Auf der anderen Seite würden die TV-Vermarkter stetig die Brutto-Spot-Preise erhöhen. "Über diese Brutto-Inflation werden künstlich Spielräume für Rabatte geschaffen, die beim Werbekunden nicht ankommen", bemängelt Storch. Die von den Vermarktern geübte Praxis, ihre Tausend-Kontakt-Preise jährlich im "einstelligen Prozentbereich anzupassen", stellt Storch in Frage. "Ich kenne keine andere Branche,  in der das üblich ist".

Zur allgemeinen Reichweiten-Erosion kämen zudem hausgemachte Probleme im Werbeblock. Die seien oft zu lang und zu überfüllt. Ein besonderer Dorn im Auge ist den Werbungtreibenden die wachsende Zahl von TV-Spots, die Sender im Rahmen von Media-for-Equity-Modellen ausstrahlen. "Wir bezahlen viel Geld und müssen dann mit Dot-Com-Firmen um Aufmerksamkeit konkurrieren, die diesen Werbeplatz quasi umsonst bekommen", kritisiert Storch. Man habe zwar grundsätzlich Verständnis dafür, dass TV-Unternehmen auch andere Geschäftsmodelle entwickelten. "Aber die Sender müssen sich entscheiden. Wer auf allen Hochzeiten tanzt, verliert am Ende die Braut".

Deshalb fordert die OWM die TV-Vermarkter auf, "sich vom überholten Modell der durchschnittlichen Werbeblockreichweite" zu verabschieden. Denn auch innerhalb eines Werbeblocks schwanke die Quote oft beträchtlich, so Storch. Bezahlen will man künftig auf Basis "einer sekundengenauen Abrechnung".

Kritisch sehen die Werbungtreibenden zudem das Werbeumfeld TV-Programm selbst. Es sei zwar eigentlich nicht Sache der OWM, die Programmqualität zu kritisieren, so Storch. Aber man stelle fest: Die Investitionen in teure Fiction-Programme seien in den vergangenen Jahren zurückgegangen. "Insgesamt fällt auf, dass die Experimentierfreude zurückgeht", sagt Storch.

Deutliche Kritik übt die OWM an der Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung (AGF). Das Joint-Industry Committee der TV-Sender misst seit Jahrzehnten die TV-Quoten. Das bereits seit fünf Jahren laufende Projekt, die TV-Quoten zu einer bildschirmübergreifenden Bewegtbild-Reichweite auszubauen, komme zu schleppend voran, so die zentrale Kritik. "Die AGF muss sich hier an ihren eigenen Ankündigungen messen lassen", betont Storch. Der Forschungsverbund der Fernsehsender müsse endlich beweglicher werden. "Die AGF muss dringend einer Strukturreform unterzogen werden, damit sie Schritt halten kann mit der Dynamik der Bewegtbildentwicklung", fordert der Werbekundenverband. In ihrer bestehenden Struktur sei die "AGF nicht agil genug, um Veränderungen in ausreichendem Tempo aufzugreifen".

Wie genau sich die OWM im Detail eine reformierte AGF vorstellt, lässt Storch offen. Aber seine Worte sind brisant - schließlich geht es hier um die Fundamente der Quotenwährung und damit auch um die Grundlagen der TV-Preise. Die AGF müsse den gesamten Markt integrieren, auch fernsehfremde Player wie Google und Facebook, sagt Storch. Nur so könne sie eine wirklich neutrale Institution sein. Storch deutet an, dass sich die Werbungtreibenden mehr Aufwand und auch Investitionen in die Reichweitenforschung wünschen. "Die AGF muss in die Lage versetzt werden, die TV-Reichweite adäquat abzubilden". Mit einem "kleinen Panel wird es aber schwierig, die heutige Vielfalt von vielen kleinen Sendern mit Marktanteilen um ein Prozent abzubilden". "Wenn ich über den Atlantik fahren möchte, brauche ich auch ein größeres Boot, als wenn ich nur zur anderen Seite des Mains übersetzen möchte."

Dass Storch und die OWM ihre Kritik-Salve ausgerechnet einen Tag vor der großen TV-Vermarkter-Show Screen Force Day in Düsseldorf abschießen, wurde bereits im Vorfeld vom TV-Lager als Affront gesehen. Storch betont, "an einer konstruktiven und sachlichen Auseinandersetzung" interessiert zu sein. "TV ist und bleibt ein starkes und wichtiges Medium. Aber es gibt Entwicklungen, die kritisch sind und die benannt werden müssen".

Mit einigen bisherigen Marketing-Antworten der Sender, macht Storch klar, ist er nicht zufrieden. So hatte die Gattungsinitiative Screen Force vor einem Jahr ihr Maskottchen "Ferdi" präsentiert.  Die Plüschfigur war Protagonist einer Kampagne der Sender in eigener Sache. "So etwas ist nun wirklich nicht die Antwort auf die Fragen, die sich Werbungtreibende stellen".

Und das sind die Forderungen der OWM:

  • Umstellung der Abrechnungsmodelle auf die tatsächlichen (verfügbaren) TV-Spot-Reichweiten
  • Beendigung des überholten Modells der durchschnittlichen Werbeblockreichweite inklusive Trailer/Venture Spots
  • Etablierung von Preismodellen auf Basis der echten Spot-Reichweiten (Sekundengenaue Abrechnung)
  • Platzierung der Programmtrailer in der Werbeblockmitte 
  • Innovativere Programme, weniger Wiederholungen und deutlicher Ausbau statt Abbau der Fiction
  • Grundlegende Strukturreform der Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung

Autor: Thomas Nötting

ist Leitender Redakteur bei W&V. Er schreibt vor allem über die Themen Medienwirtschaft, Media und Digitalisierung.