Die klassischen Buch-Vermarktungswege beherrschen die Verlage ja blind – ist das Social Web noch ein Gebiet, auf dem man gegenüber der Konkurrenz Terrain gut machen kann? Und wenn ja – was machen die Vorreiter besser als ihre Wettbewerber?

Inzwischen sind sehr viel Verlage recht professionell in den sozialen Netzwerken unterwegs und wissen die Leser auch fernab der klassischen Angebote wie Twitter und Facebook z.B auch über Instagram, Pinterest und Youtube zu begeistern. Hier tun sich meist die hervor, die ihre Inhalte sowie die Ansprache den jeweiligen Netzwerken und Zielgruppen dort anpassen und nicht einfach nur banal jede Werbebotschaft über einen weiteren Kanal verschicken. Das Social Web ist so viel mehr als ein reiner Vermarktungsweg – es gilt nicht nur die Fans zu begeistern, sondern auch die dort vorhandenen Autoren zu integrieren, mit Journalisten und Händlern in Kontakt zu treten, Rückmeldung zu den Produkten abzufragen, und auf alles angemessen und schnell zu reagieren. All das erfordert fachlich gute Leute mit genug Handlungsfreiraum sowie einen Verlag, der in jeder Abteilung den Sinn und die Möglichkeiten des Internets für die Literatur versteht. Hier ist die Buchbranche inzwischen gut aufgestellt.

Gibt es so etwas wie einen Sieger? Wer führt den Wandel an?

Einen einzelnen Sieger kann es nicht geben – hier arbeitet jeder seiner Unternehmensgröße und der jeweiligen Zielgruppe angemessen. Ein Großkonzern wie Random House setzt natürlich ein weit größeres Team ein als ein kleiner Fachverlag. Es gibt immer wieder sehr gute Ideen, z.B. hat die Bonnier-Gruppe mit ihren Verlagen Piper, Ullstein und Carlsen gerade ein digitales Literaturfestival für Liebesromane namens #Herzenstage organisiert, das über alle sozialen Netzwerke initiiert und umgesetzt wurde. Random House bietet inzwischen Livelesungen und weitere Video-Zusatzangebote mit ihren Autoren auf der eigenen Webseite litlounge.tv an. Der Mairisch Verlag hat nun schon zum zweiten Mal mit Bloggern und über den Hashtag #indiebookday einen eigenen Tag nur für unabhängige Literatur organisiert und damit online tausende Leser begeistert und in die Buchhandlungen getrieben. Es gibt sehr viele positive Beispiele und es werden jeden Monat mehr.

Wie ist der Erfolg eines Social Media-Angebots für einen Verlag messbar?

Man sollte sich am Anfang jeder Kampagne fragen, was man genau erreichen möchte und dementsprechend das Monitoring ausrichten. Viele sind sich oft gar nicht klar, wie eigentlich ihre Zielgruppe aussieht und ob und wie sie exakt diese oder vielleicht gar eine ganz andere erreichen wollen. Je nach Kampagne sollte deswegen ein genauer Plan mit Zielführung erstellt und dementsprechend überwacht und danach ein Fazit gezogen werden. Es ist inzwischen dank sehr vieler Tools leicht, alle Tätigkeiten und die Auswirkungen samt Kaufverhalten auszuwerten.

Die Buchbranche galt ja jahrelang als verstaubt und so gar nicht social-media-affin. Ist das denn immer noch so? Holen Handel, Verlage und - vor allem auch die Autoren - auf?

Vielleicht lebe ich für eine neutrale Antwort zu sehr in meiner Literatur-Filterbubble. Da ich meine Kontakte, Ideen und Projekte schon seit Jahren eigentlich fast ausschließlich über die sozialen Netzwerke beziehe, ist die Nutzung für mich, andere Autoren und die Verlage längst selbstverständlich. Nahezu alle Bestsellerautoren sind inzwischen auf den Netzwerken zu finden und viele wissen recht persönlich und sehr unterhaltsam für das Lesen zu begeistern. Dies ist natürlich für kreative Schriftsteller, die ja eigentlich den ganzen Tag von und mit ihren Ideen leben, wesentlich einfacher. Aber auch die Verlage und der Buchhandel haben hier enorm aufgeholt.

Bestseller-Autor John Green scheint mittlerweile nur noch für das Social Web zu schreiben und postet mehrfach täglich auf Facebook und nutzt ebenso eifrig Youtube als Vermarktungsplattform – was macht er richtig (oder zumindest richtiger als andere Autoren)?

