
Cannes:
Kollegen-Kultur: Was bei Thjnk jetzt alles anders ist
In Cannes lädt die Agentur Thjnk Journalisten zu einem Tag am Meer. Karen Heumann, Armin Jochum und Michael Trautmann berichten in mediterraner Umgebung, wie sie die Agentur umgebaut haben und wie dort jetzt gearbeitet wird. W&V-Redakteur Conrad Breyer lauscht beim Rosé und erfährt Überraschendes.
Für ihr jährliches Pressegespräch in Cannes hat sich die Agentur Thjnk einiges einfallen lassen. Fünf Journalisten hat die Agentur aus Hamburg kurzerhand in ein Boot gepackt und auf die Kloster-Insel St. Honorat verfrachtet, um bei einem Mittags-Lunch das vergangene Jahr Revue passieren zu lassen. An Bord ist die Fachpresse, aber auch eine Kollegin der FAZ. Passiert ist so manches und deshalb ist der vierstündige Kurztrip übers Meer nicht zu knapp geplant.
Natürlich läuft ein Journalist bei Rosé und Chèvre Chaud stets Gefahr, sich das Gehörte am Ende schön zu schreiben. Aber Karen Heumann, Armin Jochum und Michael Trautmann, in Vorstands-Stärke angetreten, sind entspannt. Die PR-Inszenierung der Marke Thjnk fällt aus; das Meiste wirkt authentisch und soll auch ein bisschen Spaß machen.
Von der Anlegestelle geht’s also zunächst zum alten Fort hinter der Klosterkirche, wo der Apéritif wartet. Rosé natürlich, on est à Cannes. Übers Geschäft sprechen Gastgeber und Gäste hier noch nicht, eher über Randnotizen aus der Welt der Werbung wie Amir Kassaei, Gisele Bündchen und Frauen-Power in der Kommunikationsbranche. Geschlossen will die Gruppe dann in den Kloster-Shop – die Mönche keltern auf der Insel ihren eigenen Wein. Der Laden hat aber zu, also ab in die Kirche. Die ist zu nüchtern, da ruft nun das Restaurant.
Als alles sitzt, startet Karen Heumann mit der Präsentation. Und da ist Überraschendes dabei: Heumann und Jochum haben, seit sie bei Thjnk angefangen haben, den Laden umgekrempelt; Michael Trautmann trägt es mit. Thjnk hat heute eine ganz andere Kultur, eine, die von Frauen und einem neuen Miteinander geprägt ist – zum Beweis reicht Heumann Fotos herum. Immerhin: Thjnk ist 2013 zum beliebtesten Arbeitgeber Hamburgs gewählt worden – ganz so falsch kann das Erzählte also nicht sein.
Es gibt jetzt für die Mitarbeiter den Mettwoch, den Mettwursttag. Man trifft sich zum Thjnk & Drink oder im Kulturrat, am Jahrestag nimmt sich die ganze Agentur frei, die Clean-Desk-Policy wurde aufgegeben. Auch die ehemalige Chefetage, den 8. Stock, hat die neue Führung den Mitarbeitern zur Verfügung gestellt. Heumann, Jochum und Trautmann sitzen mittlerweile im zweiten Obergeschoss, mittendrin. Es gibt keine Angstetage mehr. Die Geschäftsführung trifft sich jeden Montag zum Mittagstisch, einmal im Monat setzen sich die Ableger in Düsseldorf und Berlin mit Hamburg beim Stammtisch zusammen. Für Mitarbeiter, Presse und Kunden wurde der Kundentag ins Leben gerufen. Aus Kempertrautmann ist eine neue Agentur entstanden, wie Heumann sagt. "Der freie Gedanke steht bei Thjnk an erster Stelle."
