Bei den Mediengattungen ging ich von folgenden Annahmen aus:

Erstens: Radio und Out-of-Home können ihre Umsätze infolge ihrer Digitalisierung (Webradio und Digital-OOH) leicht ausbauen.

Zweitens: Online und Mobile erzielen trotz Überangebot, sinkender TKPs und  Klickraten sowie AdBlocker weiterhin mittlere, einstellige Zuwachsraten. Obwohl durchaus fraglich ist, wie und wo sie überhaupt noch mehr Display-Werbung unterbringen wollen.

Drittens: Zeitungen und Zeitschriften verlieren weiter Umsätze bei steigender Tendenz - mit Ausnahme der Wochenzeitungen und Fachmedien.

Viertens: Lineares TV erlebt eine letzte Steigerung in 2014, um dann ab 2015 einstellig Umsätze zu verlieren, wie es Experten prophezeien.

Print stirbt, TV auch

Zur Erläuterung: Die Zeitungen begehen derzeit Harakiri, am besten dargestellt an der "Westfälischen Rundschau", die zunächst alle Mitarbeiter entlässt („Zombie-Zeitung“), um dann allen Ernstes von Inhalten anderer Zeitungen bedient zu werden - und nun Insolvenz anmeldet. Die Tageszeitungen sind so über kurz oder lang zum Tode verurteilt und wollen sich dem Werbesystem unbedingt entziehen.

Die Zeitschriften könnten überleben, wollen es jedoch um jeden Preis vermeiden - wie das Gerangel um die Chefredakteursposten bei "Stern", "Spiegel" und "Focus" in aller Deutlichkeit zeigt. Sie kämpfen um ihre Position im künftigen Medien-Journalismus und treiben derweil in den Abgrund, weil sie so sehr mit sich selbst beschäftigt sind, dass sie die Außenwelt (Leser und Anzeigenkunden) nicht mehr wahrnehmen.

Das lineare Fernsehen verliert durch Smart TV, Mediatheken, Netflix & Co. die Zuschauer, die sie als "werberelevant" ausgegeben haben. Die jungen Zuschauer wandern ab zu YouTube und streamen sich ihr eigenes Programm zusammen. Die älteren (also die mit der Kaufkraft) bleiben treu bei ARD und ZDF, weil ihnen die fragwürdige und wenig innovative Qualität der privaten Sender zunehmend auf den Geist geht.

Genug der Erläuterungen. Kommen wir zum mit Spannung erwarteten Ergebnis. Mein Szenario führt zu einem Wachstum der Netto-Werbeerlöse von derzeit 15 auf 16 Milliarden Euro in 2017. Betrachtet man die drei Jahre von 2015 bis 2017 führt das hochgerechnete Erlösszenario der einzelnen Medien - wie nicht anders zu erwarten - zu einem Delta: Der Differenz zwischen den zu erwartenden Umsätzen der einzelnen Mediengattungen und dem Gesamtumsatz aller Medien.

Sechs Milliarden ohne Wohnsitz

Wenn ich dieses Delta der drei Jahre 2015 bis 2017 aufaddiere, komme ich auf sechs (in Worten: sechs) Milliarden Euro. Das sind sechs Milliarden, netto wohlgemerkt, die sich trotz der Hochrechnung der Einzelumsätze der Medien derzeit (noch) nicht klar zuordnen lassen. Das ist der Betrag, der in den nächsten drei Jahren quasi zur freien Verfügung steht, zur freien Neuverteilung auf die gierige Medienlandschaft.

Warum ich Ihnen meine Berechnung nicht en Detail zeige? Ich möchte, dass jeder, der mag, seine eigene, subjektive Berechnung vornimmt. Nehmen Sie ihre individuellen Annahmen und rechnen sie. Ich freue mich auf Ihre Varianten.

Das Glänzen in den Augen der Medienvermarkter ist unübersehbar. Aber, angesichts der Summe, sehe ich auch das Unwohlsein auf Seiten der Werbekunden. Wohin mit diesem Geld? Die Auswahl ist erschreckend groß. Und welchem Mediaberater ist noch zu trauen, wenn mal eben sechs Milliarden Euro den Besitzer wechseln sollen. Kann man sich angesichts solcher Summen sicher sein, dass die selbsternannten Berater da nicht noch mehr Eigeninteresse entwickeln?

