Und so kam es zum „Authentisch“-Mißverständnis: Plötzlich präsentieren sich die Arbeitgebervertreter in einem Modus, der sie sympathisch, lässig, medienaffin, cool, nett, ansprechbar und jederzeit dialogbereit zeigt. „Authentisch“ wird mit „nett & co.“ übersetzt.

Zum einen ist natürlich fast überall richtig, dass die Mitarbeiter auch wirklich nett sind, zum anderen ist dies aber nur solange eine interessante Botschaft, solange noch nicht jeder in das gleiche Horn stößt.

Wer jetzt immer noch authentisch verwackelt, hat schon deutlich weniger Neugier auf seiner Seite.

Versuchen wir gegenzusteuern: Authentisch meint „echt“ im Sinne von „als Original befunden“. Mit einem netten Einerlei verschwindet aber jede Originalität. Der von Personalmarketing forcierte authentische Einblick braucht nicht zu zeigen, dass (erstaunlicherweise auch) hier nette Menschen arbeiten. Entsprechende Aktionen sind überflüssig und hinderlich (genau genommen sogar eine Authentizitätsanmaßung).

Denn genau dies - alles andere wäre bedenklich – sollte der Eindruck sein, den die Kollegen sowieso im Social Web hinterlassen. Denn natürlich schauen sich immer mehr Kandidaten an, wer denn die künftigen Kollegen wären. Das Employer Branding wird durch die gelebte Identität getragen oder fällt durch.

Es ist aber nicht nur soziale Kompatibilität, die die Karrierewahl beeinflusst. Das Personalmarketing muss darüber hinaus die Besonderheit eines Arbeitgebers transportieren: Was macht ihn unterscheidbar? Dies darf nicht zu kurz kommen. Nur so kann eine bewusste Selektion erfolgen.

Zudem sollten wir nicht versäumen, dass zu den Besonderheiten auch Ziele und Visionen gehören. Diese unterscheidbar zu prägen, ist sicherlich deutlich anstrengender als verwackelte Interview-Reihen zu posten, aber durchaus auch ein Punkt, um die Attraktivität eines Arbeitgebers zu steigern.

Personalmarketing-Experte Professor Dr. Martin Grothe ist Geschäftsführer der Complexium GmbH in Berlin. Kontakt: grothe@complexium.de, www.complexium.de


Judith Stephan
Autor: Judith Stephan

Sie arbeitet seit über zwanzig Jahren im Redaktionsmanagement der W&V. In ihrer Funktion als Chef vom Dienst ist sie vor allem für die Bereiche Termin-, Budget- und Personalplanung sowie für Autoren und Fortbildung zuständig.