Neben Google, das allerdings ordentlich Geld kostet, entwickelte sich insbesondere Facebook zum neuen Lieblingskind der Werber, weil man hier Werbung ausnahmsweise umsonst bekommt. Während die herkömmlichen, analogen Medien höchstens 80 Prozent Rabatt herausrücken, kostet die Markenseite bei Facebook überhaupt nichts. So gehört sich das auch bei Owned und Earned Media. Dachten wir.

Dann aber stellte Facebook plötzlich seinen News-Feed-Algorithmus um. Die Postings der Marken werden nun von weniger Nutzern gesehen und man müsste zum Ausgleich bezahlte Werbung schalten. Einer Studie zufolge sinkt die Reichweite im Schnitt um über 40 Prozent. Der Aufschrei ist verständlicherweise groß.

Scharfe Kritik am organischen Reichweitenverlust kommt von Tina Beuchler, Mediachefin des FMCG-Giganten Nestlé. Der "Lebensmittel Zeitung" sagte sie: "Durch die Entwicklung zu einem Paid-Media-Kanal sind wir gezwungen, die Rolle von Facebook als digitales Zuhause unserer Marken zu überdenken." In Da Face, Facebook!

Je mehr Fans, desto weniger Reichweite

Was hat es mit dieser "organischen" Reichweite auf sich? Je stärker die Facebook-Nutzer mit einer Marke interagieren - durch Likes, vor allem aber durch Teilen - desto höher steigt die Reichweite. So erzeugen Seiten, die zwischen 1.000 und 10.000 Fans zählen, Reichweiten in einer Größenordnung von immerhin 20 Prozent. Mehr Fans bringen übrigens keinesfalls höhere, sondern oft sogar eine geringere Reichweite, da das Interaktionsniveau sinkt. Das dürfte für diejenigen ein böser Kulturschock sein, die immer noch fleißig Fans zählen.

Mit der schönen, kostenlosen Reichweite ist es nun also leider vorbei. Wer sich darüber ernsthaft wundert, hat offenbar das Gewinnstreben amerikanischer Unternehmen unterschätzt. Natürlich will Facebook an Werbung verdienen. Woran denn sonst? (Sonst müssten sie ja womöglich - nicht auszudenken - unsere Daten auswerten und versilbern. Aber das ist ein anderes Thema…) Umsonst ist bekanntlich nur der Tod.

Und wer immer noch fest daran glaubte, Facebook sei Owned Media, hat sich gehörig geschnitten. Das war Facebook nie. Wenn hier einer owned, dann Facebook. Alles gehörte stets Facebook: Jede Seite, jeder Post. Sie können im fernen Menlo Park damit machen, was sie wollen. Und genau das tun sie jetzt. Der Volksmund nennt das ein "zweischneidiges Schwert".

Die Markenartikler können jetzt immerhin zwischen drei Möglichkeiten wählen: Erstens, sie zahlen zähneknirschend für Werbung auf Facebook. Dazu wird Nestlé - wie viele andere auch - wohl nicht bereit sein. Zweitens, sie betreiben virales Content Marketing bis der Arzt kommt und versuchen, Edekas "Supergeil" vom Thron zu stoßen. Was auch nicht ganz billig ist. Oder drittens, sie entwickeln ein Konzept.

Raus aus Facebook!

Das mit dem Konzept meine ich im Ernst. Wir belegen Medien doch nicht einfach nur, weil es sie gibt. Sondern weil sie eine unaustauschbare Rolle in unserer ausgetüfftelten Konzeption besetzen, in der die zahlreichen, medialen Auftritte der Marke von klassischer Positionierungswerbung über PR, Vertriebsangeboten, Direct Marketing  und Social-Dialog miteinander vernetzt wurden. Oder nicht?

Nur zur Einordnung: Facebook ist - wie Twitter - Social Media, ein Dialog-Medium. Es erfüllt den hundertjährigen Traum des Marketings, mit seiner Zielgruppe in einen Dialog zu treten. Es stattdessen zur Unterbrecherwerbung zu nutzen, wie das die meisten Unternehmen derzeit tun, ist ein Verbrechen an seinen Nutzern. Weshalb Thorsten Firlus ("Wirtschaftswoche") jüngst twitterte: "Ich glaube, ich zahle nicht mit meinen Daten für Facebook und Google, sondern mit meinen Nerven für die Beballerung mit unpassender Werbung."

Wenn Dialog jedoch Ihr größter Wunsch ist und Sie dafür in Ihrem Konzept einen geeigneten Platz gefunden haben, dann sorgen Sie bitte für ausreichend Budgetmittel. Denn Dialog ist richtig teuer. Der "ROBBI" (Return On Brand Building Investment“) ist zwar noch nicht endgültig errechnet, aber es könnte sich lohnen. Wenn Sie dagegen über die nötigen Mittel gerade nicht verfügen, dann bitte, bitte, bleiben Sie Facebook fern. Danke.

Thomas Koch, Agenturgründer, Ex-Starcom-Manager, Wirtschaftswoche-Kolumnist, Herausgeber von "Clap" und Media-Persönlichkeit des Jahres, bloggt für W&V. Er ist "Mr. Media".


Autor: Thomas Koch

Eine Ikone der Branche. Der Agenturgründer und frühere Starcom-Manager kennt in der Media-Branche alles und jeden. Thomas Koch ist Mr. Media.