Korruption im Media-Geschäft:
"Kehren wir den Schmutz noch einmal hervor. Es muss sein"
Vergangene Woche sagte Thomas Koch als Zeuge im Prozess gegen Aleksander Ruzicka aus. Das Wiedersehen mit dem inhaftierten Agenturchef ließ Koch noch einmal in die Abgründe des Mediageschäfts blicken. Warum der Fall Ruzicka für die Branche symptomatisch ist.
Vergangene Woche sagte W&V-Blogger Thomas Koch* als Zeuge im Prozess gegen Aleksander Ruzicka aus. Das Wiedersehen mit dem inhaftierten Agenturchef erinnerte Koch an die Abgründe des Mediageschäfts. Warum der Fall Ruzicka für die Branche symptomatisch ist.
Gut sieht er aus, der Aleksander Ruzicka. Die acht Jahre Haft sieht man ihm nicht an. Selbstbewusst wie eh und je, den Blick nach vorn gerichtet, stellt er mir die entscheidende Frage…
Ich wurde von der Verteidigung als Zeuge geladen. Darüber war ich verwundert. Schließlich geht es im neuerlichen Prozess um Ruzickas Vertrag, Urkundenfälschung und Prozessbetrug. Was sollte ich darüber aussagen können? Noch viel mehr verwunderte mich ein Anruf des Verteidigers - nach Eingang der Vorladung und wenige Tage vor der Hauptverhandlung. Er stellte mir Fragen, die ich, wie erwartet, nicht für ihn befriedigend beantworten konnte. Er interessierte sich dafür, worüber ich mit Ruzicka bei der letzten persönlichen Begegnung gesprochen hatte (keine Ahnung…) und ob er sich öffentlich in meiner Gegenwart zur Höhe seiner Abfindung geäußert habe. Dass mich der Ex-Kollege nicht in seine Vertragsgeheimnisse eingeweiht hatte, enttäuschte den Verteidiger zutiefst.
Ich wurde dennoch geladen, machte meine Aussage, die wenig zur Wahrheitsfindung beitrug und erlebte einen Richter, der darüber eher amüsiert erschien. Not amused war der Staatsanwalt, für den mein Auftritt reinste Zeitverschwendung war. Immerhin erfuhr ich bei der Gelegenheit, dass alle Beteiligten eifrig in meinem Buch "Die Zielgruppe sind auch nur Menschen" gelesen hatten. Die Enthüllung, dass es zwischen mir und Kai Hiemstra tatsächlich einmal zu einer Begegnung unter vier Augen gekommen war, brachte den Prozess jedoch nicht wirklich weiter. Ebenso wenig, dass ich im Auftrag von Opel eine Aegis-Mediastrategie in einem Gutachten mit "mangelhaft" beurteilt hatte.
Was allerdings bleibt, sind leise Zweifel an der Effizienz unseres Rechtssystems.
Elf Jahre Haft für ein Wirtschaftsdelikt. Das ist heftig. Wenn man bedenkt, dass man in Südafrika nur fünf Jahre für einen Mord bekommt. Wirtschaftsverbrechen werden in Deutschland bisweilen strenger bestraft als andere Kapitalverbrechen. Das aber wissen die Beteiligten und es steht ihnen jederzeit frei, anders zu handeln.
Her mit dem Schmutz
Der fast in Vergessenheit geratene Ruzicka-Prozess ruft uns ein Problem in Erinnerung, das weder gelöst, noch jemals aufgearbeitet wurde. Das Mäntelchen des Schweigens darüber zu legen, ist jedoch nicht zielführend. Also kehren wir den Schmutz noch einmal genüsslich hervor.
Ruzicka wurde eingebuchtet, weil er Geld veruntreute. Das System, das er dazu benötigte, war simpel und erforderte nur wenige Eingeweihte. Es ist symptomatisch für die Media-Branche: Wenige Menschen herrschen über schier unglaubliche Geldströme. Das Controlling in der eigenen Agentur, aber auch in den Holding-Headquarters in London und Paris ist viel zu lasch, um Unregelmäßigkeiten zu entdecken. Es lädt förmlich zum Betrug ein. Den CEOs und CFOs ist einzig wichtig, dass man das geforderte Ergebnis bringt. Wie, ist völlig gleichgültig. Im Idealfall hat man auf Kundenseite einen Verbündeten, mit dem man sich arrangiert - gegen Beteiligung, versteht sich.
Es war der Marketingchef ausgerechnet einer staatseigenen Landesbank, der mir einmal ein erstaunliches Angebot machte: Meine Agentur bekäme seinen Etat, wenn ich ihn für ein sechsstelliges Honorar als "Berater" hinzuziehe. Ich hatte mich zwar gerade erst selbständig gemacht, kam aber bestens ohne solche Mauscheleien aus.
Heutzutage geht es nicht mehr um sechsstellige, sondern um achtstellige Summen, die veruntreut werden. Ruzicka ist kein Einzelfall. Ich kenne einen Mediaagenturchef, der ein stattliches Vermögen daran verdiente, dass seine Agentur Aufträge an einen Dienstleister weitergab. Müßig zu sagen, dass er an diesem Dienstleister beteiligt war.
