Existierende Geschäftsmodelle werden hinterfragt, neue erblühen. Öffentlich-rechtliche Sender experimentieren mit Web-TV- und Social-Media-Formaten. Viel Bewegung gibt es auch im Bereich der bezahlten Werbung, bei Subscription-Modellen und der Distribution von digitalem Bewegtbild. Hardarson betonte, wie wichtig es sei, dass gerade die etablierten Akteure der Branche sich den Herausforderungen des Wandels stellen. Ansonsten drohe der "death by many cuts: Wenn die großen Akteure in dem Markt nicht nachrüsten, neue innovative Produkte auf den Markt bringen und sich dem Wettkampf mit den vielen neuen Unternehmen stellen, werden sie womöglich ausbluten."

Das lineare Fernsehen verliert in Europa jährlich ein bis drei Prozent seiner Views, während Onlinevideo zwischen 10 und 15 Prozent Wachstum pro Jahr vorweisen kann. Irgendwann fängt es an weh zu tun.

Trend zur "Glokalisierung"

TV sei eine sterbende Riesenindustrie, sagt Ralf Klassen (Bitprojects). Ganz so radikal sahen es nicht alle Teilnehmer des Panels zu den New TV Trends. Joan Bleicher (Professorin für Medienwissenschaft, Universität Hamburg) geht davon aus, dass das Fernsehen sich umorientieren und stärker an den Programmschwerpunkten Erzählen, Shows, Live-Events und Information festhalten wird. Ebenso sieht sie Regionalisierungstendenzen.

Doch sogar die globalen Riesen von der amerikanischen Westküste – Amazon, Apple, Youtube und Netflix – setzen inzwischen auf Eigenproduktionen von lokalem Content. Eine noch stärkere Bedrohung also für die regionalen Sender? Hans-Jürgen Jakobs ("Handelsblatt"), der durch den Kongress führte, äußerte sich überzeugt, dass es auf politischer Ebene eine Gegenbewegung geben wird. Und zwar dann, wenn die wachsende Macht der globalen Vier unheimlich wird.

Big Data – Distribution von digitalem Bewegtbild

Eine weitere Herausforderung dieser Zeit besteht im Datenvolumen und der Komplexität der Kommunikationsmöglichkeiten. Die technischen Abteilungen der Unternehmen wachsen exponentiell. Heute sind es 33,5 Tbps, die das Unternehmen Akamai Technologies (Weltmarktführer im Bereich CDN-Services) pro Sekunde verarbeiten muss. Das ist das 255-fache dessen, was vor zehn Jahren verarbeitet wurde. Wenn wir so weiterrechnen, müssten in zehn Jahren 8,5 Pentabits/s an Daten übertragen werden, prognostiziert Will Law (Akamai Technologies).

Wie man mit solch gigantischen Datenmengen umgeht, ist eine Frage mit nicht einem, sondern mehreren möglichen Lösungsansätzen. So gilt in Anbetracht dieser Zahlen und Fakten zumindest diese vielzitierte Wahrheit: The mad men have turned into math men.

Virtual Reality – God view

Unser Alltag wird in zehn Jahren kaum so aussehen wie neulich in Berlin beim Besuch von Mark Zuckerberg. Man wird nicht durch übergroße Virtual-Reality-Brillen voneinander abgeschirmt dasitzen. VR-Brillen, so war man sich im Hamburg allgemein einig, werden in Zukunft kleiner, unauffälliger und trotzdem leistungsstärker werden. Nicolas Chibac vom Startup Spice-VR stellte seine Spherie-VR-Drohne vor, die mit mehreren Go-Pros einen 360-Grad-Rundumblick erstellt.

"God view" nennen sie es. Ganz so, als würde man durch Gottes Augen schauen. Drehen könne man inzwischen auch mit hochwertigeren Kameras, zum Beispiel denen von Arri, in 8K und höher. Aber die meisten Abspielgeräte können bisher "nur" 4K mit 30 fps wiedergeben. Großes Potenzial im VR-Bereich gibt es für Messen, Hotels, Touristik, Immobilien, Sportstadien.

Theoretisch könnte man ganze Städte einscannen und Google Street View lebendig werden lassen. "Und in 15 Jahren haben wir dann das Holodeck", so Chibac. Zurzeit sei es noch "wie im Wilden Westen". Vieles ist ungeklärt, zum Beispiel wenn es um Lizenzvergaben geht. Crossmedial stellt sich die Frage, wie man TV und VR verbinden kann. Und auch Product Placements sind ein heißes Thema. Ein Feld, auf dem viel passiert und passieren wird.

