Das tat er vielleicht früher schon, aber jetzt äußert er sich nicht mehr hinter vorgehaltener Hand und daran wiederum ist nicht allein das Internet schuld. Die Fotos der Flüchtlingsboote auf dem Mittelmeer sind auch am Kiosk fast seltener geworden als die in scheinbar besonnener und ambivalenter Rhetorik verpackten "Das-Boot-ist-voll"-Berichte mancher Medien – welcher Redakteur lässt sein Presseorgan schon gerne "Lügenpresse" nennen?

Was das mit Werbung zu tun hat? Ich frage mich, ob nicht genau jetzt unser Job als Werber anfängt. Das Briefing steht jeden Tag in den Nachrichten.

Wir haben alle Informationen und ein Produkt, für das es sich zu kämpfen lohnt: Eine bunte, moderne und vielsprachige Demokratie. Nur: Wie gelingt es uns, die einzufangen, die glauben, ihr Leben würde ärmer, wenn unser Land Menschen in existenzieller Not hilft? Die ihre Angst nicht selbst benennen können und deshalb die Nähe einer Gruppe suchen, die ihnen leicht verständliche Antworten in einer komplizierten Welt gibt. Die nicht verstehen möchten, dass vermeintlich einfache Lösungen noch nie Lösungen waren, sondern nur unmenschliche Parolen.

Über 200 rechtsextreme Übergriffe gab es im ersten Halbjahr 2015 auf die Unterkünfte, in denen Menschen leben, die vor Krieg und Repressionen in ein freies Land geflohen sind: Voller Hoffnung, dass es ihnen und ihrer Familie hier besser geht. Diese Menschen in Worten und Taten anzugreifen, ist schäbig, niederträchtig und gemein. Es fühlt sich an, als würde man einem Gehbehinderten, der hingefallen ist, im Liegen noch einmal heftig ins Kreuz treten. Hilfesuchende in nützliche und weniger nützliche Flüchtlinge einzuteilen, ist ein Utilitarismus, der angesichts Deutschlands spezifischer Vergangenheit geradezu geschichtsvergessen wirkt.

Ein Einschub: Hier in Hamburg gibt es eine Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge. Sie liegt gleich neben der Autobahntrasse, auf einem Parkplatz des Volksparkstadions. Ein unwirtlicher Ort. Zunächst war es ein Sammelsurium aus gestapelten Containern, dann musste der Drahtzaun mehrfach erweitert werden, um Platz für größere Zelte zu machen. Hamburger Sommer sind kurz, bald kommt der Herbst und die kleinen Heizungen im Camp werden mit Sicherheit nicht ausreichen. Vor den Gittern des Camps trifft man die Menschen, die hier leben. Was mir bei verschiedenen Besuchen auffiel: Sie sehen glücklich aus. Lässt man den Blick auf die tristen Container und wieder zurück auf ihre Gesichter wandern, gehört nicht viel Phantasie dazu, sich vorzustellen, welche Verzweiflung diesem Lächeln vorausging. Dieses Glück darf ihnen jetzt niemand mehr nehmen und es ist eine Ressource, die unser Land reicher machen kann.

Wenn Werbung die Kraft haben will, zu visualisieren, was man sich zuvor nicht vorstellen konnte, dann ist jetzt jeder gefragt, der für sich in Anspruch nimmt, verständlich kommunizieren zu können. Die Aufgabe ist anspruchsvoll, aber gerade das sollte doch herausfordern.

Auf der Haben-Seite steht, dass wir uns auf der Seite einer Mehrheit wissen, aber es wird nicht darum gehen, mit unseren Botschaften das eigene Lager ausgiebig zu beschallen. Die bekannten Stereotypen wie der grimmige Schäferhund oder der "typisch deutsche" Gartenzwerg werden uns jetzt genauso wenig helfen, die Mauer von Ignoranz und Ressentiments zu durchdringen, wie das freundliche Flüchtlingsgesicht. Das hat noch nie geklappt und war immer nur Folklore, versuchen wir es also gar nicht erst.

