Mediaagenturen:
Das Märchen von den bösen Mediaagenturen….
Sie verwalten die Milliarden der Markenartikler und erzählen ihnen viel über veränderte Mediennutzung: die Mediaagenturen. Kaum jemand kennt die kleine, aber feine Szene so gut wie Thomas Koch. Für W&V erklärt er, was die Media-Milliardäre wirklich meinen....
Kennen Sie das beliebte Spiel: "Was Mediaagenturen sagen - und was sie damit in Wirklichkeit meinen"?
Die Mediaagenturen sagen zum Beispiel: "Das Geld folgt der Zielgruppe" und führen an, dass sehr wohl noch Hochglanzmagazine "entsprechend" gebucht würden.
Sie meinen: Natürlich entscheiden wir, wohin das Geld unserer Kunden fließt. Wir haben zwar keine Ahnung, wie sich die Mediennutzung gerade wirklich verändert (weil es darüber keine verlässlichen Daten gibt), aber wenn Print zwei Prozent Auflage verliert, dann ziehen wir dort schon mal sechs Prozent der Gelder ab.
Die Agenturen sagen: "Immer weniger - insbesondere junge - Menschen nutzen sie." (Gemeint sind die Printmedien.)
Sie meinen: Der demografische Wandel ist uns völlig schnuppe. Die Medien, die die kaufkräftigen Konsumenten jenseits der 50 nutzen, sind längst überflüssig. Deshalb lieben wir auch das Fernsehen so sehr, weil wir da so unglaublich viele junge Menschen erreichen…
Die Agenturen sagen: "Investitionen in Kommunikation brachten nicht mehr den gewünschten und geforderten Return."
Sie meinen: Tatsächlich beklagen unsere Kunden einen Rückgang des ROI. Da wir darauf keine Antwort haben, verlagern wir Geld von Print in Online: Dort, wo wir sicher sein können, dass die Klickraten immer weiter sinken (1996: acht Prozent, 2000: drei Prozent, 2012: 0,2 Prozent).
Die Agenturen sagen, dass sie auch früher keine Bekanntheit "mittels Maßnahmen aus dem Dialogmarketing" umgesetzt hätten.
Sie meinen: Von Dialogmarketing hatten wir nie wirklich Ahnung. Deshalb lassen wir auch in Zukunft die Finger von individualisierter Kommunikation. Dieses ganze Facebook und Twitter-Gedöns ist uns suspekt. Und Bekanntheit schafft es eh nicht. War sonst noch was?
Die Agenturen teilen nicht die Auffassung "Online-Werbung sei billig und das Angebot schier unbegrenzt" - und verweisen auf die schwierige Buchungssituation in der Vorweihnachtszeit.
Sie meinen: Fragt doch mal die Online-Vermarkter. Die setzen jeden noch so absurd hohen Preis durch. Angesichts der bizarren Angebot-/Nachfrage-Schere laufen unsere Verhandlungen jedes Mal ins Leere. Und Kunden sind eh doof: Fünfzig Wochen lang werben sie nicht. Und dann kurz vor Weihnachten alle auf einmal. Wie die Lemminge…
Die Agenturen sagen: "… dass manche Print-Häuser den Wandel … zu lange ignoriert haben…"
Sie meinen: Sie waren lange genug die Einzigen, die uns keine exorbitanten Agenturrabatte gewährten. Jetzt werden wir sie gnadenlos abstrafen.
Die Agenturen sagen: "Der Blick auf eine im Berufsverkehr auf die S-Bahn wartende Menschenmenge zeigt, wie Medien genutzt werden." (Kein Witz!)
Sie meinen: Unsere ubiquitäre Medienforschung beschränkt sich das Beobachten von Menschen an der S-Bahn-Haltestelle. Damit füttern wir allmorgendlich die Rechner unserer Mediaplaner.
Die Frage, warum Mediaagenturen mit solchem Nachdruck erzählen, dass Zeitungen und Zeitschriften nur noch eine bedauerliche Nebenrolle spielen - tja… ausgerechnet die Frage beantworten die Agenturen leider nicht. Das ist schade. Denn gerade diese Antwort hätte ich so gern kommentiert.
Genug gelästert. Hier schrammen die Mediaagenturen bösartig am Thema vorbei. Denn die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" hinterfragt zu Recht, ob sich die Agenturen hinreichend mit der unterschiedlichen (Werbe-) Wirkung der Medien beschäftigen. Denn das tun sie nicht. Es wird tatsächlich Zeit, dass dieses drängende Thema auf Platz eins ihrer Agenda kommt.
Wir brauchen ganz dringend Daten und Erkenntnisse, die uns helfen, das veränderte Mediennutzungsverhalten aller (!) Medien zu bewerten. Da es sie bislang nicht gibt, stellt sich sehr wohl die Frage, aufgrund welcher "Insights" die Agenturen derzeit die Euro-Milliarden zwischen den Medien hin- und herschieben. Um diese Frage machen sie (auch in ihrem Leserbrief an die "FAZ") einen riesigen Bogen.
Tatsache ist, dass die erfolgsverwöhnten Online-Vermarkter die Werbemittel- und Auslieferungs-Qualität der Agenturen massiv beklagen. Weshalb es auch verständlich ist, dass sie nun selbst eine Qualitätsinitiative ins Leben riefen. Bevor ihr schönes Medium (das wir nach wie vor nicht begriffen haben) weiterhin unter Wert verkauft wird.
Tatsache ist, dass das Fernsehen im Augenblick durchaus Fragen zu beantworten hat - und Antworten besitzt. Und dass Print zwar an Auflage verliert, man diesen Markt jedoch sehr differenziert betrachten muss. Eigentlich gibt es für die Mediaagenturen hier reichlich Hausaufgaben, wenn sie ihrer bekanntlich äußerst lukrativen Aufgabe wirklich und endlich gerecht werden wollen.
Und - last not least - zeigt dieses Beispiel, wie sehr die Mediaagenturen selbst professionelle Hilfe beim eigenen Marketing brauchen.
PS: Es heißt übrigens "Leserbrief der OMG", nicht "des OMG". Sorry, das konnte ich mir nicht verkneifen…
Hintergrund: Der Schlagabtausch begann mit einem lesenswerten Beitrag in der "FAZ". Unter der Überschrift "Das Märchen vom Siegeszug der digitalen Werbung" wird hier die These aufgestellt, dass Mediaagenturen womöglich allzu blind in die digitalen Medien rennen. Und zugleich die Frage gestellt: "Was aber, wenn Werbung in digitalen Kanälen eine andere und im Zweifel geringere Wirkung hat als in klassischen Medien?"
Statt das Thema aufzugreifen und eine für alle Seiten gewinnbringende Diskussion zu führen, fühlen sich die Mediaagenturen auf den Schlips getreten und lassen ihren Verband OMG an "FAZ"-Herausgeber Frank Schirrmacher per "Leserbrief" antworten. Ja, den Umgang mit dem digitalen Zeitalter und Social Media müssen die Agenturen noch lernen…