
W&V-Umfrage:
"Zu wenig": Das sagen Agenturchefs zur VW-Anzeige
Alle Kommunikationsprofis und Werber fragen sich: Hat der VW-Konzern mit der aktuellen Zeitungsanzeige richtig reagiert? Hat er den Ton getroffen? Oder handelt es sich dabei eher um eine vertane Chance? W&V Online hat Agenturchefs befragt.
Der Volkswagen-Skandal lässt niemanden kalt. Kommunikationsprofis und Werber erst recht nicht. Und alle fragen sich jetzt natürlich: Hat der Konzern mit der aktuellen Zeitungsanzeige richtig reagiert? Hat er den richtigen Ton getroffen? Oder handelt es sich dabei eher um eine vertane Chance?
Die Benchmark für eine gelungene Krisenreaktions-Kampagne hat vor 18 Jahren Mercedes-Benz gesetzt, nachdem deren A-Klasse beim Elchtest durchgefallen war. Damals textete Springer & Jacoby: "Stark, wer keine Fehler macht. Noch stärker, wer aus ihnen lernt." Ein toller Ansatz, der aber in einem Fall wie dem heutigen - bei dem man von einem substanziellen Betrug sprechen kann - leider nicht funktioniert.
Das sagen Werber und Kommunikationsprofis zu dieser VW-Anzeige.
Stefan Schmidt, Dieckert Schmidt (verantwortlicher CD bei der Elchtest-Kampagne)
"Erwartbar. Aber zu wenig. Es hätte wenigstens eine konkrete Maßnahme geben müssen, von der man hier berichtet. Mea culpa allein ist nicht genug. Erst als wir die A-Klasse mit kostenlosen ESP ankündigten, damals im Dezember 97, beruhigten sich die Gemüter. Und man schaute gespannt auf den Februar: die Wiedereinführung der A-Klasse mit der Boris-Becker-Kampagne."
Andreas Severin, Crossrelations (hat dort 14 Jahre lang den VW-Umweltbericht betreut)
"Wirkt auf mich geradezu eingeschüchtert und kleinlaut. Da müssten jetzt sehr schnell Taten folgen. Für jemanden wie mich, der dem Umweltbericht über fast 15 Jahre mit Begeisterung gedient hat, ist das erschütternd. 2008, in dem Jahr, als die Manipulationen offenbar ihren Anfang nahmen, sind wir gegen einen internen Dienstleister ausgetauscht worden. Unvorstellbar, was dies für die mentale Lage der Mitarbeiter bedeutet."
Roland Vanoni (Kreativchef von Publicis Pixelpark Deutschland)
"Es tut VW jetzt gut, Demut zu zeigen und auf große Töne zu verzichten. Hätte mir allerdings noch mehr Reue und etwas mehr Selbstkritik in so einer Anzeige gewünscht. In der Vergangenheit sind schwer Fehler gemacht worden, dazu muss man stehen und zeigen, wie man sie in Zukunft verhindern will. Nur zu sagen, wir wollen das Vertrauen unserer Kunden zurückgewinnen, ist etwas banal. Wie man mit einer PR-Katastrophe offen und selbstbewusst umgeht, hat Mercedes vor vielen Jahren beim missglückten Elchtest gezeigt. Dazu gehörten aber nicht nur ehrliche Worte, sondern auch eine nachhaltige Produktoffensive bzw. eine serienmäßige Sonderausstattung."
Arno Lindemann, Lukas Lindemann Rosinski
"Ich finde sie sehr ehrlich in schwierigen Zeiten. Und diese Ehrlichkeit wird in den sozialen Netzwerken ja auch gleich belohnt. Demut tut gut. Alles andere wäre jetzt auch fatal. Ich hoffe für die Marke Volkswagen, dass die Loyalität der Menschen nun größer ist als die Gier einiger Entscheider im Konzern."
Jo Marie Farwick, Ex-Chefin von Heimat Hamburg (macht jetzt etwas, über das W&V noch berichten wird)
"Eigentlich hätte der letzte Satz vollkommen gereicht. Uneigentlich hätte man sich die zwei anderen Dings in der Gratis-Dings sparen können. Im Übrigen hätte ich mir die Schaltkosten gespart und das nur als Post rausgehauen."
Thomas Wildberger, Kreativchef von Publicis Schweiz
"Inhaltlich OK, aber viel zu getextet und daher wenig glaubwürdig. Hätte lieber jemand von VW selber schreiben sollen. Eigentlich."
Klaus Weise, Serviceplan Public Relations
"Eigentlich ist das Wort eigentlich ganz harmlos. Aber nur eigentlich. Denn der Begriff eigentlich - so erklärt es der Duden - verstärke oder relativiere besonders in Fragesätzen eine gewisse Anteilnahme, eine vorwurfsvolle Äußerung. Insgesamt sechs Mal benutzen die Wolfsburger Konzernkommunikatoren in ihren ganzseitigen Tageszeitungsanzeigen nach Dieselgate das Wort eigentlich. "Eigentlich sollte hier unsere Anzeige zum 25. Jahrestag der Wiedervereinigung stehen" lautet die Headline. Um dann Satz für Satz, eingeleitet immer mit eigentlich, zu erklären, was man denn in normalen Zeiten so alles zum Jahrestag der Wiedervereinigung gesagt hätte. Um dann zum Kern zu kommen: "Aber wir möchten jetzt nur einen einzigen Satz sagen: Wir werden alles tun, um Ihr Vertrauen zurückzugewinnen."
Daraus lernt der aufmerksame Zeitungsleser zweierlei: Erstens, dass die Anzeige von Volkswagen zum 25. Jahrestag eher wenig mit der deutschen Einheit, aber dafür umso mehr mit Selbstlob made in Wolfsburg zu tun gehabt hätte. Und das nicht eigentlich, sondern ganz offensichtlich. Und zweitens, dass man sich in der Autostadt ziemlich schwer damit tut, die richtigen Worte zu finden. Wie wäre es beispielsweise mit ein paar Worten des Bedauerns? Wie wäre es damit, sich öffentlich zu entschuldigen? Wie wäre es, wenn VW ankündigen würde, man werde alles daran setzen herauszufinden, wie es überhaupt zu diesem gigantischen Skandal kommen konnte? Und wie wäre es zu verkünden, künftig alles dafür zu tun, das vergleichbare Betrügereien nicht mehr vorkommen? All dies fehlt. VW will nur eines: Vertrauen zurückgewinnen. Das wird so nicht funktionieren. So ganz ohne Schuldeingeständnis, Bedauern und öffentliche Reue. Aber nichts für ungut liebe Volkswagenkommunikatoren: Diese Anzeige war bestimmt ganz gut gemeint. Eigentlich."
(mw/fz)