John Green stellt sich mit seinen zumeist sehr jungen Lesern auf eine Stufe. Hier hat er natürlich auch ein bisschen Glück, dass seine Zielgruppe genau mit den aktiven Nutzern der sozialen Netzwerke übereinstimmt. Aber er gibt sich sehr persönlich und teilt sämtliche, meist sehr emotionale Erlebnisse mit seinen Lesern und bindet diese wiederum in die Kommunikation mit ein. So werden Leser zu echten Fans und diese kaufen nicht nur alle Bücher und besuchen seine Filme, sondern interagieren auch sehr begeistert und tragen alle Inhalte an ihre Freunde weiter. Er ist ein Superstar zum Anfassen. Ähnlich agiert z.B. der Schriftsteller Matt Haig auf Twitter sowie der deutsche Bestsellerautor Sebastian Fitzek. Sie zeigen ganz deutlich, dass man mit persönlichen, emotionalen und authentischen Inhalten begeistern muss und es eben nicht – wie von vielen Unternehmen oft fälschlich gedacht und umgesetzt – um einen weiteren Verkaufskanal geht. Die Worte "Soziale Netzwerke" sind wörtlich zu nehmen und wer das verstanden hat, der ist meist auch auf den jeweiligen Kanälen ganz weit vorne.

Nun adressiert, wie Sie sagten, John Green eine junge Zielgruppe. Sind derartige starke Social-Media-Strategien für andere Branchen mit anderen Zielgruppen überhaupt ratsam – also beispielsweise beispielsweise Reiseliteratur, Fachliteratur?

Ich liebe das Internet u.a. deswegen, weil man für jede Nische die passende Adresse findet und jedes noch so seltsame und verrückte Produkt auf einmal Sinn macht. Aus meiner Sicht und Erfahrung gibt es heute keine Ausrede mehr, warum man nicht im Netz aktiv sein sollte und keine noch so kleine Zielgruppe, die man dort nicht mehr erreicht.

Sie waren lange Zeit Redaktionsleiterin bei Lovelybooks.de (Holtzbrinck). Wie hat dieses Angebot das heutige Buchmarketing verändert? Welchen Stellenwert würden Sie der Buch-Diskussions-Plattform beimessen? Ist sie Vorreiter, Beiboot oder eigenes Medium innerhalb der deutschen Medienkritik?

Lovelybooks ist inzwischen mit über 1,2 Millionen Unique Usern monatlich und über 4.000 aktiven Autoren die größte deutschsprachige Literaturplattform. Allein aufgrund dessen kommt man daran in der Buchbranche nicht mehr vorbei. Alle Verlage lassen dort ihre Titel bewerben und die von Lesern und vor allen Dingen vielen Bloggern in sogenannten Leserunden entstandenen Rezensionen werden im kompletten Internet und nicht nur auf der eigenen Plattform geteilt und dementsprechend natürlich auch besser verkauft. Für den Literaturmarkt ist es ein sehr wichtiger Kanal, aber die internationale Konkurrenz mit ähnlichen Formaten wie Goodreads von Amazon oder aber Selfpublishing-Communities wie Wattpad wächst täglich. Eine gute Social Media-Kampagne ist auf mehrere Kanäle abgestimmt.

Einige Verlage setzen auf starke Blogger-Relations, installieren eigene Portale für die Web-Schreiber und tragen damit der Meinungsmacht der Blogger Rechnung. Wer bestimmt heute das Meinungsklima – die Blogger, die Rezensenten oder immer noch die klassische Feuilleton-Redaktion?

Das kommt sicherlich ganz auf den jeweiligen Titel und die Zielgruppe an. Für den Massenmarkt spielt das klassische Feuilleton eigentlich keine Rolle mehr und auch ich lasse mich nur durch Kritiken von Freunden und Bloggern zum Kauf inspirieren, weil ich diese Meinung einordnen und mich darauf verlassen sowie mit dem jeweiligen Kritiker jederzeit darüber diskutieren kann. So geht es inzwischen den meisten Lesern. Wenn ein Leser nach einem bestimmten Buch sucht und die Zeitungsinhalte sind oft online nicht auffindbar oder aber hinter einer Paywall versteckt, wenn viele Kulturredakteure nicht in den sozialen Netzwerken aktiv sind und ihre Abneigung vor dem Netz nur noch betonen – ist hier die Krise hausgemacht. Die Verlage richten sich nach den erfolgreichsten Multiplikatoren und das sind inzwischen Blogger, Booktuber sowie private Leser mit entsprechend beliebten Accounts. Die Clickrate hat die Auflage ersetzt und wer dies nicht für sich zu nutzen weiß, der hat das Internet leider bis heute nicht verstanden.

*Karla Paul studierte Betriebswirtschaft und Mediendesign in Würzburg und München. 2006 gründete sie das Blog Buchkolumne, drei Jahre später war sie bereits Redaktionsleiterin und Social-Media-Managerin der Holtzbrinck-Plattform Lovelybooks. 2014 wechselte sie als Leiterin für Digitales Publizieren zu Hoffmann und Campe nach Hamburg. Seit Frühjahr 2015 ist sie Verlagsleiterin E-Books bei Edel.


Autor: Anja Janotta

seit 1998 bei der W&V - ist die wohl dienstälteste Onlinerin des Hauses. Am liebsten führt sie Interviews – quer durch die ganze Branche. Neben Kreativ- und Karrierethemen schreibt sie ab und zu was völlig anderes - Kinderbücher. Eines davon dreht sich um ein paar nerdige Möchtegern-Influencer.