Die Antwort auf die Dominanz der Digitalkonzerne scheint eine hervorragende Customer-Experience zu sein. Dadurch bleibt der Verbraucher mit Unternehmen und Marken verbunden und die Produkte verstauben nicht anonym im imaginären Regal. Zu dieser Schlussfolgerung kamen auch die Teilnehmer der Connect, der jährlichen User-Konferenz des Digital-Experience-Platform-Anbieters Bloomreach. Das Zeitalter der Alleinstellungsmerkmale weicht dem "Experience-Zeitalter". Nur wer sein Angebot im Hinblick auf Zeitersparnis und zusätzlichen Komfort für den Kunden verbessert, kann sich gegenüber der Marktdominanz der Technologiegiganten behaupten.

2. Die Customer-Experience heißt Kunden willkommen

Raj De Datta auf der hauseigenen Konferenz Connect (Bloomreach).

Raj De Datta auf der hauseigenen Konferenz Connect (Bloomreach).

Bloomreach-CEO Raj De Datta erwartet, dass mit dem Einzug der Sprachassistenten die Ansprüche an eine gute Customer-Experience weiter steigen werden. Unternehmen müssen das vorhandene Wissen über den Kunden und seine Besonderheiten bei jeder Interaktion berücksichtigen und einfließen lassen, sodass er das Gefühl bekommt, mit einer ihm bekannten, vertrauten Person zu kommunizieren.

Ein Kundenerlebnis ist eine Sammlung von vielen kleinen Interaktionen – beispielsweise über Social-Media-Kanäle oder die Website. Gelingt es Unternehmen, zu unterschiedlichen Zeiten und an verschiedenen Orten fünf, zehn oder auch zwanzig positive Interaktionen aneinanderzureihen, entsteht letztendlich ein positives Markenbild.

Unternehmen müssen dafür erst einmal die Grundlagen schaffen. Häufig fehlt es Web-Shops beispielsweise an einer optimierten Onlinesuchfunktion. Das heißt, dass die Website-Besucher oft nicht genau das finden, was sie zu finden wünschen – was äußerst frustrierend ist. Erst wenn diese grundlegenden Interaktionen reibungslos verlaufen, ist es sinnvoll, am nächsten Schritt zu arbeiten.

Als Beispiel erzählt De Datta von einen Hotelbesuch in Amsterdam. Die Tatsache, dass die Hotelkette das Treueprogramm verwendet, um die Raumtemperatur genauso wie bei seinem letzten Besuch einzustellen, vermittelt ihm das Gefühl, willkommen zu sein.

Manchmal sind es die einfachen Dinge, die das Leben leichter und angenehmer machen. Von dieser Erkenntnis können auch andere Unternehmen profitieren.

3. Nicht nur Käufer, sondern alle Kunden ansprechen

Gartner-Analyst Mick MacComascaigh betonte in seiner Keynote die zentrale Bedeutung von Verständnis und Einfühlungsvermögen für das Kundenerlebnis. Beobachtete Verhaltensmuster, Kontext und Kundendaten lassen sich auf jedem erdenklichen Kanal in eine geeignete Interaktion übersetzen. Unternehmen sollten dafür alle Inhalte, Funktionalitäten und Daten, über die sie verfügen, als eine Reihe von Elementen betrachten. Diese lassen sich in Echtzeit in einer bestimmten Reihenfolge zusammenführen. Der kumulative Effekt ist das Kundenerlebnis.

Aber Unternehmen betrachten ihre Kunden noch immer bloß als Menschen, die etwas kaufen. Laut MacComascaigh ist diese Definition viel zu eng. Denn auch Verbraucher, die möglicherweise zukünftig an einem Produkt oder einer Dienstleistung interessiert sind, und sogar Kunden, die ihr Produkt nach dem Kauf wieder zurückgeben, sollten Unternehmen ansprechen. Deshalb zieht er es vor, nicht mehr von Buyer- oder Customer-Journey zu sprechen. Vielmehr gelangen Unternehmen durch solche Konzepte zur Customer-Lifetime-Journey.

