Rein.

Greta ist 14. Eben geworden. Kaum entschwand ich vom Begehrlichkeits­tableau, trat sie an meine Stelle. Die Tochter einer Freundin bekommt Taschengeld. Die Welt der Medien und Märkte, der Marken und des Marketings sind ihr gänzlich unbekannt und allerherzlichst egal. Herrlich unbefangen und mit all den Ausweichtechniken der jungen Leute behaftet, die sie so unfassbar treulos machen für uns Markenfreunde. Außerdem ist im Elternhaus Gretas der Fernsehkonsum mit schlechtem Leumund behaftet.

Zur Klarheit: Ich bin auf dem Peak meines Schaffens, bin so frei und unabhängig wie nie, im Vollbesitz meiner geistigen Eigenschaften und jeder Menge Kohle. Konsumiere viel und ständig, weiß, was gut ist und was Mist, und werde im Marketingsprech „early adopter“ genannt. Ein Traum für jeden Marketer – nur halt jetzt 50.

Greta bekommt 10 Euro die Woche – oder im Monat? Natürlich muss sie da bei jeder Investition Mama fragen oder Daddy. Oder Oma und Opa. Sie weiß noch nicht so viel von der Welt und ist auch gar nicht so richtig interessiert an ihr. Der Joghurt auf dem Tisch ist ihr so egal wie der Wagen, den Daddy steuert.

Aber: Sie ist 14!

Schwachsinn von Anfang an

Klar, dieser Wahnsinn ist allen längst bekannt. Er war schwachsinnig bei der Einführung, ist es über die Jahrzehnte seiner Nutzung geblieben und beginnt nun, von einem anderen Schwachsinn ersetzt zu werden, indem man Greta rausschmeißt, bis sie 20 ist, und mir eine weitere Duldungszone von zehn Jahren zuweist, und das heißt dann 20–59. Man hat nämlich in meiner so cleveren Branche festgestellt, dass 50-Jährige beim Austritt nicht sterben und selbst 65-Jährige noch etwas führen, was man bei großzügiger Auslegung Leben nennen kann. Mit all dem geliebten Konsum und Genuss. Sah man doch ein, dass man seit zwei Jahrzehnten der Werbe­industrie ein Drittel seiner Zuschauer geschenkt hatte. Als sich dieser Anteil dann gut der Hälfte näherte, zwickte es auch im bescheidensten Hirn, hier vorsichtig neu zu denken.

 Erfunden wurde dieser Quatsch, um sich zu vergleichen. Sich zu messen. Seinem Tun einen Sinn zu verleihen, wo vielleicht keiner erkennbar war. Eine „Währung“ zu schaffen, um zu „kapitalisieren“. Dies hat nach nunmehr 30 Jahren allerdings Folgen, unter denen Kreative (man traut sich ja kaum noch, dieses Wort zu schreiben) jedweder Couleur immer mehr Gefahr laufen, unter die Räder zu geraten.

Für Menschen, die von Kunst, Können, Gestaltung oder weiteren Inhalten sprachen, wurde der Begriff „Soft Skill“ verwendet, was meistens hieß: Depp!

Die Ratings aber, diese Erfindung des Teufels, waren ein wunderbares Totschlagargument für die Controller – die Jünger des Diabolos, die zwar in einer Kreativbranche so viel zu suchen haben wie Mutter Teresa in einem Bordell. Sich aber aufgrund der großen Mengen an Geld, die es in diesen Branchen zu verteilen gab, magisch angezogen fühlten, da sie dort ihre geliebten „Ebits“ erwirtschaften konnten.

Diese „Effizienzler“ konnten langsam und zielstrebig den „Softies“ das Wasser abgraben und pressten über all die Zeit allergrößte Mengen des geliebten Mannas in die Konzernzentralen, die schon früher als in der Kreativbranche selbst nur noch aus McKinsey-Tätern bestanden.

Axel Cäsar Springer nannte der Überlieferung nach seine Verlagsmanager – die Herren der Zahlen – „Krawattenmännchen“. Es muss also eine Zeit gegeben haben, in der das Ansehen der Geldmacher noch anders war als heute. Ich selbst habe bei einer Tageszeitung gelernt. Wenn der Chefredakteur über den Gang schwebte, wünschte man sich ein Loch im Boden, da es natürliches Wissen eines einfachen Menschen war, mit diesem Gott nicht auf einem Flur wandeln zu dürfen. Hätte man ihn angeschaut, wäre es einem ergangen wie am Rätsel-Tor in der „Unendlichen Geschichte“, wo die Sphingen den erstarren lassen, der ihrem Blick nicht ausweichen kann.

