W&V Online: Herr Lange, Sie haben auf der Internet World eigentlich sehr anerkannte Social Media-Kampagnen zerlegt, die sehr viele Branchen-Insider als große Erfolge feiern. Ist jetzt Social Media nur eine Blase, der wir gar nicht mehr trauen dürfen?

Mirko Lange: Ich habe ja nicht den Sinn von Social Media in Frage gestellt. Im Gegenteil! Social Media ist das Beste, was Unternehmen passieren kann. Aber nicht alles, was im Web als Erfolg verkauft wird, ist auch ein Erfolg. Oder anders gesagt: Nicht alles ist ein so großer Erfolg, wie es manchmal scheint. Da sind viele Interessen im Spiel, von Agenturen, von Unternehmen, die ja teils sechsstellige Summen investieren. Natürlich muss da eine Aktion nach außen als Erfolg verkauft werden.

W&V Online: Und warum werden Kampagnen dann kein Erfolg?

Lange: Wenn man vergisst, dass da auf der anderen Seite immer ein echter Mensch sitzt, den man anspricht, verschenkt man die eigentliche Kraft von Social Media. Social Media lebt vom Faktor Mensch. Wenn ich den Menschen nur als Stimmvieh oder Multiplikator missbrauche, merkt er das auf die Dauer, und ich habe nichts gewonnen – außer kurzfristig etwas Aufmerksamkeit. Ich brauche ihn, und nur wenn ich ihm wirklich helfe, dann hilft auch er mir weiter.

W&V Online: Was wäre denn ein Erfolg? Woran könnte ich das messen? Sind die Follower und Fans keine Kenngröße?

Lange: „Fans“ sind definitiv eine sehr wichtige Kenngröße. Allerdings nur die echten Fans, nicht die „Gefällt-mir"-Klicker. Einfach nur irgendwelche 50.000 Fans sind nichts wert. Die kann man rasch bekommen. Entweder man verschenkt mal schnell 50.000 Produkte oder man kauft die bei eBay für 1.500 Dollar. Kein Scherz. Man steht toll da, auch vor seinem Chef, aber bringen tut das nix. Und dabei sind 50.000 „irgendwelche Leute“ nicht einmal eine relevante Reichweite. Den „Trierischen Volksfreund“ lesen jeden Tag 300.000 Menschen! Aber echte Fans zu gewinnen ist eben ein anstrengender Prozess. Das können Sie nur schaffen, wenn die Menschen schon außerhalb des Social Webs Fans sind, oder wenn Sie exzellenten Content oder exzellente Services zur Verfügung stellen. Aber es ist ja modern, die Abkürzung nehmen zu wollen.

W&V Online: Und wie mache ich es dann richtig?

Lange: Der Schlüssel ist, dem Kunden nicht nur zuzuhören, sondern auf ihn zu hören. Wenn ich ihm Resonanz gebe, schnell reagiere und ihm das Gefühl gebe, etwas wert zu sein. Die Regel ist also einfach:
1. Tue dem Kunden etwas Gutes (egal ob online oder offline)!
2. Und stelle technisch sicher, dass der Kunde das via Social Web verbreiten kann!

W&V Online: Service, das ist ja eigentlich nichts Neues. Das lernen auch die Verkäufer beim Gebrauchtwagenhändler. Ist das wirklich das Rezept für ein neues Medium?

Lange: Genau deswegen ist es ja so wirksam: Weil es nichts Neues ist! Der Mensch ist ja auch nichts Neues. Neu ist aber, dass ich in einem Massenmedium Menschen mit persönlichem Kontakt etwas Gutes tun kann. Aber das wird heute kaum praktiziert. Ich höre heute eher, dass man einen reichweitenstarken Viral im Netz verbreiten will. Nur: Ein solcher Viral ist nicht planbar, ein Erfolg nicht reproduzierbar. Ich würde lieber strategisch auf was anderes setzen – auf starkes Kundemanagement zum Beispiel. Alle wollen immer „neue Zielgruppen“ und vergessen dabei die wichtigsten uns ertragsreichsten: Die eigenen Kunden. Ein gutes Beispiel ist die Telekom mit ihrem Service „Telekom hilft“ auf Twitter. Da reagieren die Service-Mitarbeiter sofort. So entsteht die richtige Nähe zum Kunden. Und so entstehen Fans.

W&V Online: Noch ein Beispiel für eine gelungene Social-Media-Kampagne?

Lange: Pepsi. Die haben eine Social-Media-Kampagne gestartet, mit der sie die Welt ein wenig besser machen wollen. User sollten ihre Projekte vorstellen, und andere für jene stimmen, die Pepsi finanzieren sollte. 25 Millionen Dollar hat Pepsi hier investiert. Und: Der Absatz sank. Trotzdem macht das Unternehmen weiter. Das macht echte Glaubwürdigkeit und Nachhaltigkeit aus. Pepsi glaubt daran, dass sich echte Fans mittel- bis langfristig auszahlen werden. Und ich glaube das auch.


Autor: Anja Janotta

seit 1998 bei der W&V - ist die wohl dienstälteste Onlinerin des Hauses. Am liebsten führt sie Interviews – quer durch die ganze Branche. Neben Kreativ- und Karrierethemen schreibt sie ab und zu was völlig anderes - Kinderbücher. Eines davon dreht sich um ein paar nerdige Möchtegern-Influencer.