Es ist per se ja nicht schlecht, fleißig und bescheiden zu sein. Warum müssen Frauen lernen, sich genauso auf die Brust zu trommeln wie Männer das tun?
Die Wahrscheinlichkeit im Job auf einem Spielfeld zu landen, auf dem nach männlichen Regeln gespielt wird, ist in Deutschland, aber auch international immer noch ziemlich hoch. Denn: Frauen müssen leider draußen bleiben – das gilt immer noch für weitaus die meisten Chef-Etagen. Das bedeutet, es ist eine Frage der Mehrheiten, nach welchen Regeln gespielt wird und die Männer verhalten sich einfach so wie es für sie üblich ist.

Wie hoch muss der Frauen-Anteil in verantwortlichen Positionen sein, um die Spielregeln mitbestimmen zu können?
Heute geht man davon aus, dass Frauen in Führungspositionen mindestens einen Anteil von 30 Prozent überschreiten müssen, um nicht mehr als Minderheit, sondern als normal und alltäglich angesehen zu werden. Es lohnt sich, immer zu überlegen, wie Frauen selbst andere Frauen fördern und unterstützen können: indem sie als Personalverantwortliche gezielt Frauen vorschlagen, indem sie Kolleginnen für bestimmte Positionen empfehlen oder indem sie Kolleginnen in Besprechungen unterstützen, damit diese gut dastehen und weiter gefördert werden.

Warum kommen Männer Frauen nur so ungern dabei entgegen?
Männer werden Frauen von sich aus das Mitspielen erleichtern, wenn sie eine starke Notwendigkeit dafür sehen. Das könnte bald der Fall sein, wenn zunehmend qualifizierte Frauen in der Wirtschaft fehlen. Schon jetzt raten diverse Personalberater, die Bundesagentur für Arbeit, das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung und das Weltwirtschaftsforum zusammen mit der Unternehmensberatung Boston Consulting Group den Unternehmen, sich verstärkt nach qualifizierten Frauen als Arbeitskräften umzusehen, um diesen Mangel zu beheben. Die Telekom hat 2010 eine Quote eingeführt. Ein Drittel der oberen und mittleren Führungspositionen soll in Zukunft mit Frauen besetzt werden – und so den wirtschaftlichen Erfolg steigern. Der Aufschrei in der Wirtschaft war groß, Verbände, Institute und Unternehmen distanzierten sich. Das zeigt: Es gibt zwar einzelne Initiativen, um Breitenwirkung zu erreichen, ist der Leidensdruck allerdings noch nicht groß genug. Den haben die Frauen. Noch. Und anstatt zu versuchen, die anderen, nämlich die Männer zu verändern, ist es Erfolg versprechender, erst einmal die eigenen Strategie zu überprüfen. Denn so ärgerlich das auch ist: Man kann einen anderen nicht ändern, sondern nur sich selbst.

Bitte nennen Sie uns die wichtigsten männlichen Spielregeln.
Da Macht zu haben für Männer in der Regel wichtig ist, spielen Positionskämpfe innerhalb des Hierarchiesystems eine große Rolle. Der Vorteil der Männer: Ihnen ist wettkampforientiertes Verhalten von ihren Spielen als Jungen bestens vertraut. Bereits da ging's oft um Rangordnungen. Nicht anders in der Arbeitswelt: Selbst in der kleinsten Projektgruppe wird - meist unbewusst - erst einmal geklärt, wer der Platzhirsch ist, wer auf dem zweiten Rang folgt, wer auf dem dritten und so fort. Frauen ist ein solcher Mechanismus von Haus aus total fremd. Das Problem: Sie geraten so in Gefahr, einen niedrigen Platz in der Rangordnung zugewiesen zu bekommen. Zu den wichtigsten Spielregeln zählen die Folgenden: Es gibt immer einen Platzhirsch. Die Rolle ‚Fleißiges Lieschen’ zählt nicht. Männer mögen keinen Gesichtsverlust.

Woran liegt es, dass Männer auf Machtspiele fixiert sind und gerne hierarchisch denken?
Auch, wenn nicht alle Männer und alle Frauen gleich sind: In der Regel bewegen sich Männer in einer Dominanzhierarchie wie das klischeehaft in der Werbung „Mein Haus, mein Boot, mein Auto, meine Frau“ beschrieben ist. Es geht darum, einen guten Rang auch in der beruflichen Rangordnung zu erreichen. Das heißt, dieses Prinzip gilt in abgeschwächter Form auch in der Arbeitswelt – auch wenn das den Beteiligten nicht immer bewusst ist.

