Der Anwalt des türkischen Präsidenten sieht das Gedicht nicht von der Kunst- und Meinungsfreiheit gedeckt. "Hier wird nur noch plump beleidigt, unterhalb der Gürtellinie." Sprenger zitierte aus dem Gedicht und resümierte: "Der Kläger soll als Prototyp des verlausten Türken gezeigt werden. Das ist schlicht rassistisch." Nach Ansicht von Sprenger hat Böhmermann Artikel 1 des Grundgesetzes schwer verletzt. "Hier wird die Menschenwürde getreten: Die Menschenwürde ist nicht verhandelbar."

Sprenger warf den Ermittlungsbehörden in Rheinland-Pfalz vor, das dortige Verfahren bewusst in die Verjährung getrieben zu haben. Die Entscheidung über die Einstellung sei so spät getroffen worden, dass ihm praktisch keine Zeit zur Einleitung eines Klageerzwingungsverfahrens geblieben sei. Im Medienrecht beträgt die Verjährungsfrist nur sechs Monate.

Der türkische Präsident will in dem Zivilverfahren erreichen, dass das gesamte Gedicht verboten wird. Im Mai hatte das Hamburger Gericht bereits eine einstweilige Verfügung gegen Böhmermann erlassen - seitdem darf er den größeren Teil des Gedichttextes nicht wiederholen. Die Vorsitzende Richterin Simone Käfer ließ nicht erkennen, in welche Richtung die Entscheidung der Pressekammer tendiert. Sie sagte lediglich zu den Anwälten: "Wir werden Ihre Argumente würdigen."

Der Moderator Böhmermann hatte das Gedicht "Schmähkritik" am 31. März in seiner Sendung "Neo Magazin Royale" vorgetragen, als Reaktion auf die "Extra 3" Satire "Erdowie, Erdowo, Erdogan", die zur Einbestellung des Botschafters geführt hatte. Das ZDF hatte daraufhin das Gedicht aus der Mediathek entfernt.

Jan Böhmermann erlebte daraufhin viel Kritik, aber auch eine Solidaritätswelle mit namhaften Unterstützern wie Oliver Kalkofe und John Oliver. So solidarisierte sich etwa Springer-Chef Matthias Döpfer mit dem ZDF-Neo-Moderator - und sah sich prompt ebenfalls einem Antrag auf einstweilige Verfügung von Präsident Erdogan ausgesetzt, die das Landgericht Köln aber zurückwies.

Alles zur Affäre um Erdogan und Böhmermann finden Sie im Update-Stream unter diesem Artikel.

In seiner nächsten Sendung (ab 3. November) nimmt sich Jan Böhmermann erneut Präsidenten vor, zumindest potenzielle: Das "Neo Magazin Royale" wird sich in einer Spezialausgabe dem US-Präsidentschaftswahlkampf widmen. Erstmals wird es in der ZDF Mediathek neben der deutschen Fassung auch eine englische Version der Show (mit deutschen Untertiteln) geben. (W&V Online/dpa)


W&V Redaktion
Autor: W&V Redaktion

Es gibt unterschiedliche Gründe, warum Artikel mit "W&V-Redaktion" gekennzeichnet sind. Zum Beispiel, wenn mehrere Autor:innen daran mitgearbeitet haben oder wenn es sich um einen rein nachrichtlichen Text ohne zusätzliche Informationen handelt. Wie auch immer: Die redaktionellen Standards von W&V gelten für jeden einzelnen Artikel.