Wie verträgt sich denn die über Jahrzehnte gewachsene Unternehmenskultur eines Riesenkonzerns mit der Kultur eines Start-ups?

Richtig, das sind zwei völlig unterschiedliche Kulturen. Aber das heißt ja nicht, dass einer in einer falschen Kultur lebt und der andere nicht. Es sind unterschiedliche Welten, es herrschen unterschiedliche Mindsets, es gibt unterschiedliche Strukturen. Aber aus gutem Grund. Denn beide befinden sich in völlig unterschiedlichen Lebensphasen. Und ein Großkonzern war schließlich auch mal ein Start-up. 

Prallen hier nicht doch zwei Welten aufeinander?

Was wir mit dem Hubraum gebaut haben, ist so etwas wie der Adapter-Stecker, der diese beiden Welten miteinander verbindet. Das ist eine Riesenherausforderung. Aber wenn man es richtig anpackt, kann man auf beiden Seiten überproportional Werte schaffen.

Können Sie das konkretisieren?

Ein Beispiel ist das Technologie-Start-up Vigour in Amsterdam. Die haben ein Produkt entwickelt, das die kostengünstige und schnelle Aufbereitung von Multi-Screen-Inhalten ermöglicht. Wenn etwa RTL die Formel 1 überträgt, kann man im Fernsehen, also auf dem großen Bildschirm, die Live-Übertragung anschauen. Auf dem Mobiltelefon kann man das Ranking oder die Rundenzeiten aller Fahrer abrufen und via iPad könnte man die subjektive Sicht eines bestimmten Fahrers laufen lassen. Die einzelnen Geräte wissen sogar voneinander, sodass man mit einem Fingerstreich den Inhalt von einen Screen auf einen anderen verlagern kann. Die Telekom hat mit Entertain selbst ein TV-Produkt im Angebot, das laufend weiterentwickelt wird. Hier haben wir also einen Fall, bei dem eine Technologie für ein künftiges TV-Produkt eingesetzt werden kann.

Es wird häufig gesagt, in Deutschland gebe es eher zu viel als zu wenig Kapital in der Seed-Phase und dass eine Konsolidierung bevorstehe. Sehen Sie das auch so?

Nein, überhaupt nicht. Es kann gar nicht zu viel Kapital in der Seed-Phase geben, insbesondere wenn wir es mit anderen Ökosystemen wie dem Silicon Valley vergleichen. Da haben wir hier eher zu wenig Kapital im Markt. Allerdings ist es auch Mode geworden, in diesen Bereich zu investieren. Da stellt sich durchaus die Frage, wie ernst nehmen das einige Player, wie professionell sind sie?  

Und wie ist Ihre Antwort?

Im Corporate-Umfeld gibt es wohl einige, die eher unter Marketing-Gesichtspunkten investieren. Um es aber wirklich erfolgreich zu machen, muss man sich gut in beiden Welten auskennen, in der Corporate- und in der Start-up-Welt. Man braucht ein spezialisiertes Team mit Know-how und nicht zuletzt eine Struktur innerhalb des Konzerns, die damit umgehen kann. Es muss genügend Anknüpfungspunkte geben, um Start-ups auf sinnvolle Weise einbinden zu können. 

Lassen Sie uns über Geld reden. Sie sagten, Hubraum investiere in einzelne Start-ups bis zu 300.000 Euro. Wie sehen die Durchschnittswerte aus?

Tatsächlich fangen wir oft mit einem Investment an, das darunter liegt. Etwa mit 150.000 bis 200.000 Euro. Wir schieben dann aber auch, wenn es sinnvoll ist, eine zweite Runde nach. Der Deckel liegt allerdings bei 300.000 Euro. Den schöpfen wir durchaus öfters aus.

Bei vielen Acceleratoren und Inkubatoren liegen die Beträge deutlich niedriger.

Ja, die meisten geben nur 25.000 bis 50.000 Euro. Und oft in eng begrenzten Programmen. Acceleratoren schreiben meist einen Wettbewerb aus, es bewerben sich vielleicht 200 Start-ups, davon werden zehn genommen, die gemeinsam anfangen und nach zwei, drei Monaten wieder nach einem Demo-Day aus dem Programm gehen. Das haben wir selbst auch zweimal in Deutschland und einmal in Polen so gemacht. Wir haben aber außer ein wenig Handgeld kein Kapital in die Start-ups gesteckt und auch keine Anteile übernommen. Unsere Hauptaktivität ist von Beginn an der Inkubator mit höherem Invest und einem Engagement von circa zwölf  Monaten.

