Haartransplantationen und Horizontalgewerblerinnen

Ein anderer User schreibt: "Irgend ein Algorithmus bei Facebook glaubt, ich würde gerne Werbung für Lötstationen auf Französisch eingeblendet bekommen." Eine Laura Dornheim bekommt einen Sponsored Post für männliche Haar-Transplantationen in Istanbul und schreibt bei Twitter: "Online Werbung. It's so targeted. It's so relevant. It's so creative!!!" Und @JoanHoban zeigt sich wenig erfreut über ein "Gesponsert"  in ihrem Facebook-Feed, in dem ein Laufhaus Prostituierte sucht. Jeder Kommentar überflüssig.

Procter & Gamble sollte auch den Pepsi-Case kennen. Denn der ging vor fünf (!) Jahren um die ganze Welt. Pepsi hatte den stolzen Betrag von 20 Millionen Dollar aus dem Fernsehen genommen und in Online und vor allem in Social Media gesteckt. Diese Entscheidung wurde sofort wieder zurückgenommen, nachdem man daraufhin sage und schreibe fünf Prozent Marktanteil eingebüßt hatte.

Medien sind keine Ersatzteile

Die Welt sollte daraus gelernt haben, dass Medien andere Medien in ihrer uniquen Funktion nicht ersetzen können. Medien, insbesondere die digitalen, tendieren dazu, die klassischen Medien zu ergänzen. TV und Print können Branding, Digital kann Vertrieb, E-Commerce, Customer Journey und viele andere Dinge, die die herkömmlichen Medien nie wirklich konnten. Aber sie sind eben kein Ersatz für die Funktion der Massenmedien. Zumal Online - und erst recht Social - ernsthafte Reichweitenprobleme besitzen. Nach einer US-Studie, die niemand zu kennen scheint, sind nur etwa 8 Prozent der User für 85 Prozent der Klicks verantwortlich. Das hätte doch mal einer P&G sagen können.

Andere Werbungtreibende scheinen P&G voraus zu sein. Offenbar wird nämlich das Wachstum der digitalen Medienplattformen derzeit ausgebremst. Und zwar von den Werbungtreibenden selbst, wie der Omnicom-Chef John Wren vermeldet. Dass das einer Ohnmacht der Mediaberater auf Agenturseite gleichkommt, scheint der gute Mann dabei nicht einmal zu merken.

Die großen Agentur-Networks können einem ohnehin leidtun. Da meldet doch WPP in Deutschland tatsächlich rote Zahlen. Wie man hierzulande verdientes Geld problemlos an die Mutter überweist und hier plötzlich vor dem Finanzamt mit Verlusten im Regen steht, hat mich schon immer fasziniert. Aber legal ist es.

Wenn Werbung in die Hose geht

Doch die WPP-Töchter rüsten auf. Mediacom ("im deutschen Mediabusiness das Maß der Dinge"), durch den Verlust des Vorzeigekunden VW arg gebeutelt, geht in die Offensive. Keinesfalls jedoch mit einem neuen Mediaansatz (schade), sondern mit Kreation. Ich wette, dass landauf, landab die Chefs der deutschen Kreativagenturen nachts kein Auge mehr zubekommen. Aber keine Sorge, Jean-Remy, wir kennen ja alle das Hornberger Schießen. Oder den Spruch: Schuster, bleib bei deinen Leisten…

Noch einmal zurück zu P&G. Dass Targeting für Pampers oder Pringle's Sinn machen könnte, liegt auf der Hand. Dass es für Ariel oder Charmin schwieriger ist und für Always ("Ich lache, ich niese, ich habe Blasenschwäche") richtig bösartig in die sprichwörtliche Hose gehen kann, hätte jeder Marketingstudent im ersten Semester P&G verraten können.

Was lernen wir aus dem Ganzen? Dass P&G und seine Mediaagenturen nicht immer das Maß aller Dinge und Quell des Wissens sind und man sich seine Vorbilder auch woanders suchen kann. Dass Facebook kein Targeting kann, zumindest nicht bei engen Zielgruppen (gähn!) und dass TV für Massenzielgruppen richtig geile Reichweiten bereithält (gähn!). Ach ja, und dass aus einem Pups alleine noch kein Asset entsteht. Und manche Pressemitteilungen nicht die Aufregung wert sind.


Autor: Thomas Koch

Eine Ikone der Branche. Der Agenturgründer und frühere Starcom-Manager kennt in der Media-Branche alles und jeden. Thomas Koch ist Mr. Media.