Ist die Hierarchie-Denke biologisch festgelegt oder anerzogen?
Das Angebot an Erklärungsmustern ist groß. Einige Theorien verweisen auf Prinzipien der Evolution und erklären die höhere männliche Aggression und Dominanz als das Ergebnis von Auswahlprozessen im Kampf um weibliche Sexualpartner. Andere beziehen sich auf die Arbeitsteilung in der Steinzeit und auf historische Entwicklungen. Soziale Theorien konzentrieren sich unter anderem auf die unterschiedliche Rollenverteilung in Familie und Gesellschaft, und Zweige der Entwicklungspsychologie ziehen die getrennten Kulturen von Mädchen und Jungen als Erklärungsmodell heran. Auch die Wissenschaft ist Moden unterworfen. Stand seit den 70er-Jahren zunächst die Erklärung durch soziale Theorien im Vordergrund, haben im letzten Jahrzehnt auch biologisch begründete Theorien viel Beachtung gefunden. Diese verschiedenen Erklärungsmuster sind vor allem in Kombination interessant, da eine Theorie dieses komplexe Thema nicht hinreichend erklären kann.

Warum sind Frauen in der Hinsicht so anders?
Unter Frauen gilt eine Geltungshierarchie. Das heißt, es ist für sie wichtig, anerkannt zu werden. Und anders als bei der Dominanzhierarchie, bei der die Rangordnung, wenn sie durch Kämpfe oder Unterordnung ausgefochten ist, zunächst stabil bleibt, ist die Geltungshierarchie instabil, es immer möglich, dass jemand anders mehr Anerkennung erhält. Frauen sollten sich bewusst werden, wie Geschlechterstereotypen wirken und wie sie selbst mit ihnen umgehen. Da Frauen in Leitungspositionen als Ausnahmeerscheinungen besonders sichtbar sind, sollten sie besonders darauf achten, souverän aufzutreten. Wichtig ist es, die Männer zu beobachten, aber nicht alles zu übernehmen, sondern sich in der jeweiligen Situation flexibel zu entscheiden, wie man sich verhalten will.

Was sind die größten Stolpersteine, die sich Frauen dabei selbst in ihren Karriereweg legen?
Vor allem, sich über die Mechanismen nicht genügend bewusst zu sein und viele Gelegenheiten zur Positionierung und Profilierung ungenutzt zu lassen. Einer der größten Irrtümer von Frauen ist es immer noch zu meinen, das Prinzip Leistung allein würde ihnen zu Ruhm, Ansehen und Ehre verhelfen. Das war vielleicht in der Schule oder an der Universität so, aber da gab es auch keine Positionen zu vergeben. Zwar sind Männer und Frauen laut Grundgesetz gleichberechtigt, die Emanzipation der Frauen ist seit den Siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts weiter fortgeschritten und modern geführte Unternehmen verfügen über Diversity-Konzepte, die alle Mitarbeiter unabhängig von Geschlecht, Herkunft oder sexueller Orientierung gleichermaßen einbinden möchten. Doch nicht nur bei Menschen, auch bei Unternehmen und Organisationen zeigen sich im Arbeitsalltag Widersprüche. Ein Management-Ansatz wird nicht komplett vom nächsten abgelöst, sondern bleibt in vielen Köpfen zunächst weiter aktiv, so dass im Unternehmen oft unterschiedliche Rollenerwartungen nebeneinander existieren. Und häufig wird dann doch noch nach den traditionellen Regeln der meist männlichen Mehrheit im Business gespielt – ohne dass das für alle Beteiligten immer offensichtlich wäre. Das kann man beklagen, aber das hilft nicht weiter. Neben Maßnahmen auf gesellschaftlicher und auf Organisations-Ebene ist Selbstcoaching gefragt. Es geht darum, sich über das System und seine Mitspieler klar zu werden und die eigenen Spielzüge schlau zu planen.

Hintergrundinfo: Laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin von 2010 sind nur 2,5 Prozent aller Vorstandsmitglieder der 200 größten Unternehmen (ohne Finanzsektor) weiblich. Zu ähnlichen Werten kommt auch die Erhebung „Women Matter 4“ der Unternehmensberatung Mc Kinsey 2010 und führt für Deutschland zwei Prozent Frauen in Vorständen auf – ebenso viele wie Indien. Brasilien Frankreich, Spanien und China liegen deutlich unter zehn Prozent, Russland elf Prozent, Norwegen mit zwölf Prozent, in USA und Großbritannien je 14 Prozent, in Schweden 17 Prozent als Spitzenreiter. Insgesamt besetzen Frauen hierzulande nur 26,5 Prozent der Führungspositionen. Im europäischen Vergleich liegt Deutschland damit hinter Bulgarien und Litauen.

Infos zum Buch und zur Anmeldung für den Workshop von Isabel Nitzsche in Düsseldorf am 19. November 2011 gibt es hier.


Autor: Irmela Schwab

ist Autorin bei W&V. Die studierte Germanistin interessiert sich besonders dafür, wie digitale Technologien Marketing und Medien verändern. Dazu reist sie regelmäßig in die USA und ist auf Events wie South by Southwest oder der CES anzutreffen. Zur Entspannung macht sie Yoga und geht an der Isar und in den Bergen spazieren.