Böhmermann-Debatte:
Grenzen der Satire: Reaktionen auf das Böhmermann-Urteil
Die einstweilige Verfügung des Landgerichts Hamburg gegen 18 Zeilen aus Jan Böhmermanns Schmähgedicht sorgt in Medien und Netz für Diskussionen um Kunst- und Satirefreiheit. W&V Online hat Reaktionen und Kommentare gesammelt.
Einige Passagen des Gedichts, das Jan Böhmermann Ende März im "Neo Magazin Royale" verlesen hat, seien schmähend und ehrverletzend, Böhmermann darf diese nicht wiederholen. Eine entsprechende einstweilige Verfügung hat das Landgericht Hamburg am Dienstag auf Antrag des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan gegen den Moderator erlassen. Davon sind vor allem Passagen betroffen, in denen es um Sexualität und Geschlechtsteile geht; sechs Zeilen zur Unterdrückung von Minderheiten gingen durch. Denn, so das Gericht in seiner Begründung:
Der Antragsgegner trage als Staatsoberhaupt politische Verantwortung und müsse sich aufgrund seines öffentlichen Wirkens selbst harsche Kritik an seiner Politik gefallen lassen.
Der Umgang des Hamburger Landgerichts mit der Kunst- und Satirefreiheit wird im Netz heftig diskutiert, der Begriff der Satirefreiheit ist offenbar ein diffuser, vieles Auslegungssache. W&V Online hat einige Reaktionen auf die einstweilige Verfügung gegen 18 Zeilen aus dem "Schmähgedicht" gesammelt:
Erdogans Anwalt Michael-Hubertus von Sprenger bei Spiegel Online: "Ich bin sehr beglückt über die gute Rechtsprechung in Deutschland."
FDP-Vize Wolfgang Kubicki in der "Bild" (18.5.16): "Man kann das Gedicht nicht insgesamt als Satire einstufen und dann in Einzelteile zerlegen ..."
Ähnlich denken einige Twitterer:
@journalismbln Es geht aber nicht um Geschmacksfragen, sondern um Grundrechte. Und da war das #Boehmermann-Urteil ein Tiefschlag
— Andrian Kreye (@akreye) 18. Mai 2016
Sackdoof, feige und verklemmt ist die Pressekammer des Landgerichts Hamburg. Reimt sich nicht. Schade. #Böhmermann #LGHamburg #Erdogan
— Rights Punk (@christophnebgen) 18. Mai 2016
Schwachsinnsurteil zu #Boehmermann. So könnte man genauso gut einzelne Farben in einem Gemälde verbieten lassen, die Erdodepp nicht gefallen
— airjibeer (@airjibeer) 18. Mai 2016
Deutsche Gerichte können übrigens keine Satire. #Boehmermann pic.twitter.com/77UV3HN8Fw
— Sol Dev★ (@skeptikaa) 18. Mai 2016
Das Urteil gegen #Boehmermann ist eine Beleidigung für alle die jemals ihr Leben für die Meinungsfreiheit riskierten. Oder riskieren.
— Andrian Kreye (@akreye) 18. Mai 2016
Liebes Deutschland,
— B()ris N()wa(k (@journalismbln) 18. Mai 2016
bitte nicht ggn Hassreden auf Facebook wettern & gleichzeitig ggn Verbot der Beleidigung eines Politikers.#Boehmermann
Was ich aus der #Böhmermann-Entscheidung des LG Hamburg gelernt habe: Die Klöten eines Präsidenten sind seine Ehre #Erdogan
— Konso (@k0ns0) 18. Mai 2016
Reaktionen bei W&V auf Facebook
... und bei W&V auf Xing:
Urteil m.E. völlig gerechtfertigt! Auch in der Kunstfreiheit muss es Grenzen geben ... ansonsten könnte jeder, der kinderpornografisches Material mittels Photoshop, Gimp oder dergleichen "künstlerisch verändert" als Künstler durchgehen. Ebenso müsste es Menschen mit rechter Gesinnung "erlaubt" werden, Symbole aus der Nazi-Zeit "kunstvoll" zu verzieren, nur, um sie veröffentlichen zu dürfen ... !?
Kommentare auf den Medien-Websites, zum Beispiel Zeit.de:
Auch ein türkischer Präsident ist ein Mensch und besitzt Rechte. Hätte jemand solch ein Geschreibsel über mich öffentlich vorgetragen, hätte ich ihn ebenfalls verklagt.
