Raju Narisetti:
News Corp. über Paid Content: "Die NY Times hat falsche Hoffnungen geweckt"
Können Zahlschranken Vertriebserlöse von Zeitungen langfristig stabilisieren? In den USA beginnt die Branche zu zweifeln - darunter Raju Narisetti, Chefstratege der News Corporation im Interview mit W&V-Online-Redakteur Franz Scheele.
In den USA haben bereits 400 Tageszeitungen die eine oder andere Form von Zahlschranke für ihre Websites errichtet. Doch allmählich dämmert auch die Erkenntnis, dass eine Paywall nur eine kurzfristige Lösung darstellt, um die Vertriebserlöse zu stabilisieren. W&V-Online-Autor Franz Scheele befragt den Chefstrategen der News Corporation, Raju Narisetti zu Paid Content - Teil einer aktuell erscheinenden Serie zum Thema im W&V-Schwestertitel "Kontakter". Narisetti war viele Jahre Managing Editor der "Washington Post", bevor in die gleiche Position zum "Wall Street Journal" wechselte. Vor Kurzem wurde er zum Senior Vice President & Deputy Head of Strategy der News Corp. ernannt.
Herr Narisetti, die Zahl der Zeitungs-Websites in den USA, die Paid-Content-Modelle einführen, steigt sprunghaft an. Was steckt dahinter?
Ein Grund ist sicherlich der anhaltende Rückgang bei den Print-Auflagen und generell der Erlöse aus dem Print-Geschäft. Print sorgt ja noch immer für den größten Umsatzanteil bei fast allen amerikanischen Zeitungsverlagen. Zugleich gibt es aber auch einen eher unerwarteten Rückgang im digitalen Anzeigengeschäft. Sowohl was die Anzahl der verkauften Werbeplätze betrifft als auch den Tausend-Kontakt-Preis. Das hat viele Verlagsmanager veranlasst, sich mit ihrem schwachen Business-Modell auseinanderzusetzen.
Gibt es weitere Gründe?
Ja, die "New York Times". Ihre Paywall besteht inzwischen im dritten Jahr. Die "New York Times" hat damit bei Hunderten von lokalen und regionalen Zeitungen die falsche Hoffnung geweckt, dass sie auf diesem Weg ebenfalls eine bedeutende neue Erlösquelle erschließen könnten. Viele Verlage haben rasch das Metered Model der "New York Times" kopiert. Kurzfristig werden einige davon auch tatsächlich neue Erlöse erzielen. Aber so ziemlich alle werden bald feststellen, dass nur eine Minderheit der Website-Nutzer für das Angebot zahlen will.
Sie sehen also in Paywalls keinen langfristigen positiven Effekt?
Wie gesagt, einige Zeitungsverlage werden durch ein Bezahlmodell wie dem der "New York Times" in der Lage sein, durch ein Bundle-Abonnement von Print- und Digital-Ausgabe den Rückgang bei den Print-Erlösen etwas einzudämmen. Paywalls sind eine Möglichkeit, einen stabilen Vertriebserlös zu generieren. Aber dies wird das insgesamt zerstörte Business-Modell der Lokal- und Regionalzeitungen nicht wieder in ein Geschäft verwandeln, das nachhaltige Gewinne einfährt.
Zeitungsverlage müssen sich also neu erfinden?
Genau. Und ich weiß nicht, ob es dafür einen einfachen Weg gibt. Zunächst einmal könnte es helfen, ohne sich zu sehr auf eine Paywall zu verlassen, weitere Erlösmöglichkeiten zu erschließen – online und offline. Außerdem glaube ich, dass die Kostenstrukturen vieler Newsrooms weiterhin nicht mit den realen Erlösmöglichkeiten im Einklang stehen. Deshalb werden wir weiter einen signifikanten personellen Abbau in den Newsrooms erleben. Der Schwerpunkt wird künftig auf Multitasking liegen. Die Newsrooms müssen davon wegkommen, bloß Inhalte zu erstellen. Sie müssen vielmehr dafür sorgen, dass sich die Nutzer engagiert und interaktiv über alle Kanäle mit den Inhalten auseinandersetzen.
Und was muss auf Verlagsebene geschehen?
Die Verlage werden sich wohl damit abfinden müssen, dass ihre größten Werbekunden künftig eigene Inhalte produzieren und nicht mehr so sehr auf klassische Werbung setzen. Und die Verlage müssen endlich erforschen, wie ihre Nutzer sich mit Werbung auseinandersetzen, so wie sie dies bisher bei ihren Inhalte-Angeboten erforscht haben.
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