Ums Wohlfühlen allein geht es Thjnk freilich nicht, denn die Agentur ist ein Wirtschaftsunternehmen. Und da sieht es – das kommt erst nach dem Hauptgang heraus – besser aus als erwartet. Den Honorarumsatz hatte Thjnk fürs Ranking der inhabergeführten Agenturen noch bei 23,5 Millionen Euro angesetzt. Wahrscheinlich werden es nun 24 Millionen Euro.
Man könnte meinen, Thjnk sei in den vergangenen Jahren vor allem mit sich selbst beschäftigt gewesen, aber es gibt Erfolge. Audi zum Beispiel hat die Rolle der deutschen Agentur in ihrem internationalen Agenturpool gestärkt, zu dem neben Thjnk noch so große Namen gehören wie DDB, BBH, Fred & Farid, Wieden & Kennedy, AKQA und Venables Bell & Partners. Wer bei Pitches Erfolg hat, fährt seine Kampagne weltweit - das gilt auch für Thjnk. Um den Etat kümmern sich Gerrit Zinke und Heiko Freyland. Tobias Ahrens hat Thjnk bekanntlich verlassen.
Ahrens ist einer von denen, die Thjnk in den vergangenen Monaten den Rücken gekehrt haben. Der Auto-Werber ist inzwischen bei Grabarz & Partner. Von den Aussteigern hatten manche ihre eigenen Pläne; andere sind gegangen, weil sich die Agentur veränderte. Manche hat das auch zum Bleiben bewegt, andere sind neu hinzugekommen wie Aufsichtsrat Gesine Haag, Finanzmann Stefan Janßen, der neue Loved-Chef Michael Jacobs, der Stratege Michael von Bach und Kete Link, die sich um die Kunden- und Pressebeziehungen kümmert. Sie alle, so Heumann, schätzten die neue Thjnk, die übrigens – nach dem Ausstieg von André Kemper – bald Trautmann, Heumann, Jochum und Kollegen heißen wird.
Das alles erzählen die Thjnk-Macher ganz unaufgeregt, bei einem Glas Wasser in der Bucht vor Cannes. Eine frische Brise weht vom Meer.
Kollegen – das soll bald für eine weitere Neuerung stehen, auf die Heumann und ihre Kollegen im Moment noch nicht detailliert eingehen wollen. Die Mitarbeiter wollen sie an der Agentur beteiligen, soviel steht fest. "Wir verkaufen nicht an ein Network. Momentan ist das kein Thema“, sagt die Chefin, außer - Karen Heumann lacht - jemand lege ihr eine Milliarde Euro hin. "Dann würde ich gleich in Südfrankreich bleiben", sagt die frankophile Werberin.
Thjnk wächst derweil. Im Ausland versucht man sich an einer Internationalisierung. In China zum Beispiel arbeiten die Hamburger eng mit Lintas zusammen, einem Überbleibsel der legendären Agentur von einst. Auch in den USA hat Thjnk ein Team sitzen – Ausgang ungewiss, aber experimentieren müsse ja erlaubt sein. Sechs Neugeschäfte hat die Firma auch gewonnen, aber die Namen der neuen Kunden bleiben heute noch geheim.
Eine Sache ist da schließlich noch, die Michael Trautmann am Herzen liegt. Das .hiv-Projekt. Thjnk hat sich die Domain sichern lassen und strickt jetzt einige Kooperationen um die Idee mit der Seitenkennzeichnung, um am Ende auf HIV/AIDS aufmerksam zu machen.
Die Zeit ist jetzt um, das Boot wartet. Das Wichtigste aber haben die drei Thjnk-Chefs heute nicht erwähnt. Die Agentur hat in Cannes zwei Löwen für ihren Kunden Ikea gewonnen und - vor Kurzem - den Global Effie für Audi. Außerdem belegt die Agentur beim Euro Effie fünf von insgesamt 44 Shortlist-Plätzen, ebenfalls mit Audi. Deshalb gehen Karen Heumann, Armin Jochum und Michael Trautmann an diesem Abend schon wieder essen – dieses Mal mit Audis Marketingchef Giovanni Perosino.