Die hochqualifizierte Ärztin aus Syrien, die irgendwann auch IHR Leben rettet – bitte gar nicht erst darüber nachdenken – das ist dieser lahme Ansatz, der nur duldet, was einen akzeptierten Status besitzt. "Natürlich habe ich nichts gegen Ausländer, ich habe sogar eine sehr gute syrische Ärztin. Man merkt gar nicht, dass sie keine Deutsche ist."

Es gibt eine gewaltbereite Gruppe, die für keine Botschaft mehr erreichbar scheint. Ihr moralischer Kompass ist auf dem Stand von Achtjährigen und sie sind allein durch Sanktionen zu stoppen. Allerdings decken unsere Gesetze alles ab, was gefragt ist und wir sollten den Staat ermuntern, auszuschöpfen, was geht. Diese Leute "Nazi" zu nennen, ist fruchtlos – warum sollte es jemanden treffen, "Nazi" genannt zu werden, der sich exakt so definiert?

Weit interessanter ist die viel größere Gruppe der Internetkommentierer und Spruchbildchen-Teiler, die sich im Alltag sklavisch an Konventionen halten und auf Facebook die Sau rauslassen. Diese Gruppe ist nicht homogen. Da sind die, die mal ausprobieren wollen, was so geht. Oder die, die dem Rezept erfolgreicher Hetzer nacheifern und sich daran freuen, dass extreme Äußerungen auch extrem viel Resonanz erzeugen. Dann noch die, denen jede Veränderung Angst macht und die sich nicht trauen, darüber zu sprechen und sich stattdessen in Rassismus flüchten.

Will Kommunikation gegen Rassismus mehr als Bestätigung durch die eigenen Leute, muss sie mit dieser Gruppe interagieren. Am glaubwürdigsten funktioniert das übrigens, wenn man dort dagegenhält, wo  man den Ressentiments tatsächlich begegnet und nicht gezielt nach ihnen sucht, um sich darüber aufzuregen. Im Alltag, im persönlichen Umfeld oder im eigenen Freundeskreis in den sozialen Medien lässt sich gut argumentieren. Funktioniert das nicht, kann man die Personen ausgrenzen, was meist im 1:1-Kontakt sogar mehr Wirkung zeigt, als in der öffentlichkeitsstarken Beleidigung.

Wichtig: Es ist nicht nur eine Stilfrage, sondern auch eine inhaltliche, das Vokabular des Hasses für dessen Ablehnung nicht zu wiederholen. Außerdem ist es bekanntlich ein denkbar schlechter Gesprächseinstieg, jemanden als Dummkopf zu bezeichnen oder seine miserable Rechtschreibung vorzuführen. Das mag für das eigene Ego oder das Gruppengefühl gut sein, es hilft in der Sache nur keinen Meter weiter.

Die Aufgabe lautet, als Zivilgesellschaft die Stärke zu zeigen, eine ungewöhnlich große Gruppe von Flüchtlingen menschlich zu empfangen. Deutschland ist satt, müde und ganz oft auch träge. Nutzen wir doch die Chance, die uns jetzt aufmischt, fordert und zum Handeln zwingt: Das wird kein Spaziergang, sondern ein Parforceritt – aber das kann auch gut werden.

Was gebraucht wird, ist ein kommunikatives "Reframing", so nennt die Psychologie die Neubewertung von fordernden Situationen durch einen anderen Blickwinkel. Aus "Die Flüchtlinge belasten unseren Staatshaushalt" wird so ein "Hallo, ich heiße Tarek und habe mir auf der Fahrt über das Mittelmeer ein paar Gedanken über Deine Rente gemacht."

Vielleicht brauchen wir viele epische Geschichten, ganz sicher Ausdauer, auf jeden Fall eine andere Streitkultur und die Bereitschaft von möglichst vielen, sich zu engagieren. Aber wir müssen das schaffen und wir dürfen nicht warten, bis wieder ein Haus brennt.

* Peter Breuer ist Texter, Blogger, Kommunikationsdesigner und Buchautor ("Ein Satz sagt mehr als tausend Worte"). Er mag klassische Kreationen und hat trotzdem über 22.000 Follower auf Twitter.