
Kommentar:
Der Fall Schill: Von der deutschen Neid- und Nölkultur
Warum der Prophet im eigenen Land gerade in Deutschland so wenig gilt und was Fußball mit Werbung zu tun hat, darüber sinniert W&V-Autorin Susanne Herrmann. Und sie ärgert sich.
"Glückwunsch zum Sieg gegen Real gestern Abend!" So vermeintlich positiv begegnete der FCB-Fan heute Morgen dem Borussen im Redaktionsflur. Aber der reagiert maulend: Denn Ruhrpott-Rivale Schalke hat seinen Gegner Arsenal ebenfalls bezwungen. Ein Wermutstropfen im Fußballglück.
Genauso geht es zu unter Kreativen. Statt dass man sich freut, wenn gute Leistungen der ortsansässigen Konkurrenten unsere Position auf dem Weltmarkt stärken, siegt deutsche Neid- und Nölkultur. Nicht immer, nicht bei jedem, aber allzu oft. In Interviews bestätigen uns deutsche Kreative, die in internationalen Wettbewerbs-Juries sitzen, immer wieder: Der Brasilianer gibt sein Stimme der nominierten brasilianischen Arbeit, der Asiate dem Kollegen aus dem Nachbarland, um die Kreation aus Fernost zu stärken. Der deutsche Juror aber muss sein Revier verteidigen oder kann keinen anderen Top-Kreativen neben sich ertragen (wir spekulieren mal nur), ist neidisch auf die Leistung des Büros vier Straßen weiter, ist der oft gesehenen Werbung überdrüssig - und vergibt seine Punkte dann allzu gern an (von ihm) noch nie Gesehenes aus fernen Ländern, gern England oder Amerika, weil er da den Humor und die Mentalität noch einigermaßen versteht.
Verstärkt wird das nun durch die Motzkultur, die das Social Web begünstigt: Wie einst, als wir noch Leserbriefe schrieben, melden sich online nicht nur, aber vor allem die zu Wort, die unzufrieden sind, was zu meckern haben, sich übergangen fühlen oder einfach mal Dampf ablassen müssen.
So kommt es dann, dass ein Alexander Schill, der in einer Medaillen-Auswertung des PIAF als Nummer eins weltweit geführt wird (nach Zahl der internationalen Preise) sich daraufhin im Web einiger Kritik ausgesetzt sieht, die zum Teil bei ihm an der völlig falschen Adresse ist.
Ich finde es definitiv ein gutes Zeichen, dass nach Jahren der Selbstgeißelung deutscher Kreation, nach Generationen von jammernden Woanders-ist-alles-besser-Sagern hier einmal ein Kreativchef aus der Bundesrepublik nicht nur in den Top Ten, sondern an deren Spitze gelandet ist. Mit deutschen Arbeiten muss man wieder rechnen, wir können auch anderes als nur pünktlich sein und fleißig!
Die Relevanz der Preise, die Vergabepraxis mancher Wettbewerbe von Auszeichnungen für Goldideen, das Für und Wider dessen, wie umfangreich die Credits sein dürfen und wie weit die Verantwortung eines Kreativchefs für die eingereichten Ideen geht - das ist andernorts zu diskutieren und darüber muss die Branche ebenso wie ihre Fachmedien weiterhin wachen.
Dass es für die Reputation der deutschen Werbebranche und damit für uns alle gut ist, wenn nach ein und demselben Maßstab eine deutscher Kreativer international strahlt, das gilt aber hier ebenso unumstößlich wie die Tatsache, dass es der Bundesliga gut tut, wenn viele deutsche Fußballklubs in internationalen Wettbewerben weit kommen. Das zieht Werbekunden und Talente an, die dazu beitragen, die Qualität zu verbessern. Und bei der wollen wir uns doch alle nicht lumpen lassen. Sexy ist nicht nur, was außerhalb unserer Reichweite liegt.