Ein besonders düsteres Zukunftsszenario für General Interest auf Papier zeichnet indes der Journalist und Blogger Michael Kneissler, den sogar die Tatsache erstaunt, dass derzeit immer noch hochauflagige Blätter existieren: "Vielleicht ist das so eine Art Dinosaurier-Effekt: Der Komet ist schon längst auf der Erde eingeschlagen, der Himmel verdunkelt – aber immer noch laufen ein paar Echsen-Monster herum und glauben, dass sie überleben werden. "Er wird sehr deutlich: " General Interest auf Papier ist mausetot, ebenso tot übrigens wie General News. Ich selbst lese schon seit Jahren die gedruckten Ausgaben von 'Stern‘ und 'Spiegel' nur noch, wenn diese einen Scoop haben (aber wann haben die schon einen?) oder ihnen eine peinliche Panne passiert. Beide genannten Magazine waren früher Agenda Setter. Das sind sie schon lange nicht mehr."

Wrede will gar nicht so sehr von Trends im Zeitschriftenmarkt reden – " es wurden und werden ja doch viel mehr Titel eingestellt als auf dem Markt gehalten, die Bewegung ist enorm und Verlage geben manchen Titeln kaum Zeit sich zu entwickeln", begründet der Blattmacher seine Bedenken. Und fügt hinzu: "Ich denke, Verlage, die gegen Trends denken, werden Erfolg haben." "Grazia" sei ein schönes Beispiel. Wrede: "Hier wurde ein neues frisches Blatt in einen Frauen-Wochenmarkt platziert, der anscheinend schon randvoll war."

Dass Printmagazine Wege suchen, ihre Konzepte online zu verlängern, ist nach wie vor der Fall. Doch immer häufiger funktioniert dies auch umgekehrt: Zuletzt haben einige ambitionierte Blogs den Weg Richtung Print eingeschlagen. Zwei davon, die Mode-Community "I like my Style" sowie "Circus", dessen Autoren für monothematische Printausgaben exklusiv Beiträge verfassen, wurden jetzt sogar mit dem Zeitschriftenpreis Lead Award ausgezeichnet. Diese Projekte treten mit der Community in Kontakt, die Inhalte treffen so einen Nerv bei den anvisierten Nutzern – und Michael Kneissler gibt so einem Konzept aufgrund persönlicher Erfahrungen durchaus gute Chancen: Er glaubt, dass seine Tochter gern ein Fashion-Magazin lesen würde, "das etwa so funktioniert wie die Fashion- und Style-Blogs der Kids: summerlisten.com, mariamaliki.blogspot.com oder justclara.blogspot.com – nur dass Blättern eben doch noch sinnlicher als Scrollen ist...".

Obwohl die Regale in den Kiosken und Supermärkten längst überquellen, vermissen dle Blattmacher in bestimmten Bereichen noch immer gut gemachte Magazine. So auch Michael Kneissler: Er würde gern "ein richtig cooles Männermagazin" kaufen. "Und mit cool meine ich: Fast ein bisschen unterkühlt, unter Verzicht auf alles, was mit Blut-Schweiß-Sperma-Männerromantik zu tun hat", so Kneissler. Außerdem fehle dringend ein ansprechendes Blatt für Jungs, damit diese nach der 'Bravo'-Phase "nicht endgültig für den Printmarkt verloren gehen". Platz für ein "wirklich modernes" Magazin zum Thema Nachhaltigkeit hat Wrede ausgemacht.

Übrigens: für den "Landlust"-Hype findet Michael Kneissler noch eine ganz eigene Erklärung – der Inhaber von Better_tweets Michael Kneissler Communications spricht von einem "echten Phänomen": "Da wird im Print eine virtuelle Welt erschaffen, wie es bisher eigentlich nur in Computerspielen üblich war. Und die Leser/innen spielen massenhaft mit. Kaum einer der 'Landlust‘ kauft, will ja real in die Kuhkacke treten und stundenlang dem Summen der fleißigen Bienchen lauschen. Für mich ist das eine Art Porno fürs Gemüt. Schön für die Verlage, dass die Leute sowas noch auf Papier kaufen. Der Original-Porno (der mit dem Sex) findet ja nur noch im Internet statt."

Mehr Thesen und Trends sowie weitere spannende Aussagen von Blattmacherin Bettina Wündrich, Entwickler Diddo Ramm, Designer Raban Ruddigkeit oder auch Lead-Award-Chef Markus Peichl finden Sie in der aktuellen Printausgabe der W&V (EVT: 30.06.).

mp/ps


Autor: Petra Schwegler

Die @Schweglerin der W&V. Schreibt seit mehr als 20 Jahren in Print und Online über Medien - inzwischen auch jede Menge über Digitales. Lebt im Mangfalltal, arbeitet in München.