Planen Sie ein weiteres Accelerator-Programm?

In der bisherigen Form werden wir das nicht mehr weiterführen. Wir wollen es anders und noch besser machen: Parallel zum Inkubator-Programm nehmen wir künftig laufend weitere Teams auf, in die wir zwar nicht investieren, die wir aber für eine Art Probezeit für zwei, drei Monate bei uns haben. Anschließend kann dann eventuell auch ein Investment folgen. Wir denken, das ist eine gute Ergänzung zu den Teams, die wir im Inkubator haben. Unser Arbeitstitel dafür ist "continuous acceleration".

Wie wählen Sie ein Start-up für das Inkubator-Programm aus?

Wir halten einmal wöchentlich ein sogenanntes "Deal-flow-Meeting" ab. Da schauen wir uns alle Start-ups an, die sich bei uns beworben haben oder die uns selbst aufgefallen sind.

Was wäre in dieser Phase ein Ausschluss-Kriterium?

Beispielsweise, dass der Kapitalbedarf deutlich höher liegt, weil sich das Start-up schon in einer späteren Entwicklungsphase befindet. Oder das Start-up passt thematisch einfach nicht zu uns.

Wie geht es dann weiter?

Wer diese Ausschluss-Stufe überwunden hat, kommt ins Screening. Das sind alle die Teams, die grundsätzlich zu uns passen könnten. Anhand der eingereichten Bewerbungsunterlagen bekommt man schnell einen Eindruck davon, wie gut es ein Team schafft, sich und sein Produkt darzustellen. Die Qualität der Unterlagen ist hier ausgesprochen wichtig. Aber Qualität heißt nicht super-detailliert oder besonders ausführlich zu sein, sondern eher präzise und prägnant.

Was folgt, wenn man es bis dahin schafft?

Die eigentliche Analyse-Phase. Hier treffen wir erstmals mit den Gründern zusammen, und das Team und das Produkt werden durchleuchtet.     

Nach welchen Kriterien?

Kernfragen sind: Erstens: "Ist es ein gutes Produkt, löst es ein virulentes Problem?" Zweitens: "Ist der Markt groß genug oder wird er sich rasch zur einer gewissen Größe entwickeln?" Dabei achten wir natürlich auch auf das Synergiepotenzial mit der Telekom. Und drittens: "Wie gut ist das Team?" Gerade dieser letzte Punkt ist entscheidend.

Weshalb?

In der frühen Start-up-Phase gibt es meist nur eine Hypothese, wie das fertige Produkt aussehen und wie groß der Markt sein wird. Deshalb schauen wir uns das Team genau an und versuchen, ein Gefühl zu bekommen, ob es die richtigen Leute sind, um ein Start-up von der Idee zu einem potenziellen großen, international operierenden Unternehmen hinzuführen.

Was für Leute müssen das sein?

Man muss das Gefühl haben, dass sie mit dem Kopf durch die Wand gehen können. Denn sie werden beim Aufbau des Unternehmens auf viele Probleme stoßen. Da dürfen sie sich nicht vom kleinsten Gegenwind umblasen lassen. Außerdem muss der CEO-Kandidat jemand sein, der einerseits eine Vision hat, andererseits muss er aber auch detailverliebt sein. Das ist eine Kombination, die man nicht so oft findet.

Wie viele Bewerber schaffen es denn tatsächlich in den Inkubator?

Auf 100 Bewerbungen, die wir uns genauer anschauen, folgt in etwa ein Investment. Das entspricht der durchschnittlichen, marktüblichen Quote.

Zeichnet sich inhaltlich bei den Bewerbungen eine Tendenz ab?

Ja. In der Anfangszeit des Hubraums gab es viele Bewerbungen im Bereich E-Commerce, viele Medien-Content-Projekte. Jetzt haben wir mehr Technik-Themen wie etwa Internet of Things, Payment-Technologie oder Offline-Kunden-Tracking. Insgesamt gibt es einen Trend weg von B-to-C hin zu B-to-B.


Autor: Franz Scheele

Schreibt als freier Autor für W&V Online. Unverbesserlich anglo- und amerikanophil interessieren ihn besonders die aktuellen und langfristigen Entwicklungen in den Medien- und Digitalmärkten Großbritanniens und der Vereinigten Staaten.