Wie anders ist das heute: Die Krawattenmännchen tragen nur noch ganz oben welche, die Helfermännchen ihr Hemd offen. Ihre Farben heißen Dunkelblau und Anthrazit, und manchmal gönnen sie sich einen „lazy friday“. Dann zeigen sie der Menschheit ungefragt, was sie in ihrer Freizeit tragen. Wann also kippte es, wann überließen die Götter der Vergangenheit diesen Hyänen der neuen Welt ihre alte?

Ob in Kunst, Medien, Kultur, Werbung – Geld war jahrzehntelang Mittel zum Zweck; der Star war der Star, die Intendanten waren die Intendanten und die Künstler die Künstler. Die Verleger wurden Milliardäre. Geld brauchte man, um den Betrieb zu gewährleisten. Geld verdiente sich, weil die Märkte abgeschottet waren. Gerade in den Medien lebt unser Tun nun mal von der deutschen Sprache. Da war es gar nicht so einfach, von außen in diese Phalanx einzubrechen.

Dies geschah erstmals so richtig nach der Wende, als das Privatfernsehen und das Privatradio begannen, an den alten Pfründen zu nagen. Als die Zahl zum Fetisch wurde, die bisher allenfalls ein Seitenaspekt war. Als die alten Granden abtraten. Als Springer über „TV Spielfilm“ lachte, die ARD über RTL plus die Nase rümpfte und Kulenkampff Harald Schmidt nicht ernst nahm. Die alten Erfolge hatten bräsig gemacht. Überheblich. Und unfähig zum Wandel. Oder einer eigenen Neudefinition. Stattdessen folgte man den Regeln der Neuen. Und die bestanden ab Ende der 90er, mit Beginn der ersten Startup-Blase, vor allem immer auch aus Zahlen.

Und ab hier drangen dann immer mehr der Numbercruncher in die Schaltpositionen. Und fraßen oder – auch nicht selten – korrumpierten die allzu willfährigen Inhaltemacher zu ihren Vasallen.

Die Zahl als Fetisch

Mal ist eine Quote mit 6,4 Prozent super, dann gibt es enttäuschende 8,2 Prozent, grandiose 3,2 Prozent werden abgelöst von ernüchternden 12 Prozent. Natürlich immer bei unterschiedlichen Medien, aber immer von denselben Schwertführern. Und weil diese Art des Vergleichens so viel einfacher ist als das Beurteilen, Wiegen, Schätzen von Inhalten, scharen sich immer mehr „Experten“ um diesen Fetisch Zahl. Überall in unserer Gesellschaft „zahlt“ es.

Fußballspielern wird der Freitod empfohlen, wenn sie in 90 Minuten
weniger als elf Kilometer laufen. Kein Teenager kann sich ein Leben ohne passenden BMI vorstellen. Durchaus nicht vollständig vor die Pumpe gelaufene Erwachsene kaufen sich Uhren, die ihre Körperdaten erfassen und ins www stellen, ohne zu wissen warum, für wen und was das überhaupt soll.

Ja, auch ich habe deutlich von diesem System profitiert. Ich fühle mich aber deswegen nicht befreit von der Möglichkeit des Denkens, Innehaltens und Reflektierens. Denn die Fokussierung auf die Zahl als alles bestimmendes Instrument zerstört unsere Gesellschaft.

Was soll das für ein Deutschland sein, das keinen Raum mehr für anderes, Freies bietet? Das immer mehr „more of the same“ anbietet und „be different“ draufschreibt? Welche Menschen werden in dieser Gesellschaft herangezüchtet? Welche Maßstäbe werden ihnen beigebracht?

Gerade Medienmacher haben hier eine größere Verantwortung als nur die, ihre Gesellschafter mit Geld zu versorgen. Ganz zu schweigen von den Geld-empfängern, den eigentlich Mächtigen, von denen ich ein bisschen mehr Impetus verlange, als nur der Logik der Märkte zu folgen. Nicht jedes Geschäft ergibt Sinn, weil es Geld bringt. Die alten Wahrheiten sollen wieder mehr in den Mittelpunkt treten.

Wir sollten alle mehr daran denken, wie diese Branche „Kommunikation“ so stark werden konnte. Wir stellen Inhalte her. Und aus Inhalten machen wir Produkte. Produkte tragen mehr als Inhalte. Sie tragen Versprechen. Diese einzuhalten, ist unser Auftrag. Dies in durchdachter Form wird immer verkaufbar sein.

Vielleicht werden wir in Zukunft damit nicht mehr steinreich. Wurden wir übrigens bis auf ganz wenige auch früher nicht. Vielleicht aber werden wir mehr Freude als Druck erleben können, wenn wir uns alle mehr daran halten.

Ein frommer Wunsch.

Ich werde nicht aufhören, ihn zu äußern.


Autor: W&V Gastautor:in

W&V ist die Plattform der Kommunikationsbranche. Zusätzlich zu unseren eigenen journalistischen Inhalten erscheinen ausgewählte Texte kluger Branchenköpfe. Eine:n davon habt ihr gerade gelesen.