Smarte Millennials

Sie sind 25 Stunden die Woche online. Sie machen ein Drittel der Bevölkerung der USA aus. Sie nennen sich Millennials. Oder genauer genommen werden sie so genannt. Und tatsächlich besteht ein großer Unterschied zwischen denen, die in den 70ern/80ern geboren wurden und denen, die erst 2000 das Licht der Welt erblickten. Denn an den meisten von uns aus den Generationen X und Y ist der Youtube-Starkult komplett vorbeigegangen. Wir blicken aus der Ferne fasziniert auf dieses Phänomen, das wir nicht so recht nachvollziehen können. Mit Ausnahme der junggebliebenen Gamer, die gemeinsam mit ihren Let’s-Play-Stars allmählich die ersten grauen Haare bekommen.

Für viele Jugendliche ist Youtube inzwischen wichtiger als das Fernsehen. Und Influencer-Marketing ist in aller Munde. Wenn es darum geht, Unternehmen und Youtube-Stars zusammenzuführen, werden Influencer-Marketing-Plattformen immer beliebter. Das Startup Reach Hero ist eine dieser Plattformen und stellte ihr Konzept auf dem Kongress vor.

Um die Millenials zu erreichen, tun auch die TV-Anstalten einiges. Sie nehmen Youtuber in ihr Programm auf. Geben ihnen eigene Sendungen. Wie zum Beispiel der SWR mit LeFloid und dem Format "1080 Nerdscope".

Doch eine Frage beschäftigte die Redner ganz besonders: Werden junge Leute noch für Content zahlen? Philipp Westermeyer (Online Marketing Rockstars) ist zuversichtlich. Er hält es für einen Mythos, dass die jüngeren Generationen nicht bereit sind, für gute Unterhaltung zu zahlen. Er vermutet eher, dass noch nicht überall die richtigen Bezahlmodelle angeboten werden. Als beispielsweise der Youtuber Unge auf Twitch.tv zum Spenden für seine Sendung aufrief, seien enorme Summen zusammengekommen. Und auch die vier Jugendlichen, die in einem Panel Frage und Antwort standen, würden zumindest für aufwendige Produktionen Geld zahlen.

Für Youtube allerdings nicht, da selbst nach einer möglichen Einführung von Youtube Red in Deutschland der größte Teil des Contents immer noch umsonst zur Verfügung stehen würde.

Twitch und die Rocket Beans

Daniel "Budi" Budimann nutzte die Bühne, um Rocketbeans.tv vorzustellen. Seit einem Jahr ist der Sender online, und zwar 24 Stunden an sieben Tagen die Woche. Die Rocketbeans nutzen die Amazon-Tochter Twitch als Live-Streaming-Plattform und Youtube als Mediathek. Sie finanzieren sich über eine Mischung aus Donations, Twitch-Subscriptions, dem Amazon Affiliate Programm, Merchandise, Twitch- und Youtube-Revenues, Branded- und Non-Branded-Content, Sponsored Deals und Product-Placement. Dass darüber inzwischen 60 Mitarbeiter finanziert werden, wundert selbst Budimann und die anderen Gründungsmitglieder.

Hier wird einfach gemacht. Learning by doing, und zwar sehr erfolgreich. Richard Gutjahr (Journalist und Blogger) äußerte die Vermutung: "In zehn Jahren stellen die Rocketbeans uns alle ein."

TV-Sender, zieht euch warm an

Eines steht fest: Die TV-Landschaft, wie wir sie jetzt noch erleben, wird sich stark verändern. TV-Anstalten sollten sich der Treiber der digitalen Transformation bewusst sein und rechtzeitig auf die veränderten Sehgewohnheiten und Ansprüche der Zuschauer reagieren. Sonst riskieren sie den Anschluss zum jüngeren Publikum zu verlieren. Und im Wettkampf mit Netflix und Co. in der Bedeutungslosigkeit zu versinken. Kein einfacher Weg, aber ein spannender.

* Jackie Gillies ist Beraterin bei der Full-Service-Agentur New Communication in Kiel. Ihre Themenschwerpunkte sind Bewegtbild und Web-TV. 


Autor: W&V Gastautor:in

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