Audi-Fahrer müssen nicht mehr im Handbuch blättern, wenn im Auto plötzlich eine Warnleuchte aufblinkt. Stattdessen hilft die App eKurzinfo von Audi: Einfach die Handykamera auf das Lämpchen richten, Display antippen, und schon erscheint die Hilfe auf dem Handy. Wer das Problem gleich selbst beheben will, sich aber unter der Motorhaube nicht auskennt, hält die Smartphonekamera auf den Motorraum. Ein Pfeil zeigt auf das gesuchte Teil. Die App macht keinen Laien zum Mechatroniker. Praktisch ist sie allemal.  

Nutzer der Media-Markt-App können seit kurzem Artikel aus den Papierprospekten einscannen. Auf dem Display erscheint das Gerät dann als 3D-Modell. Das macht zwar Spaß, viel mehr aber nicht. Zumal man in der App ja auch ohne den Prospekt direkt auf digitale Inhalte zugreifen kann. Nützlich wird die Print-to-Web Anwendung erst, wenn sie den Kaufprozess wirklich erleichtert. Könnte man zum Beispiel als Vinylliebhaber durch einen Plattenladen stöbern, die Kamera auf ein Cover richten und via Smartphone in die Tracks reinhören, wäre das ein echter Mehrwert.

Der finnische Softwarespezialist Arilyn hat eine ähnliche Idee bereits für Konzertkarten umgesetzt. Scannt man sein Ticket mit der Arilyn App ein, erhebt sich die Band aus dem Ticket und spielt einen Song. Eine sympathische Idee, um die Vorfreude der Fans zu steigern.

Red Bull nutzt die AR-Technologie für Gewinnspiele: Kunden scannen einen Code auf der Dosenlasche ein und bekommen dadurch bestimmten Content angezeigt. Eine simple Lösung, die ohne die hässlichen CR-Codes auskommt.

Bang & Olufsen lässt seine Kaufinteressenten sogar das heimische Wohnzimmer einscannen. Mit der App BeoHome Design können User die Produkte wie Fernseher oder Lautsprecher als 3D-Modell konfigurieren und zwischen den eigenen Möbeln platzieren. Passen die Farben zusammen? Wirkt der Fernseher vielleicht doch etwas zu wuchtig? Hier ist der digitale Testlauf eine gute Entscheidungshilfe und reduziert ärgerliche Fehlkäufe.

Unterstützung am Point of Sale

Auch Verkäufer am Point-of-Sale erhalten Unterstützung. Der Augmented- und Virtual-Reality-Experte Reflekt hat für BMW eine interaktive App entwickelt, mit der Kunden im Autohaus die vielen Konfigurationsmöglichkeiten direkt am Fahrzeug digital erleben können. Das Kamerabild des Autos wird mit dreidimensionaler Zusatzausstattung ergänzt, Farben und Teile können verändert und Funktionen wie das Umklappen der Sitze vorgeführt werden. Das Tool kommt inzwischen im Verkauf breit zum Einsatz.  

Für das Transportmittel der Zukunft – den Hyperloop – geht Reflekt noch einen Schritt weiter, um zukünftige Nutzer zu überzeugen. Mit der Samsung-Brille Gear VR taucht der künftige Hyperloopfahrer komplett in das virtuelle Modell der Transportkapsel ein. Die digitale Demonstration soll Berührungsängste vor der futuristischen Kapsel abbauen. Und tatsächlich: Das Reiseerlebnis ist so realistisch und angenehm, dass es plötzlich vorstellbar wird, mit mehr als 1.000 Kilometer in der Stunde durch eine Vakuumröhre zu schießen.

Content bleibt King

Um Produkte zu vermarkten und Konsumenten zu begeistern wird Virtual Reality wahrscheinlich die Ausnahme bleiben. Die alltagstauglicheren Augmented-Reality-Anwendungen dagegen halten schon jetzt nach und nach Einzug in immer mehr Bereiche innerhalb des Kaufprozesses.

Bis zur Brand-Experience via Smart-Glasses ist es aber noch ein größerer Schritt. Erst wenn man damit vor die Tür gehen kann, ohne wie eine Science-Fiction-Figur auszusehen und die Steuerung auch ohne unnatürliche, der Zeichensprache ähnliche Gesten möglich ist, werden Smart-Glasses auch außerhalb von Fertigungshallen und Werkstätten zum Einsatz kommen.

Und noch etwas zeigen die bisher umgesetzten Beispiele sehr deutlich: Content is King – wieder mal. Nur wenn die zusätzlichen Inhalte wirklich nützlich oder spannend sind – und sich zudem einfach abrufen lassen – kann AR mehr sein als eine nette Spielerei, deren Reiz schnell erschöpft ist.

Gerade deshalb ist es gut, dass zumindest einige Unternehmen und Brands mutig genug sind, mit Augmented Reality zu experimentieren. Nur so lässt sich schließlich herausfinden, wie man die Anwendungen in Zukunft noch besser gestalten kann. Und damit ein besseres Kundenerlebnis schafft.


Autor: Leif Pellikan

ist Redakteur beim Kontakter und bei W&V. Er hat sich den Ruf des Lötkolbens erworben - wenn es technisch oder neudeutsch programmatisch wird, kennt er die Antworten. Wenn nicht, fragt er in Interviews bei Leuten wie Larry Page, Sergey Brin oder Yannick Bolloré nach. 


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