Einige Zuschauer sehen darin nicht nur medienethische Probleme. "Sie vermissen auch die Einhaltung journalistischer Grundsätze und befürchten, dass durch die Art der Darstellung Persönlichkeitsrechte verletzt wurden oder gegen Bestimmungen des Jugendschutzes und des Schutzes der Menschenwürde verstoßen wurde", heißt es weiter.

Eine Jugendschutzproblematik sei auch hinsichtlich des Einsatzes der Videosequenz mit dem schießenden Täter am Folgetag gesehen worden. Befürchtet werde auch eine "Anreizfunktion der Tataufnahmen für psychisch labile Nachahmungstäter". Die Beschwerden leiten die Medienwächter an die TV-Anbieter weiter. Im Fall der Privatsender, die die Medienwächter beaufsichtigen, müssen die zuständigen Landesmedienanstalten die Vorwürfe prüfen. 

Das Publikum trifft mit seinen Annahmen über psychische Folgen ins Schwarze, glaubt man dem Hamburger Psychiater Michael Schulte-Markwort. In einem Gastbeitrag für das "Hamburger Abendblatt" (Dienstagsausgabe) nahm der Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Hamburger UKE diesbezüglich auch die Medien in die Verantwortung.

"Es geht nicht darum, Berichte über Amokläufe komplett zu streichen, so, wie Berichte über Einzelselbstmorde von Jugendlichen in der Regel nicht veröffentlicht werden. Wir müssen allerdings verstehen, dass selbst durch terroristische Anschläge hasserfüllte Massentötungsimpulse oder Amokimpulse verstärkt werden können. Je weniger wir das reißerisch in den medialen Mittelpunkt stellen, desto geringer sind die Effekte."

Die allgemeine Verunsicherung führt nach Einschätzung von Schulte-Markwort dazu, "dass reflexhaft und vorschnell von terroristischen Anschlägen ausgegangen wird, im Fernsehen stundenlang Berichte darüber an erster Stelle stehen". Auch großformatig abgedruckte Fotos der Polizeieinsätze seien Ausdruck der "kollegialen Angst". Diese wiederum erzeuge bei jungen Menschen, "die aus anderen Gründen depressiv und verzweifelt sind, eine Sogwirkung, die wir nicht unterschätzen dürfen".

Die Medienanstalten jedenfalls und ihre Direktorenkonferenz DLM mit dem Präsidenten Siegfried Schneider wollen jedenfalls Lehren aus den aktuellen Vorkommnissen ziehen. Es solle nun "grundsätzlich über die Standards der Berichterstattung im Fernsehen" diskutiert werden, heißt es.


Autor: Petra Schwegler

Die @Schweglerin der W&V. Schreibt seit mehr als 20 Jahren in Print und Online über Medien - inzwischen auch jede Menge über Digitales. Lebt im Mangfalltal, arbeitet in München.