Christian von der Eltz über das neue Gründungsfieber:
"Gier war noch nie ein guter Ratgeber"
Der frühere Leo-Burnett-Kreative Christian von der Eltz weiß, was Startup bedeutet. Aber die neue Gründerkultur macht ihn fassungslos. Ein Rant.
Dass junge Menschen Unternehmen gründen wollen, ist ja nichts Ungewöhnliches. Und das ist gut so. Ich habe das ja schließlich auch mal gemacht. 1992 mit CEA. Damals bin ich noch davon ausgegangen, dass man klein anfangen muss; ohne fremdes Geld und ohne fremde Hilfe. Zunächst ging es darum, nur sich selbst und anderen zu beweisen, das notwenige Talent mitzubringen, um etwas besser zu tun als andere. Und man musste in der Lage sein, aus einer Mark, einem Euro, einem Dollar auch zwei zu machen.
Man musste seine kleine Bude global betrachten und trotzdem jeden anfallenden Job selbst erledigen können - einfach, um zu lernen was Fehler bedeuten. Man musste persönlich Verantwortung übernehmen. Man brauchte Ideen, musste hart arbeiten; man hatte nichts außer seinen Glauben an sich selbst und an seine Idee.
Man arbeitete mit kleinem Geld. Man hat gewonnen und verloren, gekämpft und geheult ... Und man hatte eine Menge schlaflose Nächte. Man war mehr als einmal fast pleite, ist wieder aufgestanden und hat weitergemacht. Ich auch!
Aber im Vordergrund stand immer die Idee, das Produkt, die Leistung. Man hat sich rechtfertigen müssen, für dass, was man macht und wie man es macht.
Bevor man sich aber in dieses Abenteuer gestürzt hatte, war man lange genug im Angestelltenverhältnis und hat dort Step by Step gelernt.
Ich erinnere mich noch an das Jahr 2000. New Economy. Gigabell in Frankfurt. Ich glaube, zum allerersten Mal in der deutschen Wirtschaftsgeschichte ist es vorgekommen, dass Banken blind Unternehmen finanzieren. Die älteren Jahrgänge unter uns werden sich erinnern, was dabei herauskam, und was die Folgen waren – speziell für die Medienbranche. Sei es drum. History.
Und jetzt?
Wenn die Gier den Verstand frisst
Wir erleben einen Wandel in der Unternehmenskultur, der mehr und mehr Seriösität vermissen lässt. Die Gier nach schnellem Geld, maximalen Wachstum und der Besetzung von Schlüsselpositionen scheint den Verstand außer Kraft gesetzt zu haben. Es wird gezockt, gespielt und auf maximales Risiko gefahren.
Die Tech-Industrie hat Regeln neu definiert, und wir alle sollten uns fragen, ob das noch gesund ist. Ich lese täglich jede Art von Wirtschaftsnachrichten. Und da ist nur noch die Rede von Startups, Enterpreneurs - die ich persönlich als Raubritter bezeichne - und Summen, bei denen mir schwindelig wird.
Richtig nachdenklich macht mich aber, dass diese Summen angeblich wirklich fließen, man aber irgend wie gar nicht mehr mitbekommt, was das betreffende Unternehmen eigentlich macht.
Man weiss nicht mehr, wer genau die Verantwortung übernimmt und welchen Einfluss diese Startups auf Gesellschaft und Wirtschaft nehmen.
Startup-Events sind die neuen Kaffeefahrten
Man könnte sagen, dass das vielleicht das Ergebnis einer fehlgeleiteten Kommunikation ist. Diesen Eindruck habe ich aber mittleweile nicht mehr. Mir scheint, dass eine neue Branche gibt, die gelernt hat, wie man mit einer Luftblase Millionen einsammelt, ohne am Ende liefern zu müssen. Denn so schnell und medienwirksam, wie diese Startups auftauchen, so sang- und klanglos verschwinden sie wieder. Und ich frage mich: Wie soll das funktionieren?
Ich bekomme jede Woche Einladungen zu so genannten Startup-Events. Da werden angeblich hochkompetente Leute angekündigt, von denen ich noch nie was gehört habe. Da sitzen junge Leute im Saal, im Alter von 20 bis 25, maximal 30 Jahren, die andächtig zuhören, und die den Eindruck vermittelt bekommen, wie einfach es ist, an Geld zu kommen. Ich meine,… an viel Geld!
Schon die Begrüßung gleicht einer plumpen Werbveveranstaltung. Da werden Plakate, Poster und Broschüren gezeigt, als wolle man den Leuten etwas verkaufen und nicht seriös hinterfragen, wer welches Geschäftsmodell anzubieten hat. Da wird nicht nach Kernkompetenz, Qualifikation oder Erfahrung gefragt. Es scheint, jeder könne über Nacht zum Millionär warden. Bitte nur unten rechts unterschreiben und das Kleingedruckte nicht lesen!
Bei einer dieser Veranstaltungen wurde dann nach ca. 30 Minuten gefragt, ob sich jemand aus dem Publikum äußern wolle? Ich habe lange überlegt, ob ich mir das antuen soll. Ich tat es mir an und bat um das Mikrofon.