Es ist zu simpel. Medien finanzierten für Agenturchefs und Entscheider auf Kundenseite ganze Häuser und Einrichtungen. Und alle, die es wissen, gucken weg. Agenturen und Kunden sehen zu, wie einige, wenige Agenturchefs Millionen in die eigene Tasche wirtschaften - und lassen sich ihr Schweigen vergolden.
Es ist symptomatisch. Aber es muss aufhören.
Wenn einem an dieser Branche etwas liegt, also daran, dass die Mediainvestitionen der Unternehmen einem sinnvollen Ziel zugeführt werden, dann müssen wir etwas gegen die betrügerischen Machenschaften der Branche tun.
Die Lösung ist - wie immer - einfach. Natürlich brauchen Agenturen ein Controlling, das seinem Namen gerecht wird. Dann allerdings muss das Controlling durch den Kunden stattfinden - und nicht in einer Agentur-Holding, die sich nur für eine einzige Zahl interessiert. Das geht nicht? Doch. Wenn sich Kunden Gedanken darüber machen, was sie von ihrer Mediaagentur erwarten. Und wenn die Entscheider in den Unternehmen selbstverständliche Anforderungen an die Qualität und Transparenz der Agenturarbeit stellen.
Was erwarten Sie?
Sie erwarten hervorragend ausgebildetes Personal. Sie erwarten ein Höchstmaß an Arbeitsqualität und Engagement. Wir stellen schließlich keine T-Shirts in Bangladesch her (obwohl die Qualität mancher Mediastrategien vergleichbar ist), sondern Kommunikationskonzepte für Marken, die einen Return-on-Investment erwarten. Die Mitarbeiter der Agentur sollten zumindest über so viel Erfahrung verfügen, dass sie dem Kunden in Mediafragen auf Augenhöhe begegnen. Nein, sie müssen ihren Kunden darin überlegen sein. Wenn Sie allerdings Kunden über die Qualität der ihnen zugewiesenen Mediaplaner schimpfen hören, wissen Sie, was ich meine…
Kunden müssen Ihren Agenturen vertrauen können. Ein Mediaagentur-CEO sagte mir jüngst: "Das Misstrauen uns gegenüber ist so groß wie nie zuvor." Es herrscht inzwischen ein allgemeines, leider berechtigtes Klima des absoluten Misstrauens. Das wird sich erst dann abbauen lassen, wenn die Mediaagenturen Transparenz zu ihrem obersten Grundsatz erheben. Ruzicka meinte noch, das gehe den Kunden nichts an. Doch die Zeiten sind vorbei. Der Kunde will exakt wissen und verstehen, was mit seinem Mediageld geschieht.
Auditing alleine hilft da nicht weiter. Manche Auditoren sind längst selbst Teil des Systems geworden. Inzwischen braucht es Auditoren, die die Auditoren auditieren.
Da die Mehrzahl der Agenturen nichts davon liefert, nicht den geringsten Ansatz zeigt als Dienstleister den berechtigten Forderungen ihrer Kunden zu folgen, werden sie über kurz oder lang kläglich versagen. Den Einspruch, wonach Kunden nicht bereit seien, Arbeitsqualität und Transparenz zu honorieren, kann ich nicht mehr hören. Das gilt nur für die wenigen Kunden, die sich zu einem Teil des schmutzigen Systems machen ließen. Nur für die wenigen Personen, die von diesem maroden Media-System persönlich profitieren.
Die alte Mediaagentur hat ausgedient
Das alte System der Mediaagenturen hat ausgedient. Es muss ein neues her. Mit neuen Symptomen. Symptome, die nach Dienstleistung riechen - und nicht nach Betrug und Veruntreuung. Der Markt (also 99 Prozent der Werbekunden) verlangt nach Mediaagenturen, die Qualität liefern. Transparenz. Nachvollziehbare Ergebnisse. Sie sind sehr wohl bereit, diese Dienstleistung zu honorieren. Aber natürlich erst dann, wenn sie ehrlich geliefert wird.
Es bleibt die Frage, wer den ersten Schritt macht. Er muss - nach allen Debakeln und Enttäuschungen, die Kunden mit ihren Agenturen erlebt haben - jetzt von den Mediaagenturen kommen. Your turn!
Was mich Ruzicka in der Hauptverhandlung gefragt hat, möchten Sie noch wissen? Ob Mediaveranstaltungen für die Außendarstellung von Agenturen wichtig seien. Ich ahne, was er mit seiner Frage bezweckte, da er bekanntlich gern selbst zu Veranstaltungen einlud. Meine Antwort (Ja…) dürfte weder ihm, noch dem Richter in der Wahrheitsfindung nach Urkundenfälschung und Prozessbetrug sonderlich weitergeholfen haben.
Wir brauchen im Markt der Mediaagenturen ein neues System. Jetzt. Eines, das den Kunden dient - und nicht den Ruzickas dieser Welt.
* Thomas Koch, Agenturgründer, Ex-Starcom-Manager, "Wirtschaftswoche"-Kolumnist, Herausgeber von "Clap" und Media-Persönlichkeit des Jahres, bloggt seit 2013 für W&V. Er ist "Mr. Media".