Springer hält sich bedeckt dazu, wie viele User mehr als 20 Artikel pro Monat nutzen. Bei rund neun Millionen Unique Usern (AGOF) und rund 214 Millionen Page Impressions (IVW) ergäbe sich jedenfalls ganz grobkantig ein Wert von 23,8 PIs pro Unique User. Abonnenten der bisherigen Angebote können sich die Online-Variante ohne Zusatzkosten freischalten lassen und die 50.000 eifrigsten User sind in Kooperation mit Partner Bentley sechs Monate lang kostenfrei unterwegs. Millionen von Nutzern wird es also kaum treffen.

Springer will die Nutzer ja auch nicht vertreiben. Es will ihnen nur klar machen, dass die paradiesischen Zustände der Kostenloskultur aus Verlagsperspektive nicht nachhaltig sind. Dass das Blumengießen und die Pflege des Baums der Erkenntnis eben etwas kostet. Ob das funktioniert oder nicht (und ob sich ausgerechnet Artikel von Welt Online mit Früchten vom Baum der Erkenntnis vergleichen lassen), ist sicher irgendwo Glaubenssache.

Aber Springer stellt es schlau an. Denn diese sanfte Pay-Variante, die viele Nutzer gar nicht treffen wird, ist trotzdem mehr als nur ein Feigenblatt. (Ohne eigene Pay-Konzepte würden sich Leistungsschutzrecht-Ritter wie Axel Springer nämlich durchaus eine gewisse Blöße geben.) Es ist vor allem ein behutsamer Anfang. Ein Austesten, ein trafficschonendes Heranführen der User. Denn Gelegenheitsbesucher hält die Schranke nicht ab. Die wichtigen Traffic-Tore im Netz bleiben geöffnet. Und für Stammleser bewegen sich die Kosten in einem überschaubaren Bereich. Auch wenn Springer das so niemals sagen wird: Es geht hier vermutlich weniger darum, gleich richtig Geld zu verdienen und mehr darum, die Nutzer mit dem Gedanken des Zahlens vertraut zu machen. Und funktionierende Bundles für Multikanal-Nutzer zu schnüren. Also Leser über verschiedene Plattformen (Online, Mobile, Print) an sich zu binden.

Die Lorbeeren dafür kann Springer freilich nicht einstreichen. In guter Internet-Tradition hat der Verlag kopiert – bei der "New York Times". Die fährt genau dieses Pay-Modell. Selbst die vierwöchige Promo-Phase für 99 Cent übernimmt Springer. Das wäre der passende Augenblick für gehässige Kommentare über die Innovationskraft und den Ideenreichtum deutscher Medienhäuser. Wenn man nicht auch sagen müsste: Das Konzept der "NYT" funktioniert aber eben ganz brauchbar, man muss das Rad nicht immer neu erfinden. Die NYT jedenfalls verbucht inzwischen eine halbe Million Abonnenten für die Website.

Springers Leistung besteht im Aufbau der Infrastruktur für diese Lösung. Das Leseverhalten der User muss schließlich via Cookie verfolgt, die Kontenverwaltung  geräteübergreifend sichergestellt sein. Der Aufwand dafür war erheblich, dafür kann das Ergebnis für den Vertrieb der digitalen Produkte auch jenseits der Welt genutzt werden. Auch die "Bild"-Lösung wird trotz anderem Pay-Konzept auf der gleichen Infrastruktur aufsetzen.

Dass die Reichweite von Welt Online sinken dürfte, ist Springer klar. Nervös macht es das Medienhaus nicht. Denn das skizzierte Modell ist ein sanftes. Es sind weder gigantische Erlöse durch Abos noch ein brutales Abknicken des Traffics zu erwarten. Und mit irgendwelchen Schritten muss die Reise zum Pay-Konzept nun mal beginnen. Auch wenn die Welt-Lösung wieder an Abo-Modellen festhält, obwohl flexiblere Lösungen internetgerechter wären. Trippelschritte liegen näher als der beherzte Sprung in den Abgrund.

Eine Nutzergruppe will Springer allerdings tatsächlich ausschließen: Dank Prämoderation der Kommentare wird der Lebensraum für die klischeehaften Welt-Online-Kommentartrolle enger. Die bange Frage für den Rest ist: Wo gehen die hin?


Autor: Ralph-Bernhard Pfister

Ralph Pfister ist Koordinator am Desk der W&V. Wenn er nicht gerade koordiniert, schreibt er hauptsächlich über digitales Marketing, digitale Themen und Branchen wie Telekommunikation und Unterhaltungselektronik. Sein Kaffeekonsum lässt sich nur in industriellen Mengen fassen. Für seine Bücher- und Comicbestände gilt das noch nicht ganz – aber er arbeitet dran.