Also an die Herren auf der Bühne in ihren Nadelstreifenanzügen: Was genau brauchen Sie, um einem der jungen Leute hier zu einem VC von, sagen wir, 50.000 Dollar zu verhelfen? Die Antwort: “Eine Beschreibung der Geschäftsidee…” That’s it. Und alle strahlen und sehen ihrem Traum vom eigenen Unternehmen schon morgen realisiert.
Ich zitiere mal den Wortlaut meiner weiten Fragen und deren Antworten:
“Das bedeutet also, eine grundlegende, detailierte und professionelle Marketingkonzeption ist nicht notwendig? Sie brauchen keinen Investitions- oder Businessplan? Ein Jurist zur Firmengründung oder zur Vertragsprüfung ist genauso wenig nötig, wie die Vorlage einer Prozesskettenplanung, angefangen von der Backendplanung, Produktentwicklung, Produktion, Administration bis hin zu den Frontend-Funktionen Vertrieb und Marktkommunikation? Was ist mit Business-Development-Plänen, Marktdaten usw.? Verzeihen Sie mir, wenn ich es nur anreißen kann, aber für mehr fehlt hier die Zeit…”
Plötzlich wurde es still auf der Bühne und die Herren wurden sichtlich nervoes. Ich war gerade so richtig warm gelaufen und schritt auf einen jungen Mann zu. Ich fragte ihn: “Sie möchten ein Unternehmen gründen? Und Sie brauchen Geld? Und alles das, worüber ich gerade gesprochen habe, wissen und beherreschen Sie perfekt? Und Sie haben diese notwendige Erfahrung?
Antwort: “Nein.” Nächste Frage: “ Wie alt sind Sie?” Antwort: “27.” Mein Kommentar: “Wenn Sie das hier unterschreiben, wovon ich im Augenblick noch nicht genau weiss, was Sie hier unterschreiben müssen, ist Ihr Leben vielleicht schon mit 28 zu Ende.
Was ich erreichen wollte, habe ich erreicht. Die jungen Leute wollten jetzt das Mikrofon und fingen endlich an, Fragen zu stellen. Die richtigen Fragen! Und wie erwartet, hatten die Herren auf der Bühne keine Antworten mehr. Das Ende war, dass sich die Herren verpisst haben und sich die Veranstaltung auflöste. Zwei Wochen später war ich eingeladen, einen Vortrag über Unternehmensgründungen zu halten. Ich war vorbereitet und habe es getan. Am Ende haben 85 Prozent des Publikums eingeräumt, für diesen Schritt noch lange nicht vorbereitet zu sein. Und das ist gut so.
Gründen ist nichts für Greenhorns
Ich weiss ja nicht, wie das heute so funktioniert. Ich bin zu lange weg von Gründerphasen und Startups. Aber mein gesunder Menschenverstand sagt mir, dass jemand mit 25 Jahren nicht Senior Consultant, Executive Creative Director oder irgend etwas anderes sein kann, was man zu meiner Zeit bei Leo Burnett oder Mc Cann Erickson erst mit 40 und älter warden konnte.
Einen kreativen und innovativ denkenden Kopf zu haben, oder auch das Talent für etwas, ist eine Sache. Verantwortung zu übernehmen - für sich und andere - erfordert aber mehr: Sozialkompetenz, emotionale Intelligenz, Lebenserfahrung. Wenn das alles heute nicht mehr nötig ist, müssen wir uns nicht wundern, wenn uns die Dinge im Kleinen wie im Grossen irgendwann um die Ohren fliegen.
Bestimmte Märkte, Branchen und Menschen in Form von sogenannten Influencern versuchen, die Schwerkarft der Erde auszuhebeln und damit physikalischen Gesetzen zu widersprechen, denen man aus Gründen der Logik nicht widersprechen kann. Das passiert im Finanzwesen, in der Politik und in der Wirtschaft.
Ich kann nur davor warnen. Weil wir sonst irgendwann den Entscheidungen von Zombies folgen müssen, denen das Allgemeinwohl sowohl ihrer Bevölkerung als auch ihrer Belegschaft egal ist. Siehe USA.
Entscheidungen sollten wieder kraft Vernunft, Kompetenz und Erfahrung getroffen werden und nicht aus kurzfristigen ökonomischen Gründen. Der gesunde Menschenverstand sollte uns sagen, was richtig und was falsch ist: was sein kann und was nicht.
Einer Idee Geld anzuvertrauen ist die eine Sache. Verantwortung zu übernehmen eine andere. Gier war noch nie ein guter Ratgeber.
Der Autor: Christian von der Eltz war Consultant und Kreativdirektor bei McCann Erickson und LeoBurnett, eher er 1992 sein Designstudio CEA eröffnete. Seitdem arbeitet er weltweit als freier Kreativdirektor und Fotograf. 2014 zog er nach Shanghai, wo er auch eine Gastprofessur für Visuelle Kommunikation übernahm.