Ein Unternehmen sollte den Verlauf einer Kundenbeziehung wirklich ergründen, damit es während der gesamten Customer–Lifetime-Journey wertvoll für den Kunden ist und um vorausschauend bereits die nächste Kundeninteraktion personalisieren zu können.

4. Der Fan hat persönliche Bedürfnisse

Benjamin Stoll und der FC Bayern verlassen sich nicht auf Algorithmen.

Benjamin Stoll und der FC Bayern verlassen sich nicht auf Algorithmen.

Themen wie Hyper-Personalisierung, künstliche Intelligenz und kanalübergreifendes Kommunizieren stehen auch auf der Agenda von Traditionsvereinen wie dem FC Bayern München. Denn Technik und digitale Netzwerke ändern sich konstant. Selbst ein Fußballverein muss schauen, wie er neue Fans auf der ganzen Welt erreichen, faszinieren und binden kann. Der FC Bayern kommuniziert mit seinen Fans überwiegend über eigene Apps, die Website, aber auch über Social-Media-Kanäle wie Youtube, Facebook, Snapchat und Instagram.

Die Fan-Interaktionen betrachtet der Verein als größtes Geschenk, denn es ist ein Feedback-Loop, durch den der Klub nur lernen und sich weiterentwickeln kann. Für jeden Kanal entwickelt der FC Bayern deshalb eine eigene Contentstrategie. Denn er weiß, wie wichtig Personalisierung ist und dass auf jedem Kanal andere Fans anzutreffen sind.

Zukünftig wird die Hyper-Personalisierung noch viel wichtiger werden – Benjamin Stoll, Leiter Digitale Strategie, Plattformen und Innovationen beim FC Bayern München, sieht darin eine der größten Herausforderungen, die auf Marken zukommt. Auf Basis der Daten, die der FC Bayern über Fan-Interaktionen erhebt, kann er noch besser auf die Bedürfnisse seiner Fans eingehen und Inhalte personalisieren.

Welche Inhalte funktionieren, welche vielleicht nicht? Selbst wenn technische Neuerungen wie künstliche Intelligenz immer weiter an Bedeutung gewinnen – der Verein weiß, wie wichtig der Mensch ist. Beim FC Bayern München verlässt man sich deshalb nicht nur auf Algorithmen, sondern auch weiterhin auf die Komponenten menschliche Kommunikation, Interaktion und Beziehung.

5. Kunden gestalten ihren eigenen Weg

Zielgruppen sind sehr heterogen. Die einzige Möglichkeit, alle zufriedenzustellen, besteht darin, so flexibel zu sein, dass sich jeder selbst eine konsistente Experience schaffen kann. Das erklärte Kunal Chakraborty von Grand Vision, in Deutschland bekannt durch das Tochterunternehmen Apollo-Optik. Als Chief Digital Officer eines internationalen Einzelhandelsunternehmens mit 30 Optiker-Ketten denkt er in Sachen Customer-Journey nicht mehr in Kanälen. Bei so vielen Marken in so vielen Ländern ist das fast unmöglich.

Durch umfangreiche Recherchen wurde ihm klar, dass es einen gemeinsamen Nenner gibt, unabhängig davon, wie stark sich die Kunden voneinander unterscheiden. Für Kunden spielen die Kanäle keine Rolle. Sie denken in Marken. Aus diesem Grund hat er viel Zeit damit verbracht, eine Customer-Journey zu entwickeln, die das Unternehmen als Basis für alle Marken verwenden kann.

Chakraborty sieht die Customer-Journey als Lego-Baukasten. Das Unternehmen kümmert sich um die Bausteine, um für jede Marke und auch den Kunden ein persönliches Erlebnis zu schaffen. Die Idee einer Dachmarken-Strategie ist nicht neu. Chakraborty selbst wurde von Volkswagen inspiriert. Alle Autos des deutschen Konzerns fahren mit der gleichen MQB-Plattform. Die verschiedenen Marken – ob Audi, Seat oder Volkswagen – sind individuell, beispielsweise im Erscheinungsbild. Damit schafft sich Volkswagen einen Kern, den das Unternehmen skalieren kann, und ist trotzdem in der Lage, sich an lokale Märkte und Gegebenheiten anzupassen.

