Und wie entstehen diese Entwicklungen? Wer findet sie und greift sie auf?

"Vielmehr  entstehen Neuerungen durch die Veränderungen der Nutzer-Verhaltensweisen. Pinterest beispielsweise ist nicht so belanglos, wie es der Autor darstellt. Es ist nämlich eine der ersten Web-Anwendungen, die auf Frauen zugeschnitten ist. Frauen sind mittlerweile in der Web-Nutzung mit den Männern gleichauf. Bislang aber sind die Shopping-Seiten doch eher an Männer-Bedürfnissen ausgerichtet: Die Web-Shops wie Amazon bieten Listen, Listen, Listen. Dann entscheidet ein Mann eher nach Anzahl der Features und nach dem Preis. Frauen hingegen gehen das Thema viel emotionaler an. Pinterest beispielsweise spielt das Produkt mit den großen Bildern direkt und emotional in den Vordergrund. Der Preis ist für die Konsumentinnen eher untergeordnet, aber sie identifizieren sich so viel eher mit dem, was ihnen angeboten wird."

Welche Zyklen erleben Neuentwicklungen heute?

"Wir leben in einer sehr kurzlebigen Zeit. Wir entwickeln immer schneller neue Anwendungen, die Iterationen werden immer kürzer. Heute entsteht Neues eher mal in einem 6- bis 8-Wochen-Rhythmus. Das liegt daran, dass viele Basis-Themen bereits vorhanden sind. Man nimmt dann bereits vorhandenes Code-Material und kombiniert dieses neu. Wir können heute nicht mit einer Fünf-Jahres-Vision starten, die hält doch den aktuellen Entwicklungen überhaupt nicht stand. Es ist vielmehr so, dass sich überall auf der Welt Leute finden, die kleinere Dinge entwickeln, aus denen entstehen dann zusammengenommen die größeren Meta-Entwicklungen. So ist beispielsweise auch Facebook entstanden. Es gab ja schon jede Menge soziale Netzwerke davor, aber nun bestimmt Facebook, wie wir mit unseren Freunden online kommunizieren und umgehen."

Madrigal sagt, es werden immer nur Daten erhoben, um Werbung maßzuschneidern und damit Geld zu verdienen. Das sei doch sehr einseitig und binde kreative Kräfte. Was sagen Sie dazu?

"Natürlich will ich heute an die Daten der Nutzer. Aber doch nicht gar so sehr zu Marketing-Zwecken, als eher um das Angebot zu verbessern. Wenn ich ein Angebot habe, das auf einem Paid-Modell basiert, dann kann ich es mit den Daten doch viel besser und zielgerichteter auf den Nutzer zuschneiden. Die Datenerhebung erschreckt doch heute eher die Leute, die aus einer reinen Offline-Welt kommen. Online ist das doch ganz normal."

Was ist dann das nächste große Ding?

"Man muss sich einfach die Frage beantworten: Welche der täglichen Verhaltensweisen der Nutzer bekommt man bislang nur suboptimal im Netz abgebildet? Ich persönlich glaube, dass die nächsten großen Entwicklungen im Bereich der Enterprise-Software passieren werden. Das ist das nächste große Thema. Da ist noch viel zu holen - die internen Anwendungen sind bislang zu wenig nutzerfreundlich. Aber die Nutzer werden nun auch auf Schöneres und Komfortableres drängen, wie sie es vom iPad schon gewohnt sind."


Autor: Anja Janotta

seit 1998 bei der W&V - ist die wohl dienstälteste Onlinerin des Hauses. Am liebsten führt sie Interviews – quer durch die ganze Branche. Neben Kreativ- und Karrierethemen schreibt sie ab und zu was völlig anderes - Kinderbücher. Eines davon dreht sich um ein paar nerdige Möchtegern-Influencer.