Darf's ein bisschen Fantasy sein?

Stoffe wie George R.R. Martins "Lied von Eis und Feuer" gibt es in der Literatur eine Menge. Viele davon extrem reizvoll für Serienschöpfer. Und - selbst wenn einige davon schon ein paar Jahre auf dem Buckel haben - ungleich zeitgemäßer als "Der Herr der Ringe".

Denn bei aller Liebe (und ich bin wirklich ein Fan der Trilogie und von Mittelerde): In "Herr der Ringe" geht es darum, wie ein sehr exklusiver Männerklub das ultimative Böse besiegt. Eine edle Mission, keine Frage. Frauenfiguren? Eowyn, Arwen? Hm ... Galadriel hat was zu melden, in den Filmen wurde das ein bisschen ausgebaut. Sonst so?

Die bislang vorliegenden Tolkien-Stoffe aus der Zeit vor "Der Herr der Ringe" inszenieren die Frauen nicht üppig. Und gern mal als "Freundin von ...". Ausnahme davon ist etwa Lúthien Tinúviel (hat immerhin einen Silmaril zurückgeholt). "Silmarillion" ist eher ein Geschichts- als ein Geschichtenbuch, das die Welt von Mittelerde und ihre Entwicklung erklärt. Darum war es kein Riesenrenner: Identifikationsfiguren gibt es im Grunde nicht. Verfilmen wird Amazon also in der Welt denkbare Details: Was war Spannendes los in Mittelerde, bevor Frodo nach Mordor aufbrach?

Verglichen mit "Herr der Ringe" ist "Game of Thrones" ein feministisches Manifest. Das baut sich Staffel für Staffel (Band für Band) auf - vom Zipfelzirkus sind am Ende nicht mehr so viele übrig.

Warum muss das Amazon ausbaden?

Den Vorwurf, mehr Männer- als Frauengeschichten umzusetzen, müssen sich alle Kanäle und Studios gefallen lassen. Die einen mehr, die anderen weniger. Hin und wieder findet sich wenigstens ein guter Versuch.

Den gab es sogar bei den Amazon Originals: Zu den besten Serien der jüngeren Zeit (für Männer und Frauen) gehört "Good Girls Revolt". Sie handelt von Frauen, die sich für ihre Rechte einsetzen. Von Diskriminierung von Frauen. 1969, in einer Redaktion. (Seither ist viel passiert - und doch nicht genug, das merkt man beim Zuschauen.) "Good Girls Revolt" lief gut, die Zuschauer mochten die Show, die Kritiker liebten sie. Laut Symphony Advanced Media war es Amazons einziges Format, das in der weiblichen Zielgruppe 18 bis 49 wirklich starke Werte erzielte.

Roy Price mochte die Show nicht so. Die mitspielenden Frauen schon, wie später herauskam. Die Serie aber setzte Amazons Studiochef Ende 2016 nach der ersten Staffel ab. Produzentin Dana Calvo sagte dem "Hollywood Reporter": "Wir hatten nicht einkalkuliert, dass Roy Price sich nicht für die Serie interessiert."

Nur für die Schauspielerinnen: Das kam im Oktober heraus - Roy Price wurde daraufhin von Amazon gefeuert. Eine Folge der MeToo-Bewegung, die mit Harvey Weinstein ihren Anfang nahm.

Der Weg ist frei für moderne Stoffe

Da wäre es doch ein super Gelegenheit für Amazon, seinen guten Willen in der Sache zu bekennen. Interims-Chef Albert Cheng könnte zeigen, dass das System Price nicht Methode ist, und die Flecken, die der auf Amazons Ruf hinterlassen hat, aufhellen. Und zum Beispiel mit der Fortführung von "Good Girls Revolt" ein Zeichen setzen.

Oder mit einer Fantasyserie, die eine ausgewogene frische Geschichte erzählt. Ich will es Amazon auch nicht ganz so schwer machen: Der Autor kann ruhig ein Mann sein.

Mein Favorit, da bleib ich dabei: Tad Williams. Praktisch jedes seiner Epen würde ein prima Amazon Original abgeben. Und Frauen erfüllen hier keine rein dekorativen Zwecke. Sucht schon mal nach einer Briony, einer Miriamel, einer Renie*). Und hey, "Das Geheimnis der großen Schwerter" kann nun sogar wieder als unvollendet gelten. Wenn HBO das mit George Martin so viel Glück gebracht hat, klappt das doch auch bei Amazon!

Aber vielleicht überrascht uns der Konzern ja auch damit, dass sich das Produzententeam großartige Mittelerde-Geschichten mit wahnsinnig spannenden Frauen ausdenkt.

* Briony ist eine der weiblichen Hauptfiguren in "Shadowmarch", Miriamel die der Reihe "Das Geheimnis der großen Schwerter", Renie in "Otherland" (da sind wir schon mehr bei Sciencefiction - aber wow, was für ein Stoff!). Die Rechte dafür liegen schon seit einer Weile bei Warner.

Offenlegung: Als Serienjunkie bin ich nicht zimperlich, Männer geben ganz wunderbare Hauptfiguren ab. "Breaking Bad" ist dafür ein gutes Beispiel. Weibliche Helden und Antihelden sind trotzdem ein bisschen rar (wir vergessen jetzt mal die "Frauenserien", da stößt mir der Weichspüler immer so auf). Umso mehr Spaß macht es dann, auf eine Serie zu stoßen wie "Jessica Jones". Oder "Stranger Things" mit vier großartigen Jungs - und Eleven. Und die Entwicklung von "Game of Thrones" von Staffel eins bis sieben - na, das schauen Sie mal lieber selbst.


Autor: Susanne Herrmann

schreibt als freie Autorin für W&V. Die Lieblingsthemen von @DieRedakteurin reichen von abenteuerlustigen Gründern über Medien und Super Bowl bis Streaming. Marketinggeschichten und außergewöhnliche Werbekampagnen dürfen aber nicht zu kurz kommen.