Mit Kunst (Satire ist eine Kunstform) ist es so eine Sache. Die einen verstehen sie, die anderen (meist ist es die Mehrheit) verstehen sie nicht. Im Ernstfall können das nur Gerichte entscheiden. Spätestens in den höheren Instanzen hofft man dann auf Kunstverstand. Bei der Würdigung spielt auch eine Rolle, wer der Urheber ist. Wenn Sie oder ich ein Machwerk veröffentlichen, wird man uns die "Kunst" weniger abnehmen, als wenn jemand mit bekanntem Namen und anerkanntem Oeuvre der Urheber ist. (...) Zudem: Manche Textpassagen (oder Bilddetails) mögen als Teil eines Kunstwerkes statthaft sein, aus dem Zusammenhang gerissen sind sie es nicht mehr. Insofern ist das Urteil des Hamburger Gerichtes (das aufgrund seiner notorisch ominösen Rechtsprechung in Mediendingen sicher nicht aus Zufall ausgewählt wurde) fragwürdig. (...)
(...) Man würde doch als Deutscher trotzdem eher verwundert reagieren und es als Schwäche auslegen, wenn Merkel plötzlich europaweit so kleinen Lichtern wie Böhmermann nachstellen würde. Dass ein Erdogan von so einem unbedeutenden Satire-Beitrag überhaupt Notiz nimmt, ihn zur Staatsaffäre aufbläst und so überhaupt erst aufwertet, ist befremdlich und lächerlich. Es wird ihm deshalb auch nicht das einbringen, was er vielleicht anstrebt, nämlich mehr Respekt.
Ich finde es weder affig noch nicht nachvollziehbar. Das Gericht hat sich zu 95% auf Herr Böhmermanns Seite gestellt, der vor seinem Vortrag ja deutlich gesagt hat, dass das Gedicht ein Beispiel für eine Beleidigung ist und somit - für sich allein genommen - zu ahnden wäre. Insofern folgt das Gericht seiner Argumentation -
Lassen wir mal ganz außer Acht, dass der Antragsteller Erdogan heißt, so ist es nur logisch, dass der einstweiligen Verfügung stattgegeben wurde. Auch hier sehen sich diejenigen bestätigt, die das sogenannte Schmähgedicht abgelehnt haben und es nicht durch die Meinungsfreiheit oder der Kunstfreiheit gedeckt sahen, anders als ein Großteil der veröffentlichten Meinung und der handelnden Politik. Ich zweifle nicht daran, dass auch in der Hauptsache Erdogan in Teilen siegen wird.
Vermutlich sollte es künftig nicht Gerichten überlassen werden, Kunstwerke inhaltlich zu deuten.
Kommentare der SZ-Leser (via Rivva):
Weil es keine Satire ist, sondern nur primitive Beleidigungen, die eine wichtige Debatte um Menschenrechte in der Türkei und dem schmutzigen Deal der CDU aus der öffentlichen Wahrnehmung unterbrochen hat. Damit sich dieser plumpe Typ B. inszenieren konnte. Böhmermann ist kein Satiriker. Schon das ist eine Lüge und sollte auch untersagt werden, dass der sich so nennen darf.
(...) Sein Humor ist stark ideologisch und polemisch. Mit Satire hatte das Gedicht nichts mehr zu tun. Das waren nur plumpe Beleidigungen.
(...) Das ganze "Schmähgedicht/Schmähkritik" ist eine Anreihung perverser Beleidigungen, Verleumdungen und öffentlicher Diffamierungen. Das war keine "Satire" und fällt auch nicht unter "Kunstfreiheit" (...) Selbst wenn es "Satire" gewesen wäre, wäre das gröbste Verletzung des Persönlichkeitsrechts (GG) des Hr. RE. Und da hört die Meinungsfreiheit und Kunstfreiheit einfach auf! (...) Anstand ist ein hohes Gut und bleibt manchen leider fremd.
Es war Satire, und Satire darf das. Das so viele immer noch nicht verstanden haben, was Böhmermann demonstrieren wollte, wundert mich doch sehr. Wiederholen ist ja auch überflüssig!
Kommentare bei der SHZ:
Erdogan ist wirklich ein besonderer "Fall". Aber: Der Text (viele kennen ihn nicht) ist wirklich mit schlimmsten Beleidigungen und Unterstellungen unterlegt. Das hat nichts mehr mit Satire zu tun.
Ob dieses Urteil Recht ist oder ob das Gericht eingeknickt ist, mag ich nicht beurteilen. Überzeugt bin ich aber, dass dieses Urteil der AfD wieder sehr viele neue Stimmen bringen wird! Vielleicht eines noch, hätte das Gericht Erdowahn vorgeladen, wäre es unter Umständen zu der Überzeugung gelangt, über Erdowahn ein psychologisches Gutachten anzufordern!