, sondern auch für E-Commerce-Anbieter, erklärt CEO JB Rudelle im Gespräch in der aktuellen W&V (Ausgabe 31). Firmenmitgründer Rudelle war im Februar als CEO an die Spitze zurückgekehrt. 2015 hatte er sich in den Aufsichtsrat zurückgezogen.
In Summe betrug der Umsatz von Criteo im zweiten Quartal 537 Millionen Dollar, ein Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. Im ersten Quartal waren die Umsätze noch um neun Prozent gestiegen. Hier macht sich erwartungsgemäß die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) bemerkbar.
Criteo gilt global als größter Einkäufer von Werbeflächen, auf denen dann Retargeting-Anzeigen gezeigt werden. Mit ihnen leitet Criteo Nutzer in Shops zurück, nachdem sie sich dort Produkte angesehen haben. Hierbei spielen Daten, beziehungsweise Cookies, eine zentrale Rolle.
Vor dem Hintergrund der DSGVO hatten jedoch viele Sitebetreiber Targeting-Möglichkeiten, beziehungsweise das Setzen von Cookies, eingeschränkt. Und auch Unternehmen hatten sich zumindest zeitweise mit datenbasierten Marketing zurückgehalten. Parallel schränkte Apple die Möglichkeiten ein, Cookies auf Smartphones zu setzen.
Änderung des Geschäftsmodells
Bereinigt um die Kosten für den Mediaeinkauf stieg der Umsatz um fünf Prozent. Das zeigt, Criteo setzt weniger Geld mit Retargeting um, gleichfalls steigen andere Umsätze, allen voran diejenigen aus dem Geschäft mit der Vermarktung von Werbung, beispielsweise in Shops von Otto oder von Notebooksbilliger.de. Criteos Non-Targeting-Geschäft wuchs zuletzt um 72 Prozent, macht aber aktuell nur sechs Prozent des Gesamtumsatzes aus.
Weiteren Einfluss auf das Retargeting-Business dürfte die E-Pricacy-Verordnung der EU haben, die noch aussteht. Rudelle gibt sich im Gespräch jedoch optimistisch: "Wir sehen hier sehr deutlich, dass sich der politische Wind im vergangenen Monat gedreht hat. Ich denke nicht, dass eine drastische Variante der E-Privacy-Verordnung verabschiedet wird."
Eine strikte Regelung wäre fatal: "Das freie, offene Internet wäre mehr als gefährdet. Die großen US-Plattformen werden immer mächtiger. Schauen Sie auf Amazon, einen Konzern, der allen anderen mehr und mehr Marktanteile entreißt. Nur einen Monopolisten im E-Commerce kann niemand ernsthaft gutheißen. Es hätte für die Wirtschaft und die Gesellschaft fatale Folgen. Schon heute bietet doch Amazon nicht immer die günstigsten Preise."
Angst vor chinesischen Verhältnissen
Die Standardisierung von Marketingprozessen, die mit der Dominanz der großen Plattformen einher geht, macht es neuen Retailern nicht einfacher, eine beängstigende Tendenz. Rudelle betrachte jedoch eine gewisse Portion Angst im Markt nicht als schlimm. "Sie hält wach und sorgt für ein richtiges Mindset. Und es verhindert, was beispielsweise in China passiert – ein Albtraum für uns alle im Westen."
Dort werde das Internet schon heute faktisch von drei Konzernen kontrolliert und diese stünden vermutlich zu einem guten Teil unter der Kontrolle der Regierung. Er spricht von Giganten wie Alibaba, Tencent und Baidu. Rudelle: "Niemand in den USA oder in Europa kann ein solches Ökosystem wollen."
Rudelle wird hier sehr deutlich: "Wir müssen also vieles anders machen und dafür sorgen, dass es weiterhin ein freies Internet gibt. Nur so haben auch kleine Medienunternehmen oder Shopanbieter eine Chance. Nur so sind sie nicht gezwungen, ihre Marketinggelder für Standardlösungen in die Walled Gardens zu stecken. Und nur so können sie wirklich direkte Beziehungen zu Kunden aufbauen."
Criteo setzt wie Amazon auf die Vermarktung von Anzeigen in Shops
Für Criteo bedeutet dies auch einen neuen Kurs. Die Vermarktung von Werbeflächen in Shops gewinnt an Bedeutung, das Retargeting-Business wird dagegen schwieriger. Bereits 2016 hatte Criteo daher die US-Firma Hooklogic gekauft. Mit den Quartalszahlen für das zweite Quartal wurde jetzt der Kauf von Storetail verkündet, einem weiteren Anbieter von Instore-Werbung.
Amazon macht es vor, wie die aktuellen Zahlen zeigen. Der US-Konzern steigerte seine Werbeerlöse im letzten Quartal um 132 Prozent auf 2,2 Mrd. Dollar. "Der Konzern verdient viele Millionen mit Brand-Werbung. Wie ein Medienunternehmen monetarisiert der Konzern hier seine Nutzerkontakte. Gleichzeitig läuft deren Retail-Business mit einer Null-Marge. Andere Retailer können da nicht mithalten, außer sie schaffen es, einen fairen Anteil an diesem Geschäft zu generieren", sagt Rudelle.
Hierbei will Criteo als agnostischer Player helfen. Für das Unternehmen bedeutet dies allerdings auch eine Änderung des Geschäftsmodells. Vor dem Kauf von Hooklogic hatte Criteo Klicks, also Werbeleistung verkauft, jetzt liefern die Franzosen eine offene Technikplattform, auch für Brands und deren Agenturen. "Wir müssen uns weiter öffnen", lautet die Strategie.
Das komplette Interview mit JB Rudelle lesen Sie in der aktuellen W&V (Ausgabe 31).