Wie sehen die Alternativen denn überhaupt aus?

Am besten zum Drogendealer

Eine Rückkehr zu Print und ein fester Glaube an die unbändige Kraft des linearen TV? Glaubensfragen überlassen wir der Kirche. Also nein. Eine Verschiebung zu YouTube und TV/Video-Streams wäre zwar logisch, doch lässt sich das viele Geld dort leider beim besten Willen nicht unterbringen.

Ein stärkere Investition in Owned Media à la Red Bull? Sehr gute Idee. Aber nur für wenige, große Unternehmen machbar. Corporate Publishing und Unternehmens-Blogs sind dennoch zumindest ein kleiner Anfang.

Das ganze Geld bei Google und Facebook investieren? Diesen Weg werden viele Unternehmen beschreiten. Nicht zu Unrecht, denn Google und Facebook beherrschen die digitale Welt und werden nicht müde, den Werbekunden immer neue und wirksamere Lösungen anzubieten. Sie haben es verstanden, KPIs zu installieren, die Wirkung beschreiben und verlagern das Risiko nicht - wie alle anderen Medien - auf den Rücken des zahlenden Werbekunden. Als Lektüre hierzu empfehle ich das spannende Buch "Der digitale Tsunami"   von Nicolas Clasen. Aber das kennen Sie sicher alle.

Allerdings - ein kleiner Wehmutstropfen ist immer - begibt man sich bei Google und Facebook auch in eine Abhängigkeit. Sie sind die Drogendealer des Medienzeitalters.

Eine weitere, jedoch völlig abwegige Alternative wäre, die Media-Etats einfach zu senken. Um den Betrag, den die herkömmlichen Medien an Reichweite und Wirkung einbüßen. Wenn das alle täten, hätten wir auf der Share-of-Voice-Seite eine Patt-Situation. Die Waschmittelhersteller haben das längst erfolgreich umgesetzt.

Neue Medien braucht das Land

Angesichts der schwindelerregenden Summe von sechs Milliarden Euro, die alleine in den nächsten drei Jahren zur Disposition zu stehen scheint, eröffnet sich allerdings eine völlig andere Variante: Wir brauchen in Deutschland dringend neue Medien. Neue Medien, die - egal ob print, linear, analog oder digital - imstande wären, dieses Werbespending-Delta aufzufangen. Ich mache mir jedoch keine Hoffnungen, dass deutsche Medieninvestoren diese Chance erkennen. Burda investiert in Tierfutter, Gruner + Jahr in gar nichts. Springer ist noch der einzige Kandidat, der digital nach vorn schaut und weiß, was er macht. Auf TV-Seite ist Investition inzwischen zum Schimpfwort geworden, denn Sevenone interessiert nur die Bilanz und IP muss für Bertelsmann die Cash-Cow spielen.

Dass in Deutschland niemand in Medien investiert, dürfte allerdings amerikanischen (wahlweise chinesischen oder arabischen) Investoren, die mit sehr viel Geld ausgestattet sind, nicht unverborgen bleiben. Dann taucht vielleicht in wenigen Jahren ein neuer Digital-Gigant auf, der sich das schöne deutsche Mediageld sichert.

Das alles ist nicht in Stein gemeißelt, sondern eine Annahme. Sie ist jedoch ebenso wenig abwegig, wie die Vermutung, dass alles bleibt wie es ist. Denn das wird mit Sicherheit nicht passieren. Wir stehen tatsächlich vor einer medialen Disruption, einem digitalen Tsunami. Da ist es ratsam, seine Mediagelder ins Trockene zu bringen.

* Thomas Koch, Agenturgründer, Ex-Starcom-Manager, Wirtschaftswoche-Kolumnist, Herausgeber von "Clap" und Media-Persönlichkeit des Jahres, bloggt seit 2013 für W&V. Er ist "Mr. Media".


Autor: Thomas Koch

Eine Ikone der Branche. Der Agenturgründer und frühere Starcom-Manager kennt in der Media-Branche alles und jeden. Thomas Koch ist Mr. Media.