Sie vertreten die These "TV-Macher aufgepasst, eure Konkurrenz kommt aus dem Netz!" Wer ist gerade besonders gefährlich?

Bis vor fünf Jahren hatten wir beim Bewegtbildangebot in Deutschland ein ganz starres System, in dem sich einige wenige große Akteure mehr oder weniger kommod eingerichtet hatten. Das ist durch das Web und insbesonders YouTube vollkommen aufgebrochen worden. Die Nutzer, aber auch viele, vor allem junge Produzenten haben sich auf die neue Situation eingestellt. Aber die Sender hinken hinterher, obwohl die neue Konkurrenz immer mehr aufrüstet: Amazon hat ganze Web-Serien in Auftrag gegeben, mit Dreamworx produziert erstmals ein Major-Filmstudio für Netflix, die Kinopremieren großer Blockbuster werden in absehbarer Zeit online auf den Portalen großer Marken gestreamt werden. Und YouTube richtet auf der ganzen Welt Studios ein und stellt sie jungen Videomachern günstig zur Verfügung.

Wie bewerten Sie den Umgang der TV-Branche mit den Veränderungen?

Leider reagieren viele Manager immer noch mit einer gewissen Hybris, mit der die Digitalisierung auch in anderen Branchen aufgenommen worden ist. Erst hat es die Musikbranche erwischt, dann Print - und nun TV. Die Fernsehbranche sollte nicht, wie die Vorgenannten es lange Zeit getan haben, mit Arroganz an die neue Situation herangehen. Sicher, noch immer sind die Zuschauerquoten für das lineare Fernsehen groß, im Gegensatz zu den fünf- bis sechsstelligen Zahlen im Web oder bei den VoD-Angeboten. Aber alles zusammengenommen, raubt die Fragmentierung den Großen eben schon jetzt eine gewaltige Anzahl von Zuschauern. Die alteingesessenen Player im TV bleiben wohl erhalten, aber sie müssen dafür aktiver bei der Fragmentierung der Nutzerinteressen mitmachen. Ihnen bleibt gar nichts anderes übrig, als Spartensender wie RTL Nitro oder ProSieben Maxx zu gründen, weil der große Gemischtwarenladen als einziger Kanal nicht mehr funktioniert.

Was raten Sie RTL und Konsorten?

Vor allem sollten die traditionellen TV-Akteure den Wandel zum Anlass nehmen, nicht nur eine technologische, sondern auch eine inhaltliche Neuausrichtung ihrer Programme anzugehen. Sehgewohnheiten und Zuschauerbedürfnisse haben sich fundamental verändert. Das On-Demand-Denken muss sich auch in der kreativen Leistung widerspiegeln. Auch beim Second Screen und im Social TV stehen die Macher des klassischen Fernsehens noch ganz am Anfang. All diese Umbrüche werden aber nur von einigen Wenigen in den Sendern verfolgt und vorangetrieben. Die große Masse, auch vieler TV-Kritiker übrigens, kämpft immer noch an uralten Fronten. Dabei ist zum Beispiel jede Diskussion über "Wetten, dass..?" doch längst überflüssig. Ob diese aus der Zeit gefallene Show mit wem oder wie auch immer nun zwei oder drei Millionen Zuschauer mehr oder weniger holt – das ist doch ein Nebenkriegsschauplätzchen angesichts des neuen Fernsehens.

Videoangebote finden sich allerorten – welches Medienhaus kann es besonders gut?

"Bild" macht das aus meiner Sicht nicht immer inhaltlich, aber strategisch sehr gut. Der Kauf der Rechte für die Bundesliga-Highlights für bild.de ist ein überaus kluger Schachzug und ein Durchbruch für das neue digitale TV-Geschäft, weil Springer die Phalanx der Bundesliga-Sender sprengt und sich als dritter Player im Markt positioniert – gerade jetzt, wo die mobile Nutzung von Videoinhalten so stark ansteigt. Spiegel Online zeigt gute Ansätze, könnte meiner Meinung nach aber noch mehr aus seiner Verquickung mit Spiegel TV herausholen, vor allem im multimedialen Bereich, in der Verknüpfung von Text, Bild, Grafik und Video. Und bei den öffentlich-rechtlichen Sendern zeigt das ZDF immerhin konsequent den Willen zu Experimenten. Von der ARD kommt da ja gar nichts.

Apropos "Bild"-Familie: Wie bewerten Sie deren neues Bezahlmodell Bild Plus?

Das ist ein schwieriges Thema. Ich bin ein Anhänger der offenen Systeme und der Syndizierung. Eigentlich müssten sich Medien von der Denkweise verabschieden, dass sie Inhalte sammeln, sie dann hinter einer Aboschranke verstecken und darauf warten, dass der Nutzer schon kommt. Das gilt für Print und TV wie für Online. Die Medien müssten für ihre Inhalte stärker auch außerhalb ihrer eigenen abgeschlossenen Welt trommeln, sie aktiv an den Leser oder Zuschauer bringen, nicht nur bei Google News. Deutsche Verlage waren doch immer stark dank ihrer Vertriebsstrukturen. Aber wo bleiben jetzt die Ideen für den elektronischen Vertrieb?

Lesetipp: In unserem Blog "Mr Media" beschäftigt sich Thomas Koch intensiv mit den Folgen der Digitalisierung für die Medien.


Autor: Petra Schwegler

Die @Schweglerin der W&V. Schreibt seit mehr als 20 Jahren in Print und Online über Medien - inzwischen auch jede Menge über Digitales. Lebt im Mangfalltal, arbeitet in München.