In Bezug auf Brillen und Kontaktlinsen bedeutet dies, dass der eine Kunde zum Beispiel online einen Sehtest durchführen kann, während der andere sich im Geschäft ein Brillengestell aussucht. Und der nächste Besucher sucht sich etwas im Laden aus, erledigt die Bestellung jedoch online. Es hat keinen Sinn, Kunden in eine bestimmte Richtung zu drängen. Viel zielführender ist es, die Kunden ihren eigenen Weg gestalten zu lassen und sie dabei zu unterstützen.

6. Die Demokratisierung der User-Experience

Um diese Herausforderungen zu meistern, müssen Unternehmen ihre Inhalte auf jeder denkbaren Schnittstelle einheitlich ausspielen. Hierzu eignen sich beispielsweise Plattformen, bei denen das Frontend von der Datenquelle getrennt ist und an die sich digitale Kanäle über APIs anbinden lassen. Die Auswahl der Kanäle kann je nach Unternehmen und Land variieren. Dabei ist es laut Grand Visions Digitalchef nicht zielführend, wenn jede Fachabteilung ihren eigenen Weg geht. Zu dieser Erkenntnis sind inzwischen viele Unternehmen gelangt.

So wie McDonald's den Lieferservice nicht selbst ausführt, sondern dafür mit Uber Eats kooperiert, arbeitet Chakraborty mit Spezialisten für Customer-Experience zusammen. Das Kundenerlebnis sollte nie von der Technologieplattform vorgegeben werden. Bloomreach-CEO Raj De Datta bezeichnet diese Entwicklung als "Demokratisierung der UX (User Experience)". Sowohl innerhalb als auch außerhalb von Unternehmen sieht er eine zunehmende Auseinandersetzung mit dem Kundenerlebnis.

Für so spezifische Anforderungen wie Sprache und Spracherkennung, die man in Zeiten von Sprachassistenten und Chatbots benötigt, sollten Lösungen miteinander vernetzbar sein. Dafür braucht es eine offene Plattform, die in der Lage ist, alle notwendigen Tools – etwa hinsichtlich Spracherkennung – anzubinden. Das versetzt Unternehmen in die Lage, unterschiedliche Technologien einzusetzen und letztlich jede Kundeninteraktion zu verbessern.

Ein Blick in die Zukunft würde wahrscheinlich zeigen, dass ein durchschnittliches Kundenerlebnis aus einer noch größeren Anzahl digitaler Kanäle und Interaktionstypen besteht. Neue Touchpoints werden eine weitere Ergänzung zum bereits Vorhandenen sein. Verbraucher werden Zeitpunkte finden, wann sie die neuen Touchpoints nutzen wollen. Wer laut De Datta auf die menschlichen Bedürfnisse schaut, sieht einen unstillbaren Hunger nach Konnektivität. Unternehmen, die sich von den Tech-Giganten unterscheiden wollen, sind gut beraten, über diese Kanäle Kontakt zu (potenziellen) Kunden aufzunehmen und sie dabei konsistent sowie kanalübergreifend mit derselben Tonalität anzusprechen.

*) Tjeerd Brenninkmeijer ist Executive Vice President EMEA bei Bloomreach, einem Anbieter im Bereich personalisierter Digital Experience. Er überwacht neben der Wachstumsstrategie auch die strategischen Allianzen sowie das operative Geschäft in der EMEA-Region. Davor war er Mitgründer von Hippo und verantwortete dort 17 Jahre die Marketingstrategie. Als Thought Leader im Digital-Experience-Bereich ist Brenninkmeijer häufig in Branchenpublikationen und auf Branchenevents vertreten. Seinen Master erwarb er im Fach Betriebswirtschaftslehre an der Universität von Amsterdam.


Autor: W&V Gastautor:in

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